Am Donnerstagabend sind in ganz Frankreich tausende Menschen gegen Polizeigewalt auf die Straße gegangen. An fast jeder Präfektur gab es Versammlungen als Reaktion auf die jüngsten Vorstöße von Innenminister Darmanin zur Auflösung der Umweltbewegung „Les Soulèvements des Terres“. Der Protest richtete sich auch gegen den massiven Einsatz von Gewalt der Polizei auf Demonstrationen. Bei den Versammlungen von über 25.000 UmweltschützerInnen gegen agro-industrielle Wasserspeicher im Département Deux-Sèvres waren am vergangenen Wochenende über 200 teils Schwerverletzte gemeldet worden. Etwa 5.000 Granaten wurden letzten Angaben zufolge verwendet. Funksprüche belegen die Verhinderung des Einsatzes von Rettungskräften durch die Polizeiführung. Die gefürchtete BRAV-M-Sondereinheit wurde gesichtet, wie sie von Quads im Vorbeifahren auf DemonstrantInnen schoss. Zwei Demonstranten befanden sich Mitte der Woche wegen der Verletzungen durch Blendschockgranaten, beziehungsweise Gummigeschossen, im Koma.
In Frankreich und auch international ebbt die Kritik an der Verwendung von Kriegswaffen auf Demonstrationen, sowie einem sehr militärischen Management von Großdemonstrationen, nicht ab. Nach der Menschenrechtsliga LDH und Journalismus-Verbänden, meldete sich sogar der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zum Umweltschutz Michel Forst zu Wort. Für ihn sei nicht nur die unverhältnismäßige Polizeigewalt scharf zu verurteilen. Auch das Gerede vom „Ökoterrorismus“ liege dem derzeitigen Innenminister Darmanin viel zu leicht auf der Zunge. Auf der anderen Seite sei der Widerstand auch in „illegalen Formen“ oftmals „legitim“. Bei den Demonstrationen am Donnerstagabend wurden die massive Repression und die Verbotsverordnung gegen die „Soulèvements de la Terre“ als Zeichen der Hilflosigkeit einer geschwächten Regierung gedeutet. Außerdem stand die Anteilnahme für die erneuten Opfer der Polizeigewalt im Zentrum.
Die Kampagne „Soulèvements des Terres“ unterstützt seit nunmehr zwei Jahren verschiedene lokale Kämpfe und Auseinandersetzungen in Sachen Ökologie. In allen Regionen des Landes gab es Mobilisierungen an der Seite der KleinbäuerInnen-Gewerkschaft „Confédération Paysanne“. Wiederholt bekamen die „Soulèvements“ mediale Aufmerksamkeit für ihre Interventionen. Sei es mit Landbesetzungen im Jura, „wildem Herbsten“ auf einem Weingut der Luxus-Kette LVMH in der Provence, Sabotageaktionen gegen die Zementfabriken von Holcim-Lafarge oder Demonstrationen für den Erhalt von selbstverwalteten Gärten in Besancon. Die vom Innenminsiter angeordnete Auflösung der „Soulèvements“ wäre nach „La Gale“, dem „Bloc Lorrain“ und „Nantes Révoltée“ das vierte Verbotsverfahren gegen linke Gruppierungen innerhalb von zwei Jahren.
Die sozialen Spannungen in Frankreich haben sich zuletzt an dem autoritär verordneten Rentenreformpaket entzündet. Wegen der Anhebung des Rentenbeitrittsalters auf 64 Jahre gehen seit Jahresbeginn Millionen auf die Straße. Zuletzt hatten sich die Spannungen mit Streiks und Blockaden auf fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgeweitet. Nachdem mit der wachsenden Beteiligung von SchülerInnen und StudentInnen weitere Themen in die soziale Bewegung eingeflossen waren, setzten die ländlichen Ausschreitungen um Wassernutzung in Sainte-Soline am Wochenende einen neuen Akzent. Nicht nur neoliberale Reformen und die autoritäre Regierungsweise von Macron, sondern auch die brutalen Einsätze der Ordnungsmacht sorgen in der Bevölkerung für wachsenden Unmut. (LS)