Radfahren als Aufbruch zu Anarchie und Freiheit: Nun wachsen uns Flügel - Ein amouröser Roman

Nun wachsen uns Flügel - Ein amouröser Roman

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Maurice Leblanc, vielen bekannt durch seine berühmten Arsène Lupin - Krimis, hat diese kleine Hymne auf das Radfahren 1898 in Frankreich veröffentlicht. Untertitel: Ein amouröser Roman. Zwei Pariser Paare machen sich zu einer Radtour in die Bretagne auf. Durch die neue Pneumatikbereifung wird Radfahren gerade beliebter denn je. Und ganz im Geist der Jugendstil-Zeit erleben die vier die Tour als Aufbruch in eine wilde Freiheit. Naturschwärmerei, die Entdeckung des Ichs und die Entgrenzung des menschlichen Seins sind Leblancs Themen. Man möchte mitradeln. Rezensentin Birgit Huber ist begeistert:

Ihr plant eine Radtour, liebe Hörerinnen und Hörer? Vielleicht in Frankreich? Dann fahrt nicht ohne dieses Buch. Denn „Nun wachsen uns Flügel“ ist eine Hymne auf die Freiheit des Menschen. Und wer ist die Befreierin? La bicyclette. Das Fahrrad.

Zwei Paare radeln Ende des 19. Jahrhunderts, durch die Normandie in die Bretagne. Madeleine und Guillaume, sowie Régine und Pascal. Zuerst war nur eine Dreitagestour geplant. Und selbst die scheint ein ungeheures Wagnis. Schließlich verlässt man die reglementierte Pariser Gesellschaft und begibt sich mittels der eigenen Körperkraft in die Natur. Aller Anfang ist denn auch schwer und nach dem ersten hügeligen Tag sind die vier kurz vor dem Aufgeben. Doch sie überwinden das Tief und von da an, wird das Radeln mehr und mehr zum Rausch. Schnell ergibt es sich, dass Madeleine mit Pascal radelt, verbindet sie doch eine gewisse Ernsthaftigkeit. Régine und Guillaume sind dagegen leichtlebiger und radeln zusammen vorneweg. Mehr sei über diese Umpaarung nicht verraten aber ich denke, ihr könnt eins und eins zusammenzählen. Es handelt sich schließlich um einen amourösen Roman laut Untertitel.

Die eigentliche Hauptperson aber ist das Fahrrad. Der Autor Maurice Leblanc, bekannt durch seine Arséne Lupin Krimis, war freigeistiger Sozialist und er sah im Fahrrad, das in den 1890er Jahren durch die neue Pneumaticbereifung seinen Siegeszug antrat, ein wunderbares Werkzeug der Anarchie.

Denn es machte mobil, autonom und individuell. Und das spüren auch unsere vier, insbesondere der ruhige und steife Pascal ergeht sich in Lobeshymnen auf das Radfahren:

Zitat S. 45

Ungeahnte Freiheiten ergeben sich auch für die zwei Frauen. Korsett? Vergangenheit. Die langen Röcke werden gegen Pumphosen ausgetauscht. Insbesondere Regine ist wie losgelassen. Sie badet ihre nackten Füße im Bach. Unerhört. Sie wäscht sich am Brunnen vor den Augen der schockierten Landbevölkerung. Und irgendwann fliegt sie barbusig auf dem Fahrrad dahin. Freikörperkultur, Naturschwärmerei und die Entdeckung eines freien Ichs sind Maurice Leblancs Themen. Und geschwärmt wird viel, durchaus überschwänglich. Mich hat dieser kleine Roman trotzdem berührt. Denn der Aufbruch der vier in eine wilde Freiheit erinnert daran, wie es sein könnte und wie viele Rückschritte es seitdem gegeben hat.

Ganz konfliktfrei geht die Frauenbefreiung übrigens nicht vonstatten. Regines Eskapaden werden von ihrem Ehemann Pascal als niedere Natur verurteilt, während er natürlich der hohen Natur huldigt. Er kämpft mit Eifersucht und männlichem Ehrgefühl. Aber auch diese Fesseln werden irgend wann über Bord geworfen..

Dies alles liest man nicht nur, man sieht es auch. Denn das Buch ist bebildert mit Jugendstilzeichnungen von Lucién Metivet die nicht nur die Fahrradtechnik sondern auch das Sujet der Freiheit im Kampf gegen Drachen und die Ketten der Gesellschaft illustrieren. Und hier muss jetzt noch ein Loblied auf den Maxime-Verlag gesungen werden, der sein Programm übrigens komplett dem Fahrrad widmet. „Nun wachsen uns Flügel“ hat der Verlag in der französischen Originalausgabe von 1898 in einer Sportbibliothek entdeckt und neu aufgelegt, übersetzt von Una Pfau und Matthias Kielwein. Herausgeber Elmar Schenkel erläutert in einem lesenswerten Nachwort, wie der Roman die geistigen und kulturellen Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts einfängt.

Darüberhinaus macht es einfach Spaß, das Buch zu lesen:

Maurice Leblanc, „Nun wachsen uns Flügel“ im Original 1898 und im maxime Verlag auf deutsch 2015 erschienen. Und damit ihr ein für allemal wisst, was ihr an eurem Fahrrad habt, ende ich mit einem letzten Zitat:

S. 141