Ergebnisse der Haushaltsbefragung im Sommer erwartet: Eine soziale Erhaltungssatzung soll im Stühlinger gegen Verdrängung helfen

Im März fanden viele Bewohner*innen im Stühlinger lange Fragebogen in ihren Briefkästen. Fragebögen, welche ein Teil eines längeren Prozesses der Stadt für den Milieuschutz im Stühlinger sind. Ein Beitrag über den aktuellen Stand der geplanten sozialen Erhaltungssatzung und den Auswirkungen, welche diese haben könnte.

Eine soziale Erhaltungssatzung soll im Stühlinger gegen Verdrängung helfen

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Karte des Gebiets der Haushaltbefragung
Karte des Gebiets der Haushaltbefragung
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Stadt Freiburg

Am 28. Februar 2020 veröffentlichte die Stadt Freiburg eine Pressemitteilung in der eine Umfrage unter 6000 Haushalten im Stühlinger und Haslach angekündigt wurde. Diese Haushaltsbefragung erfolgte im Rahmen der jeweils geplanten sozialen Erhaltungssatzungen für die beiden Stadtteile. Mit einer sozialen Erhaltungssatzung ist es laut Baugesetzbuch dann so, dass:

„der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen. In [manchen] Fällen […] bedarf auch die Errichtung baulicher Anlagen der Genehmigung.“

Durch dieses Instrument der Genehmigung soll die Stadt Freiburg in die Lage versetzt werden die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den jeweiligen Gebieten zu Erhalten.

Den Beschluss eine Soziale Erhaltungssatzung für den Kernbereich des Stühlingers aufzustellen fasste der Gemeinderat laut Amtsblatt am 3. März 2020. Lediglich 17 Tage später, ein Tag vor dem erbetenen Rücksendedatum der Umfragen am 21. März, war die Coronakrise schon voll im Gange und die Stadt erließ die Allgemeinverfügung mit der das Betreten öffentlicher Plätze im Stadtgebiet verboten wurde.

Obwohl die Stadtverwaltung auf Notbetrieb umgestellt hatte, teilte die Pressestelle der Stadt auf Anfrage von RDL mit, dass:

„die Fragebögen aus der Haushaltsbefragung [werden derzeit] ausgewertet und analysiert. Wir gehen davon aus, dass wir die Ergebnisse dem Gemeinderat, wie vorgesehen, vor der Sommerpause vorlegen können.“

Die Auswertung der Fragebögen erfolgt dabei, offensichtlich auch während der Coronakrise, durch die in Berlin ansässige LPG mbh, kurz für Landesweite Planungsgesellschaft. Die LPG beschreibt auf ihrer Webseite ihren Arbeitsbereich folgendermaßen:

„Die LPG bietet in sämtlichen Bereichen der Stadt- und Regionalplanung, Raum- und Umweltplanung sowie in der Verkehrsplanung Planungs- und Beratungsleistungen an. Schwerpunkt unserer Arbeit sind informelle Planungen in den Themenbereichen Stadtentwicklung und Stadtumbau, Quartiersmanagement und soziales Erhaltungsrecht sowie interkommunale Kooperationen. Auch die verbindliche und vorbereitende Bauleitplanung gehört zum festen Leistungsspektrum der LPG.“

In dem beiliegenden schreiben der Haushaltsbefragung werden die jeweiligen Haushalte auch auf guten vier Seiten über den Sinn und Zweck der Umfrage informiert. Dabei wird die Datenerhebung über den gesamten Bereich begründet mit folgender Feststellung:

„Wohnraum [ist] in der Stadt Freiburg sehr gefragt, [weswegen] sich viele Bewohner_innen Sorgen wegen steigender Mieten und des möglichen Wegfalls bezahlbaren Wohnraums [machen]. Der Verwaltung und dem Gemeinderat der Stadt Freiburg sind die sozialverträgliche Umsetzung notwendiger Bau- und Modernisierungsmaßnahmen sowie der Erhalt bezahlbaren Wohnraums wichtige Anliegen. Der Gemeinderat hat daher beschlossen, für den Stühlinger zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer sozialen Erhaltungssatzung vorliegen.“

Eben diese Überprüfung erfolgt nun nach dem Beschluss über die Ausstellung einer sozialen Erhaltungssatzung über die Ergebnisse der Haushaltsbefragung. Dabei kann die Stadt auch ohne diesen längeren Ausstellungsprozess eine soziale Erhaltungssatzung erlassen, jedoch ist eben diese Erfassung laut der Pressestelle notwendig um der gesetzlichen Pflicht zur Begründung nachzukommen, sollte die Stadt eine Genehmigung, zum Beispiel für einen Neubau, verweigern.

Eine solche soziale Erhaltungssatzung gibt es in Freiburg schon einmalig in St. Georgen für die ehem. Bergmannssiedlung im Imberyweg. Eine weiteres Aufstellungsverfahren ist derzeit am laufen für den Bereich der Quäkerstraße in der Wiehre, eine Aufstellung, welche durch die Bürgervereinigung „Wiehre für Alle“ im laufe eines mühsamen politischen Kampfes erreicht wurde. Die nun geplanten Bereiche im Stühlinger und in Haslach wurden 2015 im Laufe eines stadtweiten Screenings als „Verdachtsfälle“ ermittelt.

Dabei ist jedoch auffällig, dass der Kernbereich des Stühlingers nur die Hälfte des befragten Gebiets ausmacht. So wird der Kernbereich definiert als im Norden durch die Lehener Straße, im Osten durch die Wentzinger Straße und Bahnlinie, im Süden durch die Bundesstraße 31a und im Westen durch die Escholzstraße begrenzt. Einer beigelegten Karte bei der Haushaltsbefragung ist dagegen zu entnehmen, dass diese bis zur Fehrenbachallee im Westen und im Norden bis zur Barbarastraße durchgeführt wird und auch die Wohngebiete westlich der Fehrenbachallee zwischen Ferdinand-Weiß-Straße und Dreisam beinhaltet. Auffällig bei dieser Auswahl der Fläche ist, jenseits der Ausdehnung über den Altstühlinger hinaus, vor allem, dass das Metzgergrün außen vor gelassen wird.

Das ist natürlich kein Wunder, ist doch für das Metzgergrün schon längst ein Abriss und Neubau geplant, ungeachtet des Protestes der dort wohnenden Menschen dagegen. Diese befürchten, dass trotz versprochener Wohnungen mit Förderung sie sich die Mietpreise in den Neubauten nicht leisten können, eine Person schilderte dies bei einer Informationsveranstaltung wie folgt:

„Also es ist so, ich wohne schon 32 Jahre hier und ich seh es nicht ein, dass die Häuser abgerissen werden. Es gibt leute wo wenig Geld haben, Rentner zum beispiel, und dann können sie sich nicht mehr leisten, die Teuren Wohnungen.“

Die Stadt verspricht hingegen, dass nach dem Neubau für die ehemaligen Bewohner*innen des Metzgergrüns weiterhin niedrige Mieten angeboten werden können. Ein Versprechen welches Martin Horn auch ausführte:

„Also erstmal die Zahlen, wir haben aktuell 250 Wohnungen hier im Quartier, wir haben perspektivisch 550, also das heißt wir Verdoppeln die Wohnungen wir haben von den 550 mindestens 50% sind gefördert über mindestens 25 Jahre. Das heißt wir haben erstmal mehr Wohnungen und wir haben mehr sozial geförderte Wohnungen, das ist erstmal ein Fakt.

Klar ist aber auch das wir, wir haben hier ein paar Wohnungen die Kosten 300€. Wenn man das Runter rechnet, sagt die Stadtbau aber das die zukünftigen, dieselben, wir brauchen ja viele kleine Wohnungen von diesen 550, die werden ebenfalls so günstig bleiben, die Nebenkosten werden zum Teil deutlich geringer sein. Das heißt, hier bekommt man im Idealfall für verhältnismäßig die gleiche Wohnung auf einmal eine Barrierefreie Wohnung wo man weniger heizen muss, die Rollstuhlgerecht ist, perspektivisch gerade für ein verhältnismäßig altes Quartier...“

Schön klingende Worte, von denen der ein oder andere Besucher bei eben der Veranstaltung wo sie gefallen sind, nicht so viel hält:

„Da gibt es so viele Rentner und alles, und auch Leute die von der Grundsicherung leben. Dann sind die Mieten die dann Verlangt werden, sind so hoch, da müssen sie Aussziehen, die Leute, die Rentner. Weil die Forderungen sind zu hoch, die Grundsicherung deckt das nicht ab. Dann ist es egal ob das eine Zweizimmerwohnung ist oder nicht, dann bist du am Arsch. Dat sind alles Versprechungen, die nicht gehalten werden.“

Der Protest, den die Interessengemeinschaft Metzgergrün auf die Beine gestellt hat, zeigt wie gut sie tatsächlich in den so hochgelobten Diskussionsprozess einbezogen wurden. Mit der Ausklammerung des Metzgergrüns bei weiteren Debatten um die Gestaltung des Stühlingers wird so die Frage nach dem Erhalt des sozialen Milieus als, zumindest teilweise, schon längst vom Tisch behandelt. Durch die fehlende Abdeckung bei der Haushaltsbefragung können dabei logischerweise auch keine unangenehmen Ergebnisse produziert werden.

Der Inhalt des Fragebogens Arbeit sich auch entsprechend den Stadtplanerischen Vorstellungen an einen vorgegebenen Katalog an Kriterien ab und fragt nicht wirklich nach, ob die Befragten mit diesem Kriterienkatalog überhaupt Einverstanden sind. So wird eben nicht gefragt, ob die zu erhaltende Sozialstruktur auch der gewünschten Sozialstruktur entspricht, noch kann bei Wünschen an bessere Ausstattungen der Wohnung oder besserer Erreichbarkeit von Einkaufs- und Kulturangeboten die fehlende finanzielle Möglichkeiten dazu geäußert werden. Die Frage 17 des Bogens lautet: „Wünschen sie sich eine Verbesserung der Ausstattung […], auch wenn damit eine Mieterhöhung verbunden sein sollte?“. Die Nuance, ob nun eine Mieterhöhung überhaupt bezahlbar ist oder nicht, wird dabei verwischt mit der Überlegung, ob man diese bei besserer Ausstattung zahlen würde, wenn man es sich leisten könnte. Eigentlich zwei unterschiedliche Fragen, welche davon nun die Ausfüllenden beantworten, bleibt unklar.

Sollte doch eine soziale Erhaltungssatzung kommen verspricht sich die Stadtverwaltung auch mehr als das genannte Genehmigungsverfahren. So beschreibt die Pressestelle das verfügbare Instrumentarium ausführlich:

„Die Verwaltung sucht stets das Gespräch mit den Antragstellenden, um einvernehmliche Lösungen im Sinne der Ziele des Milieuschutzes zu erreichen und einen Stillstand zu vermeiden. Die Ertüchtigung des Gebäudebestandes ist z.B. auch unter Klimaschutzaspekten grundsätzlich erwünscht. Um die Ziele einer Sozialen Erhaltungssatzung zu erreichen, sind daher auch sog. „Abwendungsvereinbarungen“ zwischen Stadt und Eigentümer/Bauherrschaft möglich. Solche Verträge ermöglichen die Verwirklichung konkreter Baumaßnahmen unter Einhaltung bestimmter städtischer Vorgaben, die eine sozialverträgliche Umsetzung der Maßnahmen gewährleistet und eine Verdrängung des betroffenen „Milieus“ aus seinem Quartier verhindert. Im Geltungsbereich einer Sozialen Erhaltungssatzung hat die Stadt zudem ein Vorkaufsrecht für ein bebautes oder unbebautes Grundstück; das kann sie auch zu Gunsten eines Dritten ausüben.“

Sollte also eine Erhaltungssatzung kommen, könnten Maßnahmen eingeleitet werden welche auch Mieterhöhungen verlangsamen oder gar verhindern könnten. Während also die Verwaltung das Vorkaufsrechts für Mietshäusersyndikate nutzen könnte, können genauso gut teure Modernisierungen trotzdem auf die Mieter*innen umgelegt werden, wenn sie „dem Umweltschutz“ dienen und angeblich „sozialverträglich“ seien.

Doch wie effektive diese rechtlichen Mittel wirklich angewandt werden bleibt fraglich, so hat gerade erst die Gruppe „Wohnraum Gestalten“ bei der Hausbesetzung in der Guntramstraße auf eine Entmietung mit Sanierung und teurer Neuvermietung hingewiesen, welche auch rechtlich gesehen mindestens fragwürdig war wenn nicht gar gänzlich illegal. Konsequenzen für den Besitzer, der Mieter*innen aus der Wohnung rausgeworfen hatte und Eigenbedarf vorgetäuscht hatte für die teure Sanierung, gab es bisher keine die RDL bekannt wären.

Diesen Sommer zeigt sich, wie es bei der Frage nach einer sozialen Erhaltungssatzung weitergeht. Auch ob es bei dem definierten Kernbereich im Stühlinger bleibt, wird die Haushaltsbefragung zeigen. Alleine sich auf diese Satzung als Mittel gegen die extrem hohen Mietpreise im betroffenen Gebiet zu verlassen dürfte jedoch sicher nicht reichen, um die Mietpreisentwicklung aufzuhalten.