Glanz und Elend des Föderalismus – ein streitbarer Kommentar

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Glanz und Elend des Föderalismus – ein streitbarer Kommentar

In Corona-Zeiten ist eine Diskussion aufgekommen, ob der Föderalismus der Corona-Bekämpfung schadet oder vielmehr die Corona-Bekämpfung dem Föderalismus und wie schlecht das ist. In den Medien und von vielen Politiker*innen der Opposition wird das Durcheinander der Regelungen in Deutschland beklagt. Andererseits war im Frühsommer auch häufig zu hören, der Föderalismus habe sich in der Krise bewährt. Bei abstrakter Betrachtungsweise finden sich für beide Behauptungen Argumente. Ein föderal organisierter Staat kann besser auf lokale Unterschiede, etwa bei den Infektionszahlen reagieren. Andererseits führen viele verschiedene Regeln zur Verwirrung. Eine Regel, die in einem Bundesland gilt, im nächsten aber schon nicht mehr, genießt sicher weniger Akzeptanz und das überträgt sich leicht auf die Infektionsschutzmaßnahmen insgesamt. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass niemand genau weiß, wie sehr welche Maßnahme wirkt. Aber so ist es nun einmal und das föderale Durcheinander macht es nicht besser.

 

Das derzeitige Hauptproblem hat mit dem Föderalismus zu tun, ist aber nicht grundsätzlich ein Problem des Föderalismus. Die Länderfürsten und wenigen Fürst*innen haben die Corona-Maßnahmen als Möglichkeit zur Profilierung erkannt und sind schon deshalb schlecht unter einen Hut zu bringen. Söder gibt den harten, Laschet den weichen Ministerpräsidenten. Schaut man sich die Zahlen in ihren Ländern an, sind beide nicht besonders erfolgreich. Das Management läuft nicht gut. Viel wird publikumswirksam über Weihnachten und Neujahrsböller geredet wie man sich sonst an der Parole „Brot statt Böller“ echauffiert. Indessen werden die Betten in den Intensivstationen immer voller und das wird wohl noch eine Weile so weitergehen, wenn die Infektionszahlen nicht demnächst kräftig sinken. Doch da herrscht nur das Prinzip Hoffnung. Die Hoffnung nämlich, dass sich die Leute an etwas engere Beschränkungen der sozialen Kontakte vorwiegend im privaten Bereich auch halten. Beim Wort Weihnachten bekommt man in so ziemlich jedem Statement von Landesfürst*innen mehrere, bei Intensivstationen und Toten aber nirgends Treffer. Wenn das mal gut geht.

 

Schlechtes politisches Management kann es aber sowohl mit als auch ohne Föderalismus geben. Es ist nur Zufall, dass Merkel sich in einer Situation befindet, in der sie nicht nach kurzfristigem Applaus schielen muss und dass sie als gelernte Naturwissenschaftlerin, eher auf die langfristige Entwicklung von Zahlen schaut. Das lässt sie in der Pandemie mit Vorsicht agieren. Doch dann bremsen sie die Landesfürst*innen immer erst mal aus. Zwei Wochen später geben dann die Zahlen Merkel recht. Doch das müsste nicht so laufen. Das Umgekehrte, dass eine nicht besonders fähige Zentrale durch Landesteile zu mehr Einsatz angespornt wird, kann man derzeit in Großbritannien sehen.

 

Nun gilt der Föderalismus in Deutschland, insbesondere in der Linken, aber auch als eine Art antifaschistische Errungenschaft, ein Bollwerk gegen einen allmächtigen Einheitsstaat. Tatsächlich drängten die selbst föderalistischen USA nach dem 2. Weltkrieg gerade deswegen auf die Wiederherstellung der Bundesländer, um eine potentiell gefährliche Zentrale zu schwächen. Es war natürlich auch ein wenig wie bei Schutzmaßnahmen gegen eine Pandemie, man versuchte halt was man machen konnte, weil es keine Patentlösung gegen eine Rückkehr von Deutschland in seinen alten Zustand gab.

 

Aber könnte eine föderale Struktur an sich, ein Wiedererstarken faschistischer Kräfte verhindern? Wenn der Ansturm nicht zu stark ist und es irgendwie gut läuft, vielleicht ja. Andererseits könnte ein föderales System für eine faschistische Partei auf dem Weg Richtung Macht sogar nützlich sein. Bevor die faschistische Partei in der Lage ist, die Macht insgesamt an sich zu reißen, könnte sie in Teilen bereits die Möglichkeiten staatlicher Autorität ausnutzen. Auch eine Ausgrenzung zum Beispiel der AfD würde wesentlich schwieriger wenn sie eines der 16 Bundesländer erobern würde.

 

Es gibt auch ein historisches Beispiel. Die Einbürgerung des verurteilten Hochverräters Adolf Hitler durch den Freistaat Braunschweig wäre ohne föderale Strukturen nicht möglich gewesen. Die Weimarer Republik als Einheitsstaat hätte ihm den Weg an die Macht sicherlich schwerer gemacht. Nachdem die Nazis aber in Berlin die Macht hatten, war die Gleichschaltung der Länder kein Problem mehr. Das ist natürlich ein extremes Beispiel.

 

Hilft ein föderales System vielleicht gegen staatliche Rundumüberwachung und Autoritarismus? Vielleicht etwas, doch in der Praxis sind es nicht allgemeine politische Strukturen, sondern nur politischer Widerstand aus der Bevölkerung, was die Machtgelüste des Staates neutralisieren kann. Die Polizeigesetze der Länder sind kein Hort des Liberalismus. Die Überwachung des Internets macht schon an Staatsgrenzen nicht halt, föderale Strukturen helfen nur ein wenig, indem es halt viel mehr Datenschutzbeauftragte gibt, was nicht schaden kann.

 

Der Föderalismus hat theoretische Vorzüge. Dazu gehört die größere lokale Flexibilität. Der direkte Einfluss der Bürger*innen auf staatliche Entscheidungen wird größer, wenn diese nicht alle in einer fernen Zentrale getroffen werden. Ein föderales System ermöglicht es auch, verschiedene Ansätze etwa im Bildungssystem nebeneinander zu stellen. Doch in der Praxis lernen die Bundesländer nicht voneinander, denn das verbietet der politische Stolz.

 

Der Föderalismus hat unbestreitbar einige Nachteile. Ziehen Eltern mit ihren Kindern in ein anderes Bundesland, so finden sie da nicht die gleichen Lehrpläne, vielleicht nicht einmal die gleichen Fächer vor. Die Abiturprüfungen differieren nach Art und Schwierigkeit. Das ist schlicht ungerecht. In Zeiten des Internets wäre eine zentrale Stelle sinnvoll, um den Verkauf nutzloser oder gar gefährlicher Medikamente einzudämmen. Doch das geschieht auf Landesebene und da das Internet kein Bundesland ist, bleibt die Kontrolle zahnlos.

 

Die Stimmen im Bundesrat entsprechen nicht der Verteilung der Bevölkerung. In Bremen kommen knapp 230 000 Wahlberechtigte auf eine Stimme, im Saarland sind es 330 000 und in Nordrheinwestfalen fast drei Millionen. Der einzige Grund dafür ist die oft historisch zufällige Ziehung der Ländergrenzen. Wer zufällig in einem kleineren Bundesland lebt hat bei Wahlen erheblich mehr Einfluss auf die Politik. Eigentlich ein demokratischer Skandal.

 

So weit die rationale Seite zu Lob und Schelte des Föderalismus. Lassen wir noch ein wenig das Bauchgefühl sprechen. Es gibt Leute, denen ist ihr Sturgart oder Altötting, ihre Pfalz oder ihr Bayern ihr Platz in der Welt, den sie zu brauchen meinen. Das bleibt allen selbst überlassen. Schön ist, wenn sie zusätzlich der flüchtigen Familie aus Ghana auch einen Platz in Altötting gönnen und auch akzeptieren, dass sich ihr Altötting dadurch ein klitzekleinwenig verändert. Aber muss man auf dem Regionalismus gleich mächtige politische Strukturen aufbauen? Es ist auch ein wenig Geschmackssache, doch der Autor möchte dem Lob des Föderalismus seine Gegenthese in den Weg stellen: Kein Föderalismus ohne Föderalstaaten und gehätschelte Heimatklischees, die ihren ranzigen Geruch verbreiten. Den kann man riechen wenn man die Nase ungeschützt in solche Sätze hält wie: „Es gibt badische und unsymbadische“.

jk