Der Feldhase als Opferhase | Leichte Erholung der Populationen?

Der Feldhase als Opferhase | Leichte Erholung der Populationen?

Der Hase ist schon von Natur aus für die Opferrolle vorgesehen. Das sich vegetarisch von Gräsern, Kräutern, Blättern und Blüten ernährende Säugetier sieht sich einer Vielzahl von Fraßfeinden wie Fuchs, Marder und Greifvögeln gegenüber. Dank seiner hohen Reproduktionsrate - ein Hasenweibchen kann dreimal im Jahr Nachwuchs bekommen - behauptete sich die Art (Lepus europaeus) jedoch bis zum Beginn des industriellen Zeitalters in ihrem Bestand. Seitdem aber geht es bergab und die Bestandszahlen sinken kontinuierlich - mit gelegentlichen Schwankungen.

Laut einer aktuellen Veröffentlichung des deutschen Jagdverbandes (DJV) läge der Bestand des Feldhasen in Deutschland bei zwölf Hasen pro Quadratkilometer. Die "Erhebungen" - so der Terminus die Verbandsveröffentlichung - sind nicht wissenschaftlich nachvoll­ziehbar. Diese hätten laut DJV ergeben, daß die Hasendichte von 11,8 Hasen pro Quadratkilometer im Frühjahr 2018 auf 12,4 Hasen im Frühjahr 2019 gestiegen sei. Eine leichte Erholung der Bestandszahlen aufgrund der vergangenen beiden trockenen Jahre ist durchaus plausibel. Tatsächlich jedoch leben in Deutschland mit Sicherheit weniger als 6 Hasen pro Quadratkilometer - also weniger als die Hälfte der von der Jägerschaft angegebenen Bestandszahl.

In der Schweiz mit ihrer im Vergleich zu Deutschland noch relativ kleinteiligen Landwirtschaft leben durchschnittlich nur noch 3 Feldhasen pro Quadratkilometer. Lediglich im Klettgau, der Region bei Schaffhausen, sind nach Zählungen der Vogelwarte Sempach noch 16 Feldhasen pro Quadratkilometer nachweisbar. Dies ist auch nur Dank eines besonderen Aufwandes möglich, denn im Klettgau gibt es weit überdurchschnittlich viele ökologisch wertvolle Flächen wie etwa sogenannte Buntbrachen. In einem angrenzenden Gebiet, in dem der Anteil ökologisch wertvoller Flächen sehr viel geringer ist, sind es nur zwei Feldhasen pro Quadratkilometer, also nur ein Achtel - wie ebenfalls aus der diesjährigen Zählung der Vogelwarte Sempach hervorgeht.

Daß die aktuell vom DJV vorgelegten Zahlen für Deutschland um mehr als das Doppelte überhöht sind, ist damit zu erklären, daß die deutsche Jägerschaft unbestreitbar daran interessiert ist, das auf der Roten Liste verzeichnete Tier weiterhin jagen zu dürfen. So wurde auch schon vor rund zehn Jahren von dieser Seite behauptet, es gäbe in Deutschland noch 4 Millionen Feldhasen - rund 12 Exemplare pro Quadratkilometer. Im Jahr 2014 jedoch sprach der DJV von verbliebenen dreieinhalb Millionen - rund 11 Exemplare pro Quadratkilometer. (Siehe hierzu unseren Artikel v. 28.03.15). Um das Jahr 2000 wurde der Bestand an Feldhasen in Deutschland auf lediglich rund 500.000 geschätzt - also rund ein Achtel der aktuell vom DJV vermeldeten Zahl. Und die veröffentlichten von Jahr zu Jahr stark sinkenden Abschuß-Zahlen belegen, daß der Bestand in den 15 Jahren von 2000 bis 2015 um mehr als die Hälfte zurückgegangen sein muß.

Die größten Feinde des deutschen Feldhasen sind jedoch weder seine natürlichen Fraßfeinde, noch die deutsche Jägerschaft, sondern die industrielle Landwirtschaft und der fortschreitende Flächenfraß. Nach wie vor wird die industrielle Landwirtschaft in Deutschland mit Milliarden-Subventionen gehätschelt, während die Bio-Landwirtschaft lediglich alibimäßig Fördermittel erhält. Symptomatisch hierfür ist, daß die Bundesregierung weniger als 2 Prozent des gesamten Budgets für Agrarforschung in die Forschung für Bio-Landwirtschaft investiert.

Diese Politik im Dienste der großen Agro-Konzerne hat unter anderem zur Folge, daß der sogenannte Strukturwandel in der Landwirtschaft weiterhin dem Prinzip "Wachsen oder Weichen" folgt. Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zwischen 1991 und 2016 kontinuierlich von rund 430.000 auf nur noch 270.000, während zugleich die Fläche pro Betrieb von rund 38 auf 67 Hektar wuchs. Dies hat selbstverständlich zugleich eine Vergrößerung der Felder und eine Verkleinerung der Randstreifen und ackerbegleitenden Brachflächen zur Folge. Und mit dem Pestizid-Einsatz der industriellen Landwirtschaft wird zudem die Nahrungsgrundlage des Feldhasen dezimiert und vergiftet.

So darf auch nicht überraschen, daß sich der Bestandsrückgang bei Vogelarten wie Rebhuhn, Kiebitz, Feldlerche und vielen weiteren Vogelarten der Agrarlandschaft immer mehr beschleunigt. Besonders stark betroffen ist das Rebhuhn mit einem Bestandsrückgang um 89 Prozent im Zeitraum von 1992 bis 2019. Im selben Zeitraum ist der Kibitz mit einem Rückgang um 88 Prozent und die Feldlerche mit einem Rückgang um 45 Prozent betroffen (Siehe hierzu unseren Artikel v. 22.10.19). Und die Biomasse der Insekten ist in Deutschland in den 27 Jahren von 1990 bis 2017 und 75 Prozent zurückgegangen.

Von Seiten der Jägerschaft sind auch heute immer noch stereotyp Sprüche zu hören wie: "Es will doch niemand ins 18. Jahrhundert zurück." Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, zur industriellen Landwirtschaft mit ihrer unausweichlich zunehmenden Konzentration und Zerstörungskraft gebe es keine Alternative. Weil das Personal der Jägerschaft - besonders in der Führungsebene - sich weitgehend mit jenem der industriellen Landwirtschaft deckt, darf es nicht verwundern, wenn die Agrar-Wende hin zu einer hundertprozentigen Versorgung durch Bio-Lebensmittel ebenso wie die Verkehrs-Wende systematisch ausgeblendet oder gar bekämpft wird.

Gerade bei der Artenvernichtung in Deutschland ist die zunehmende Verkehrsfläche nach der industrielle Landwirtschaft der zweite wesentliche Faktor. Der Aktionsraum eines Feldhasen ist rund 20 Quadratkilometer groß. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche von 1992 bis 2018 von 40.305 auf 49.819 Quadratkilometer (km²) ausgedehnt. Damit wurde die Siedlungs- und Verkehrsfläche in den vergangenen 26 Jahren um 9.514 km² - also 23,6 Prozent - ausgedehnt. Dies entspricht einem Zuwachs von durchschnittlich 104 Hektar pro Tag. (100 Hektar sind 1 km²). Während der vergangenen 60 Jahre - 1960 bis 2020 - hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland mehr als verdoppelt. Dies bedeutet zudem, daß der Aktionsraum eines Hasen von immer mehr Straßen zerschnitten wird.

Kommentar:

Offenbar versucht die Menschheit einen multiplen kollektiven Selbstmord mit Hilfe von Atomwaffen, Klimagasen, Verkehrs-Zunahme, Gentechnik, Grundwasser-Vergiftung und dem Biozid durch die industrielle Landwirtschaft. Der Feldhase als Opferhase, der längst die Rolle des traditionellen Osterlamms übernommen hat, steht dabei symbolisch für ein neuartiges "Sacre du Printemps": Das finale Menschenopfer.