"Grün-Schwarz" und die unverantwortliche Freigabe von Atommüll

"Grün-Schwarz" und die unverantwortliche Freigabe von Atommüll

Wie aus einer Anfang Februar veröffentlichten Stellungnahme der baden-württembergischen "grün-schwarzen" Landesregierung hervorgeht, hält diese an ihrer seit vielen Jahren praktizierten unverantwortlichen Freigabe von Atommüll fest. Atommüll aus dem Abriß etwa des AKW Obrigheim oder des AKW Philippsburg soll auf oberirdischen Deponien eingelagert, beim Straßenbau verwendet, in Müllverbrennungsanlagen verbrannt werden. Radioaktiv kontaminiertes Metall wurde sogar schon zum Einschmelzen ins Ausland transportiert.

Auf der Grundlage des wissenschaftlich nicht haltbaren "10-Mikro-Sievert-Konzepts" wird in Baden-Württemberg Atommüll freigemessen, um diesen so als "radiologisch unbedenklich" deklarieren zu können. Im März 2021 empörten sich BürgerInnen im Enzkreis darüber, daß ihnen "freigemessener" radioaktiver Schutt aus dem Abriß des AKW Philippsburg aufgezwungen wird. Deshalb hatten sich Kreistag und Verwaltungsspitze dagegen ausgesprochen, strahlenden Müll auf der Deponie Hamberg in Maulbronn abzuladen.

In ihrer aktuellen Stellungnahme behauptet die baden-württembergische Landesregierung: "Auch heute gibt es keine wissenschaftlich begründeten Zweifel an der Anwendbarkeit des 10-Mikro-Sievert-Konzepts." (Landtag-Drucksache 17/1461) Unterzeichnet ist diese Stellungnahme von "Umwelt"-Ministerin Thekla Walker. Sie ignoriert dabei die schon seit geraumer Zeit vorliegenden Expertisen der Umweltschutz-Organisation BUND und der ÄrtzInnen-Organisation IPPNW. Aus diesen geht eindeutig hervor, daß bereits die Radioaktivität der Hintergrundstrahlung zu epidemiologisch nachweisbaren Gesundheitsschäden führt. Das als Rechtfertigung des "10-Mikro-Sievert-Konzepts" vorgebrachte Argument, eine Strahlenbelastung, die sich "nur" im Dosisbereich der "natürlichen Strahlenbelastung" bewege, könne "außer Acht gelassen werden", ist aus wissenschaftlicher Sicht daher obsolet.

Gesundheitliche Schäden beim Menschen nach der Einwirkung von Niedrigdosisstrahlung sind seit langem bekannt. Transgenerationelle und damit genetisch fixierte Strahlenschäden sind vielfach dokumentiert. Viele weitere Untersuchungen sprechen für genetisch und epigenetisch bedingte Langzeitschäden. Das Kollektivdosiskonzept ist gesicherter Stand der Wissenschaft für die quantitative Abschätzung stochastischer Strahlenschäden. Umfangreiche klinische Arbeiten bestätigen das Linear-No-Threshold-Modell (LNT), d.h. daß es keine Schwellendosis gibt, unterhalb derer ionisierende Strahlung ungefährlich ist.

Ministerin Walker beruft sich in ihrer Stellungnahme auch auf ihren Amtsvorgänger Franz Untersteller, der am 29. November 2017 ein "Fachgespräch" mit Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft und Vertreterinnen und Vertretern der Strahlenschutzkommission (SSK) geführt habe. Im Anschluß an dieses Gespräch habe der Vorstand der Bundesärztekammer in einem Beschluß festgehalten,daß "das international gebräuchliche und bundesweit gültige 10 Mikrosievert-pro-Jahr-Konzept bei freigegebenen Abfällen aus dem Rückbau von Kernkraftwerken das mögliche Risiko der Bevölkerung auf ein vernachlässigbares Niveau senkt."

Festzuhalten ist jedoch, daß im Mai 2017 der Deutsche Ärtzetag in Freiburg öffentlich Stellung gegen die Verteilung von schwachradioaktivem Atommüll auf oberirdische Deponien bezogen hat. Und im März 2018 widersprach auch Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, der Position des pseudo-grünen Atom-Ministers Franz Untersteller. Öffentlich stellte Ärztekammerpräsident Dr. med. Ulrich Clever klar: Die Haltung des baden-württembergischen Landesumweltministers Franz Untersteller, der gering radioaktive Abriß-Müll würde in seiner strahlenden Wirkung im "Rauschen der Hintergrundstrahlung" untergehen, ist schlicht falsch.

Anfang Februar 2018 fand in Stuttgart auf Einladung des Umweltausschusses der Landesärztekammer ein wissenschaftliches Fachsymposium statt. In seinem Resümee der Veranstaltung hielt Clever fest, daß es keine unschädliche ionisierende Strahlung gibt. Wie jede Strahlung müsse auch die des atomaren Abriß-Mülls als zusätzliche Strahlung betrachtet und in der Folgenabschätzung addiert werden. Clever unterstützt damit die Position der IPPNW und anderer ÄrztInnen-Initiativen, die sich aus präventiv-medizinischen Gründen gegen die Verbringung von Atommüll auf Hausmülldeponien, in die Wiederverwertung oder in die Müllverbrennung aussprechen.

Am 8. Februar ging nun auch der BUND Hessen an die Öffentlichkeit und erklärte das hessische  Konzept für die Handhabung von freigemessenem Atommüll für gescheitert. "Wir erwarten heftigen Widerstand der Betreiber von  Müllentsorgungsanlagen gegen die beabsichtigte Verteilung von Atommüll  auf Mülldeponien und Müllverbrennungsanlagen", sagt Dr. Werner Neumann, Atomexperte im hessischen Landesvorstand des BUND. Am 13. Januar hatte die hessische "Umwelt"-Ministerin Priska Hinz öffentlich eingestehen müssen, daß von 200 angefragten Deponiebetreibern keiner bereit war, den "freigemessenen" Atommüll anzunehmen. Eine Abfrage des BUND-Landesverbandes Hessen hat zudem ergeben, daß auch die Betreiber der hessischen Müllverbrennungsanlagen keinen radioaktiven Abfall annehmen wollen, auch wenn dieser aufgrund der Freimessung als "radiologisch unbedenklich" gekennzeichnet ist. Neumann erklärte am 8. Februar: "Stand der Wissenschaft ist, daß auch kleinste Strahlendosen schwere Erkrankungen hervorbringen können. Wir haben doch nicht für den bald erreichten Ausstieg aus der Atomstromerzeugung gekämpft, damit danach der Atommüll unter der Bevölkerung und in der Umwelt verteilt wird."

Aus der Stellungnahme der baden-württembergischen Landesregierung geht zudem hervor, daß der Deckel des Reaktordruckbehälters aus dem AKW Obrigheim, der laut offiziellen Angaben bereits im Jahr 2014 zum Einschmelzen in die USA transportiert wurde, nicht einmal die Anforderungen des 10-Mikro-Sievert-Konzepts erfüllte und daher auch nicht "freigemessen" war. Der Transport dieses radioaktiv kontaminierten Metalls mit einem Gewicht 65,9 Tonnen und einer Strahlenbelastung von 7 Giga-Becquerel erhielt eine Genehmigung aufgrund von Paragraph 9a Absatz 1 des Atomgesetzes (AtG). Voraussetzung einer solchen Genehmigung wäre jedoch die im Gesetz vorgeschriebene "schadlose Verwertung". Es kann allerdings nicht mehr nachgewiesen werden, wofür das Metall in den USA verwendet wurde. Nicht auszuschließen ist, daß es im Metall-Recycling landete.

Es ist Stand der Wissenschaft, daß radioaktives Metall aus dem Abriß von Atomkraftwerken auch nach der Behandlung durch Einschmelzen, dem Abtrennen radioaktiver Schlacke und anschließendem "Freimessen" den Alphastrahler Plutonium enthalten kann. Plutonium kann so durch die seit Jahren in Deutschland gängige Praxis ins Metallrecycling eingeschleppt werden und schließlich auch in Gebrauchsgegenständen des Alltags wie etwa Kochtöpfen enthalten sein.

Auch die Zusage, die radioaktive Schlacke, die beim Einschmelze anfällt, werde nach Deutschland rücktransportiert, wurde nicht eingehalten. So mußte schon die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage hin eingestehen, daß bisher keine solche Schlacke aus dem Ausland nach Deutschland rückgeholt wurde. Und nun mußte auch die baden-württembergische Landesregierung bestätigen: Die beim Einschmelzen des radioaktiv kontaminierten Metalls in den USA angefallene radioaktive Schlacke wurde in den vergangenen sieben Jahren nicht nach Baden-Württemberg transportiert. Von "schadloser Verwertung" kann also keine Rede sein.

Schon im Jahr 2007 wurde radioaktiv kontaminiertes Metall aus dem Abriß des AKW Stade zum Einschmelzen nach Schweden transportiert. Ziel war die Schmelzanlage der Vattenfall-Tochter Studsvik AB in Nyköping. Im Jahr 2016 übernahm der französische Strom-Konzern und AKW-Betreiber EdF vom schwedischen Konzern Vattenfall die Schmelzanlage Studsvik AB und benannte sie in Cyclife AB um.

Am Standort des im Jahr 2020 stillgelegten AKW Fessenheim - nur 24 Kilometer vom Stadtzentrum von Freiburg entfernt - soll eine Schmelzanlage mit der euphemistischen Bezeichnung "Techno Centre" errichtet werden. Diese Schmelzanlage ist dazu bestimmt, radioaktiv kontaminiertes Metall aus dem Abriß von Atomkraftwerken einzuschmelzen, um es danach dem Metall-Recycling zuzuführen.

Am 18. Mai 2021 wurde bekannt, daß der Atom-Konzern PreussenElektra (vormals E.on) einen Vertrag abgeschlossen hat, um über 6000 Tonnen radioaktiv kontaminiertes Metall aus dem Abriß deutscher Atomkraftwerke an die Firma Cyclife AB im schwedischen Nyköping zu liefern. Da diese Anlage seit 2016 im Besitz der EdF ist, kann das Metall aus Deutschland über den Umweg Schweden am Ende im "Techno Centre" eingeschmolzen werden. Die Beteuerungen von deutschen PolitikerInnen, radioaktiv kontaminiertes Metall aus dem Abriß deutscher Atomkraftwerke werde niemals nach Frankreich geliefert, erweist sich vor diesem Hintergrund als wenig glaubwürdig.