Auch in diesem Jahr gibt der von Fachleuten um Mycle Schneider veröffentlichte World Nuclear Industry Status Report einen Überblick über den weltweiten Stand der Atomindustrie. Die 549 Seiten umfassende Analyse ist das ausführlichste einschlägige Dokument, das jährlich publiziert wird. Die Fakten sprechen deutlich für einen weiteren Abstieg der Atomenergie und keineswegs für die in jüngster Zeit von einer lautstarken Lobby verkündete "Renaissance der Kernenergie". Und entgegen dem Propaganda-Gipfel COP28 in Dubai ist unübersehbar, daß Atomenergie auch zum Klimaschutz auf absehbare Zeit nichts beitragen kann.
Nach dem sogenannten Welt-Klima-Gipfel COP21 im Jahr 2015 in Paris wurde in den Mainstream-Medien fälschlich und wiederholt behauptet, es sei ein "Klimaabkommen beschlossen" worden. Der weltweite Anstieg der Klimagas-Emissionen in den vergangenen 8 Jahren hat diese Aussagen Lügen gestraft. Zugleich hat sich in diesen 8 Jahren immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, daß diese Konferenzen lediglich dazu dienen, die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Da die menschengemachten klimatischen Veränderungen seit Langem wissenschaftlich bewiesen sind und nicht mehr geleugnet werden können, versuchen die Reichen und Mächtigen dieser Welt den Eindruck zu erwecken, sie wären bereit, die Treibhausgas-Emissionen freiwillig zu senken. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz schämte sich nicht, in Dubai großartig 100 Millionen US-Dollar zu versprechen, während gleichzeitig in Deutschland nach wie vor allein die klimaschädliche Luftfahrt-Branche jährlich mit über 10 Milliarden Euro subventioniert wird - dem Hundertfachen der genannten 100 Millionen.
Laut der aktuellen Ausgabe des World Nuclear Industry Status Report (WNISR) waren Mitte 2023 weltweit 407 Atom-Reaktoren am Netz, vier weniger als im Vorjahr und 31 weniger als im Jahr 2002. Vor 21 Jahren hatte die Zahl an Atom-Reaktoren weltweit mit 438 ihren Höchststand erreicht. Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung sank im Jahr 2022 um vier Prozent und damit sogar auf den niedrigsten Stand seit rund vier Jahrzehnten. Der Anteil an der weltweiten Stromproduktion beträgt nur noch knapp über neun Prozent. Zum Vergleich: Der Höchststand wurde 1996 mit 17,5 Prozent erreicht.
Bei einem Blick auf die Zahlen der vergangenen Jahre zeigt sich, daß die Atom-Branche es vor allem der chinesischen Politik zu verdanken hat, daß die Atomenergie nicht stärker einbrach. Von insgesamt weltweit 99 Atom-Reaktoren, die in den zehn Jahren von 2003 bis 2022 in Betrieb gingen, wurden allein 49 - also rund die Hälfte - in China errichtet. Den 99 Inbetriebnahmen standen weltweit 105 Stilllegungen gegenüber.
Die erneuerbaren Energien haben die Atomenergie beim Ausbau schon seit Langem überholt, weil sie Strom deutlich kostengünstiger erzeugen können - auch in China. Ohne massive staatliche Subventionen vor allem der Regierungen, die über Atomwaffen verfügen, wäre die Atomenergie längst am Ende. Mit Blick auf die USA analysiert der WNISR: "Wenn man zu den nicht subventionierten Solar- und Windenergieanlagen in den USA mit Gesamtkosten von 45 bis 140 US-Dollar pro Megawattstunde die schnell sinkenden Kosten für den Netzausgleich (zum Beispiel für die Speicherung oder den zusätzlichen Strombezug) hinzurechnet, sind diese immer noch billiger als neue Atomkraftwerke mit durchschnittlichen 180 US-Dollar pro Megawattstunde." Nahezu alle derzeit weltweit im Bau befindlichen Atomkraftwerke werden daher von Staats-Konzernen vorangetrieben oder mit staatlichen Geldern finanziert.
Der WNISR zeigt auf, daß die weltweiten Investitionen in die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) 2022 einen neuen Rekord von 495 Milliarden US-Dollar erreichten. Dies ist 14 Mal so viel wie die Summe sämtlicher gemeldeter Investitions-Entscheidungen für den Bau von Atomkraftwerken. Allein Windkraftanlagen und Photovoltaik erreichten einen Anteil von 11,7 Prozent an der Stromerzeugung. Kleinwasserkraft, Biogas und Kraft-Wärme-Kopplung kommen hier noch hinzu. Diesen 11,7 Prozent stehen nur mehr 9,2 Prozent der Atomenergie bei der Stromerzeugung gegenüber.
Mycle Schneider vom WNISR-Team erklärte mit Blick auf die beim COP28 in Dubai verbreitete Propaganda von der Atomenergie als Klimaretter: "Nehmen wir einmal an, daß alle derzeit in Betrieb befindlichen Reaktoren bis zum Ende ihrer genehmigten Laufzeit betrieben werden könnten, was angesichts der bisherigen Erfahrungen sehr unwahrscheinlich ist. Dann müßte die Atomindustrie in den nächsten 27 Jahren 270 Reaktoren fertigstellen - also zehn pro Jahr, nur um das heutige Niveau zu halten." In den vergangenen beiden Jahrzehnten waren es jedoch nur durchschnittlich fünf pro Jahr - also gerade einmal die Hälfte. Für einen Anstieg der weltweiten Atomstrom-Produktion wären aber deutlich mehr als zehn neue Atomkraftwerke pro Jahr erforderlich. Dennoch verkündet die Atom-Lobby Ausbau-Fantasien, die völlig realitätsfremd sind. Die Atomstrom-Produktion soll bis 2050 verdreifacht werden. Um dies zu erreichen, müßten bis 2040 selbst bei einer wenig realistisch angesetzten AKW-Bauzeit von zehn Jahren - also innerhalb von 17 Jahren - insgesamt 1094 Atom-Reaktoren und damit jährlich 64 statt fünf in Bau gehen.
"Alles Gerede von einer Renaissance der Atomkraft ist reine Augenwischerei und dient nur dazu, vom tatsächlich Notwendigen abzulenken, ohne etwas für den Klimaschutz etwas zu bewirken," kommentiert Jonas Korn vom KlimaKollektiv Lüneburg.