Berlinale Blog: Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich

Silberner Bär an Florin Serban

Der aussichtslose Kampf gegen das
eigene Scheitern

Aus Berlin: Martin Koch und Henriette Walz

Wie eine Selbstverständlichkeit klingt
der Titel für einen Durchschnittsverbraucher, wie ein Schrei nach
Freiheit für alle Insassen des hier gezeigten rumänischen
Jugendgefängnisses. Silviu heißt der junge Mann im Mittelpunkt
dieses Film, sein Körper ist durchtrainiert, sein Haar kurzgeschoren
und seine Situation erscheint verfahren: zwar muss er von seinen fünf
Jahren im Gefängnis nur noch zwei Wochen absitzen, doch dann taucht
plötzlich seine verschollen geglaubte Mutter auf und will seinen
jüngeren Bruder mit nach Italien nehmen.

Berlinale Blog: Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich

Silberner Bär an Florin Serban

Der aussichtslose Kampf gegen das
eigene Scheitern

Aus Berlin: Martin Koch und Henriette Walz

Wie eine Selbstverständlichkeit klingt
der Titel für einen Durchschnittsverbraucher, wie ein Schrei nach
Freiheit für alle Insassen des hier gezeigten rumänischen
Jugendgefängnisses. Silviu heißt der junge Mann im Mittelpunkt
dieses Film, sein Körper ist durchtrainiert, sein Haar kurzgeschoren
und seine Situation erscheint verfahren: zwar muss er von seinen fünf
Jahren im Gefängnis nur noch zwei Wochen absitzen, doch dann taucht
plötzlich seine verschollen geglaubte Mutter auf und will seinen
jüngeren Bruder mit nach Italien nehmen.

Das soll in einer Woche
geschehen und Silviu muss nun kämpfen: gegen die Versuche der
Mutter, ihm seinen Bruder zu nehmen und gegen die latente Aggression
im Gefängnis, die, sollte auch Silviu ausfällig werden, eine
Verlängerung seiner Haftstrafe bedeuten würde. Als sich seine
Anspannung in einem tätlichen Angriff gegen einen Sozialarbeiter
entlädt dreht Silviu schließlich durch, schlägt einen Wachmann
zusammen und entführt die junge Praktikantin Ana, in die er sich
verliebt hat. In einem gestohlenen Auto fahren beide einem ungewissen
Schicksal entgegen.

Geschätzte 500 000 rumänische Kinder
sind Migrationswaisen, deren Eltern für bessere Arbeitsbedingungen
hauptsächlich nach Italien und Spanien ausgewandert sind und ihre
Kinder zuhause zurückgelassen haben. Ein Phänomen, das in Rumänien
das Wort „Eurogeneration allein gelassen“ trägt. Mit einem Film
ein aktuelles gesellschaftliches Problem porträtieren - das kann
auch schief gehen. Es ist die Leistung des Laiendarstellers Gheorge
Pistereanu, die diesen Film zu einem intensiven Sozialdrama macht. Ob
beim morgendlichen Training, beim Streit mit anderen Häftlingen,
beim Besuch des Bruders und der Mutter oder schließlich beim
darauffolgenden Gewaltausbruch: Pistereanu verschmilzt mit seiner
Rolle und spielt Silviu als Menschen, der sich mit aller Gewalt gegen
sein Scheitern und gegen eine feindlich erscheinende Außenwelt
stemmt und sich schließlich in einer aussichtslosen Situation
wiederfindet. Dass Silviu diese Situation selbst durch
unkontrollierte Gewalt verschuldet hat, ist ebenso klar wie die
Tatsache, dass ihm tieftraurige Begleitumstände alle Möglichkeiten,
die Kontrolle zu behalten, schrittweise genommen haben. Der Film
stellt zu Schuldfragen zwar keine Wertungen auf, man kann sich ihnen
als Zuschauer aber schwer entziehen.

Der Film ist mit Handkamera gedreht,
oft sieht man Silviu von hinten, beim Gehen oder beim Schauen durch
den Gefängniszaun, und nimmt seine Perspektive ein. Auf Musik
verzichtet der Regisseur Florin Serban, dessen erster Spielfilm dies
ist, fast völlig. Und irgendwie erinnert man sich wieder an einen
anderen eindrucksvollen rumänischen Film: Vier Monate, drei Wochen,
zwei Tage. Der gewann vor drei Jahren die Goldene Palme in Cannes.
Und wie beide Filme eigentlich nur ein paar Tage behandeln, gehen sie
doch beide weit darüber hinaus: Während 4 Monate, drei Wochen, zwei
Tage auf eindrückliche Weise den Machtmissbrauch in einer
totalitären Gesellschaft darstellte, führt uns „If I want to
whistle, I whistle“ vor Augen, welche Auswirkungen die Hoffnung auf
schnelles Geld und Anerkennung in einer kapitalistischen Welt haben
können.