Interner Streit und öffentliche Schutzbehauptungen des AK-Vorrat nach Anfrage zu Nazi-Administrator

Interner Streit und öffentliche Schutzbehauptungen des AK-Vorrat nach Anfrage zu Nazi-Administrator

Am 05. Juli berichtete Radio Dreyeckland über die umfangreiche Recherche mehrere Antifa-Gruppen zum Netzwerkadministrator Robert M. Bei diesem soll es sich um einen der zentralen Administratoren der deutschsprachigen Internet-Infrastruktur von Neonazis handeln (siehe Bericht RDL). Zugleich sitzt M. im Vorstand des Hamburger Vereins Attraktor e.V., dessen Räume auch vom Chaos Computer Club (CCC), dem CCC Hamburg und der Ortsgruppe Hamburg des AK Vorratsdatenspeicherung genutzt werden.

Nachdem der Sprecher der Hamburger Ortsgruppe des AK-Vorrat, der zugleich einer der Sprecher des Bundes-AK-Vorrat ist, RDL mitgeteilt hatte, dass die Ortsgruppe „einstimmig beschlossen“ habe, sich „da herauszuhalten“ und man keinen Grund sehe sich „mit dem Thema weiter zu beschäftigen“, bat RDL auch die Bundesstelle des AK-Vorrat um eine Stellungnahme. In der Antwort betont Werner Hülsmann, einer von insgesamt fünf SprecherInnen, dass es beim AK-Vorrat keinerlei Bundessprecher gebe und sie daher, wann immer es keine Pressemitteilung gebe, lediglich ihre persönliche Meinung kundtun könnten. Unter Verweis auf die Satzung hebt er jedoch auch ohne Pressemitteilung die „Meinung des Bundes-AKs“ hervor: "Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist politisch unabhängig und überparteilich. Wir distanzieren uns ausdrücklich von menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Positionen."

Neben diesem Hinweis auf die Satzung fügt Herr Hülsmann noch einige Bemerkungen an, die letztlich allesamt M. in Schutz nehmen. So würde es eine Ausländerin im AK Vorrat geben, die zwar Angst vor Nazis habe, nicht aber vor M. Desweiteren hätten die „Recherchen“ (Anführungszeichen im Original) mehrere Antifa-Gruppen „bisher noch gar nichts gezeigt.“ Und auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen würden sich auf die Aussagen eines Neo-Nazis in einem Prozess in Österreich beziehen: „Die Möglichkeit, dass sich dieser an dem Aussteiger R.M. rächen will oder nur die Schuld von sich auf andere lenken will, scheint niemand in Betracht zu ziehen.“ Er relativiert zudem die Aussagen der Hamburger Ortsgruppe gegenüber RDL dahingehend, dass damit nur zum Ausdruck gebracht worden wäre, das aufgrund der fehlenden Nachweise „eine Stellungnahme schlicht nicht seriös möglich ist.“ Und vielleicht da das Wort so schön ist, lässt er RDL abschließend wissen, dass unsere Berichterstattung kein „Beispiel für seriösen Journalismus“ sei.

Dem mag so sein, oder auch nicht. Mehr als bedenklich – und ja, unseriös – erscheint allemal der Umgang des AK Vorratsdatenspeicherung (und auch des CCC Hamburg, der sich bis heute öffentlich nicht zum Thema geäußert hat!) mit den Vorwürfen gegen M. Obwohl es auch intern heftige Diskussionen zu dem Thema gibt, wird von beiden Sprechern in den Antworten an RDL nicht zum Ausdruck gebracht, dass man die Anschuldigungen sehr ernst nehme, überprüfe und vom Ergebnis die weitere Zusammenarbeit mit dem Attraktor abhängig mache. Vielmehr werden die Recherchen der Antifa und Medienanfragen offensichtlich als Angriff wahrgenommen. Hierbei stellt man sich schützend vor M. und dessen Behauptung, er sei 2008 aus der Naziszene ausgestiegen. Anstatt diese Aussage aber zunächst zu überprüfen, greift man die an, die aufgrund einer erdrückenden Faktenlage eben diese Aussage in Zweifel ziehen.

Während es für einen Jugendlichen, der an ein paar rechten Demos teilgenommen hat, zum Ausstieg genügen mag ein paar Geschichtsbücher zu lesen und sich glaubhaft vom rechten Umfeld zu distanzieren, so muss man von jemandem, der bedeutende rechtsradikale Infrastruktur aufgebaut hat, schon etwas mehr Engagement verlangen. Ein Ausstieg 2008 ist bspw. dann nicht glaubhaft, wenn die betreffende Person noch 2011 einen Hosting-Account betreibt und bezahlt, auf dem rund 45 rechtsradikale Seiten gehostet werden. Dass M. aber genau dies getan hat, wurde neben den „Recherchen“ der Antifas eben auch von der Staatsanwaltschaft in Österreich und der Staatsanwaltschaft Hamburg bestätigt. Der TAZ gegenüber äußerte letztere, die aktuell wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gegen M. ermittelt, dass die Faktenlage eindeutig sei. [RDL wartet aktuell noch auf die Antwort der Staatsanwaltschaft auf eine etwas ausführlichere Anfrage].

Ein ernstzunehmender Ausstieg hätte mit Sicherheit auch bedeutet, dass der entstandene Schaden durch die Mithilfe beim Aufbau von Thiazi.net im Jahre 2007 zumindest teilweise behoben worden wäre. Über die BetreiberInnen muss M. bei seinem vermeintlichen Ausstieg 2008 erhebliches Wissen gehabt haben. Das wohl größte offene deutschsprachige Forum für Rechtsradikale wurde jedoch erst im Juni 2012 nach Razzien des Bundeskriminalamtes vom Netz genommen. Bis dahin wurde menschenverachtende Musik verkauft, Nachwuchs angeworben, Demos organisiert und vieles mehr. Gleiches trifft in verschärfter Form auf das geschlossene Nazi-Forum „Grossdeutsches Vaterland“ zu. Das laut Recherchen der Antifa 2005 von M. mitgegründete Forum existiert noch heute und soll laut Angaben der Staatsanwaltschaft in Österreich bis zur Abschaltung 2011 über M.s Hosting-Account gehostet worden sein. Anstatt also das Forum nach seinem angeblichen Ausstieg 2008 abzuschalten, hat er es mindestens zwei weitere Jahre gehostet. Doch nicht nur das. Noch heute, am 09. Juli 2012, bestehen die offen einsehbaren Nutzungsbedingungen des Forums aus einem Eintrag von „Patria“, der verkündet: „Juden, Negern sowie Mischlingen ist die Mitgliedschaft untersagt.“ Laut bis heute nirgends dementierten Recherchen handelt es sich bei „Patria“ um M.

Weshalb sich die Mitglieder des Attraktors, der CCC Hamburg, der AK-Vorrat Hamburg und, trotz glaubhaft versicherter heftiger interner Diskussionen, auch bekannte Sprecher des Bundes-AK-Vorrat schützend vor M. stellen, anstatt sich an der Aufklärung – gegebenenfalls auch der stichhaltigen Entkräftung – besagter Vorwürfe zu beteiligen, bleibt bestenfalls befremdlich. Das Ansehen besagter Gruppen und die wichtigen Themen, für die sie einstehen, droht dadurch Schaden zu nehmen.