Wer sind diese brasilianischen Fußballfans, die so Stolz auf ihre Nationalität sind und die während der MännerWM in die Stadien gehen? Sie haben bereits mit Beschimpfungen der Präsidentin Dilma und mit Buhrufen bei der chilenischen Nationalhymne für Skandälchen gesorgt. Außerdem haben sie sich unfähig gezeigt, die brasilianische Nationalmannschaft in schwierigen Momenten anzuspornen...
„Hey Dilma, fick Dich!“
Das war beim Eröffnungsspiel in São Paulo, bei der die Fans die anwesende Präsidentin Dilma Roussef aus Gröbste beleidigten.
Die Antwort auf die Frage - wer sind die Fans? - hängt mit den Eintrittspreisen, welche die Internationale Fußballföderation FIFA verlangt, zusammen. Diese läßt die MännerWM 2014 im sogenannten „Land des Fußballs“ auf der Skala der beliebten Sportereignisse weit nach unten rutschen.
Mit Eintrittspreisen bis zu umgerechnet etwa 650 € läutet die MännerWM in Brasilien den Beginn eines Prozesses ein, der bekannt ist als Elitisierung der Stadien. Diese stützt sich auf die Idee, Arenen mit einer für Familien einladenden Atmosphäre zu bauen. Dürfte schwierig sein, ein „familiäres“ Ambiente zu schaffen mit mehr als 50.000 Menschen auf einem Haufen ...
Gustavo Coelho ist Doktorant der Erziehungswissenschaften und forscht zum Verhalten von Fans und der Elitisierung von Stadien während der MmännerWM in der staatlichen Universität von Rio de Janeiro, UERJ. Für ihn ist das Stadion ein Ort, der geschaffen wurde, um den einen „lockeren Stil“ zu etablieren. Dabei sind gewaltsame Episoden Teil des Ganzen. Er hebt auch die Unterscheidung zwischen der Behandlung von politischen Demonstrationen hervor
"Die Architektur des Stadions ist eine Form, die die Gesellschaft gemacht hat - andere Formen sind z.b. traditionelle Feste, bei denen du auf den König schimpfen kannst undsoweiter – da wird die Hierarchie für eine begrenzte Zeit umgekehrt. Ein superbekannter Präsident läuft immer Gefahr, im Stadion beschimpft zu werden."
In einem gewaltvollen Ambiente betritt die weiße brasilianische Elite ein Klima der Demonstrationen und bringt den Protest auf die Sitzplatzreihen der Stadien. Aber ist das alles wirklicher Protest oder einfach ein Mangel an Respekt?
Voll mit Regeln in Bezug auf verschiedene Aspekte – inklusive dem Punkt in die nationale Souveränität einzugreifen – hat die FIFA sich sehr locker gezeigt, bei der Frage, was im Stadion gesungen werden kann. Sehr viel lockerer als bei nationalen und Landesmeisterschaften...
Gustavo Coelho erklärt die Starrheit und Bürokratie, die von der Militärpolizei in den stadien durchgesetzt wird. Dies passiere aufgrund der Überreste der Militärdiktatur, die in der Bundesrepublik Brasilien immer noch existieren. Coelho erinnert, daß politische Inhalte im Stadion verboten sind.
"Unsere Erfahrung in São Paulo und Rio de Janeiro – abar auch im ganzen Land – zeigen, daß Brasilien einer der diktatorischsten Staaten ist in Bezug auf das, was in den Sitzreihen gesungen werden kann. Jedwede politische Aussage ist tabu – und die FIFA ist lockerere als unsere eigene Militärpolizei. Hier geht es nicht nur um eine formale Frage des Fanverhaltens – das ist eine richtige Diktatur. Wir dürfen nicht das frei ausdrücken, was uns die Meinungsfreiheit verfassungsgemäß garantiert."
Gemäß Coelho ist das nicht erst seit Beginn der MännerWM in diesem Jahr so. Anders als in anderen Ländern wird ein politischer Inhalt verboten – selbst wenn die Kritik von der eigenen Nationalmannschaft geäußert wird. Das sei eine der vielen Widersprüche der FIFA.
Eine Erhebung unter den Leuten, die sich die Eintrittspreise in den Stadien leisten können zeigte, was allgemein vermutet worden war – die Mehrheit erklärt sich als weiß und zugehörig zur Ober- oder Mittelschicht. Die Elitisierung des Fußballs ist besorgniserregend und wir wissen nicht, was nach der MännerWM 2014 kommt.
Währenddessen scheint es aber so, daß die Proteste auf der Straße und bei den Fanfesten viel "brasilianischer" sind als der Sport an sich...
(pulsar)