Nach der Ermordung des Jugendlichen Nahel M. in Nanterre befindet sich Frankreich in Aufruhr. Am Dienstag hatte ein Polizist den unbewaffneten Jugendlichen, der sich am Steuer eines Mietwagens einer Kontrolle durch zwei Polizeibeamte entziehen wollte, aus nächster Nähe erschossen. Nach der Veröffentlichung von Videos, die die von den Motorradpolizisten behauptete Notwehrsituation ausschließen, wächst die Kritik an einer autoritären Ordnungsdoktrin der Regierung. Die seit Jahren offensichtliche Verachtung und oftmals rassistische Gewalt der Polizeikräfte, besonders gegenüber BewohnerInnen der Vorstädte, hat in den letzten Jahren laut der Organisation Désarmons-les und dem Medienportal BastaMag massiv zugenommen.
Die zweite Nacht in Folge wurden französische Vorstädte von heftigen Auseinandersetzungen geprägt. In zahlreichen Vororten der Hauptstadt gingen öffentliche Gebäude und Fahrzeuge in Flammen auf. CRS-Einheiten mussten sich unter dem Beschuss von Mörsern teilweise zurückziehen. Die Aufstände weiteten sich in der Nacht zum Donnerstag aus. Unter anderem in Toulouse, Amiens, Lille und Nantes wurden heftige Auseinandersetzungen vermeldet, es kam zu mindestens 150 Festnahmen.
In den vergangenen Monaten prägte eine umfassende Verachtung der sozialen Bewegung, Verbotspolitik gegen unliebsame Organisationen und eine harte Gangart der Polizeieinheiten auf der Straße die Politik des Regimes. Macrons jüngster Besuch in den Vorstädten von Marseille, bei der Hundertschaften der Bevölkerung ein Verlassen ihrer Wohnungen unterbinden musste, steht exemplarisch für die wachsende Kluft zwischen der Regierung und der französischen Bevölkerung.
Zwar wurde der 38-jährige Todesschütze Florian M. in Gewahrsam genommen und sogar Präsident Macron und Innenminister Darmanin sprachen angesichts des Polizeimordes von einem „unwürdigen Verhalten“. Doch die Glaubwürdigkeit der Regierung, begleitet von unsäglichen Relativierungen der Polizeigewalt vonseiten der rechten Medienlandschaft, nimmt weiteren Schaden. Angehörige des ermordeten Nahel mobilisieren am Donnerstagnachmittag zu einem Schweigemarsch in der Pariser Vorstadt Nanterre. BeobachterInnen rechnen mit einer weiteren Eskalation. LS