Die Neue Demokratie in Griechenland: Räumungsdrohung gegen Exarchia

Räumungsdrohung gegen Exarchia

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Besetzter Garten in Exarchia
Ein Besetzer Garten im Viertel Exarchia
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Tomislav Medak

Bei den Wahlen am 7. Juli dieses Jahres gewann die Partei „Nea Dimokratia“ 158 Sitze im griechischen Parlament. Statt der, im Zuge der Antiausteritätsproteste an die Macht gekommene linke Partei Syriza kam damit die Mitte-Rechts-Partei an die Macht, welche schon vor der Krise bis 2015 die Regierung in Griechenland gestellt hatte.

Obwohl sie sich selbst als Mitte-Rechts sieht und so auch beschrieben wird, ist die Agenda der Nea Dimokratia jedoch stark beeinflusst durch nationalistische, xenophobe und repressive Inhalte von der durchaus populären und faschistischen Partei „Goldene Morgenröte“. Wirtschaftlich setzt sie sich hingegen für eine neoliberale Politik zum Vorteil der internationalen Konzerne ein.

Die neue Linie der neuen Regierung wurde schnell offensichtlich: Am 26. August wurden vier besetzte Häuser im Athener Stadtviertel Exarchia mit einem Großeinsatz der Polizei geräumt. Einige dieser Häuser beherbergten Geflüchtete, welche nun wieder in den Lagern der griechischen Regierung eingesperrt sind. Die Autonomie der Universitäten wurde per Gesetz insoweit eingeschränkt, das die Polizei nun auf Universitätsgelände darf ohne Erlaubnis des jeweiligen Dekans. Den ersten vier Räumungen folgten weitere Häuser, unter anderem ein Haus am 24. September in dem 56 minderjährige Geflüchtete gewohnt hatten.

Eben dieses Stadtviertel, Exarchia, ist derzeit das Hauptziel einer politischen Repressionskampagne unter Führung der Nea Dimokratie. Am letzten Freitag, den 22. November, setzte die Regierung den anderen besetzten Häusern eine Frist: Bis zum sechsten Dezember sollen sie entweder eine Einigung mit den Eigentümern finden, oder sie würden geräumt werden.

Exarchia ist weltweit vielen bekannt als ein Zentrum für antiautoritäre, anarchistische Praxis. Über viele Jahre haben dort nun Anarchist*innen und geflüchtete zusammen gearbeitet, um Häuser zu besetzen, Wohnkollektive zu gründen und soziale Zentren zu schaffen, welche eine Vielzahl an Angeboten jenseits staatlicher Kontrolle anbieten.

In einem interview mit dem anarchistischen kollektive Crimethinc aus der USA beschreibt ein Anarchist aus Exarchia das Viertel so:

„Die meisten Leute außerhalb Griechenlands verstenen nicht, dass Exarchia ein sehr großes Viertel ist. Es ist nur fünf Minuten zu Fuß von dem teuersten Teil des Stadtzentrums, Colonaki, entfernt. Colonaki ist ein Viertel, welches vergleichbar ist mit Manhattens Upper West Side, dort leben Menschen aus der oberen Mittelschicht. Die Anarchistische Bewegung entstand in den 70er Jahren aus der studentischen Widerstandsbewegung gegen die faschistische Militärdiktatur, deren Zentrum die nahegelegene Universität für Architektur war, das Polytechnio. Bis dahin war Exarchia sozusagen eine erweiterung von Colonaki. Seit den 70ern wurde das Viertel dann zum Treffpunkt für Anarchist*innen und Hausbesetzer*innen, aber auch für Menschen die sich für Theater interessieren, linke, intellektuelle, Künstler*innen und auch einfach die Gäste einer reihe von alternativen Bars. Exarchia ist genauso als Ziel für das Nachtleben an den Wochenenden bekannt als für Ausschreitungen und besetzte Häuser.“

Gerade hier, in diesem Viertel will die neue Regierung Härte Demonstrieren. Denn sie mystifizieren es als den Feind aller griechischen Zivilisiertheit und als das Epizentrum aller Dinge, die links oder anarchistisch sind. Die Polizei scheint diesem vorgehen bereitwillig zuzustimmen, fühlte sie sich doch von Syriza verraten, welche, aus Sicht der Polizei, die Angriffe auf die Bereitschafspolizei rund um das Viertel während den letzten Jahren geduldet habe.

Wie es zu dieser Lage kam, versuchte Spiros Daperolas von dem anarchistischen Kollektiv Rouvikonas (dt. Rubikon) in einem Interview mit dem Magazin Ajour aus der Schweiz zu erklären:

"Um die aktuelle Situation zu verstehen, müssen wir auf die Zeit des Aufstiegs von Syriza zurückblicken. Die Anti-Austeritätsbewegung war damals sehr stark, es war eine Periode intensiver sozialer Kämpfe. Die antagonistischen Kräfte sind aber daran gescheitert, eine Strategie zu finden. Die Lösung, die Syriza anbot, schien deshalb alternativlos. Syriza übernahm und kanalisierte die Anti-Austeritäsbewegung. Das ist die historische Rolle der Sozialdemokratie. Sie übernehmen die Führung in den Perioden sozialer Kämpfe, übernehmen die Staatsmacht und befrieden die Kämpfe.

Syriza kam mit dem Versprechen an die Macht, das Spar-Diktat der EU zu brechen – und sie haben genau das Gegenteil getan. Die darauffolgende Enttäuschung führte zu einer starken Demobilisierung. Davon hat die Rechte profitiert. Sie ist nun wieder an der Macht. Das ist der Tango der bürgerlichen Demokratie. Natürlich haben die Sozialdemokratie und die Rechte politische Differenzen, aber in historischer Perspektive bedingen sie sich gegenseitig.

Es gibt viele Menschen, deren Glauben ans politische System nachhaltig zerstört wurde. Und es gibt auch viele Menschen, die von den neoliberalen Angriffen der neuen Regierung betroffen sind. Diese hat nämlich begonnen, die verbliebenen sozialen Sicherheiten anzugreifen. Diese Leute wollen wir erreichen.

In gewisser Hinsicht, und das mag seltsam klingen, sind wir auch froh über den Regierungswechsel. Syriza und die Sozialdemokratie haben auch unterdrückt, aber auf eine subtilere Art. So sind unter Syriza mehr Besetzungen geräumt worden, als unter der vorherigen rechten Regierung. Sie haben das aber nicht öffentlich beworben. Die Nea Dimokratia hingegen bewirbt öffentlich eine Law-and-Order-Politik, um damit konservative und rechte Stimmen zu gewinnen. Tatsächlich ist die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte bei den Wahlen kollabiert. Ihre Wähler sind zur Nea Dimokratia übergelaufen."

Die gewählte Frist für die besetzten Häusern ist hier auch gleich zweifach brisant. Am 6. Dezember vor 11 Jahren wurde Alexandros Grigoropoulos von zwei Polizisten in Exarchia erschossen, nachdem diese gezielt versucht hatten eine Gruppe jugendlicher zu provozieren. Als Reaktion auf die Ermordung folgten nicht nur die Ausschreitungen im Dezember 2008, sondern auch die jährlichen Gedenkproteste, welche seither am 6. Dezember an die Ermordung des Studenten durch die beiden Polizisten erinnern.

Erst zuletzt, am 17. November, den Jahrestag zum Aufstand gegen die Militärdiktatur 1973, hatte die Regierung die Lage eskalieren lassen. Die Polizei umstellte das Polytechnico, von dem 1973 der Aufstand ausging, während der Demonstration anlässlich des Jahrestages. Auch hier und in den Tagen danach kam es zu Ausschreitungen und heftiger Polizeigewalt.

Die täglichen Angriffe, regelmäßige Razzien und starke Polizeipräsenz zeigt klar, dass die Regierung an ihrer Law & Order Taktik in Exarchia festhalten möchte. Für die Anarchist*innen in Exarchia ist aber auch klar: Sie werden ihr viertel gegen die Polizei verteidigen. Wie die Lage jedoch am 6. Dezember aussieht, wie die Polizei vorgeht und welche Reaktion dies auslöst, ist derzeit noch offen.