Bevor wir hier immer weiter zurueckliegen, schnell eine weitere Runde Kurzkritiken und Filmkommentare:
- "Djeca"/"Children of Sarajevo", Regie: Aida Begic (Bosnien)
Die selbst aus Sarajewo stammende Regisseurin hat fuer mich den bisher staerksten meiner diesjaehrigen Festivalfilme abgeliefert: Ein packendes, bedrueckendes, aber auch manchmal humorvolles, enorm dichtes Portraet einer jungen Frau, die als Waise sich durchs Leben schlagen muss und sich zugleich noch um ihren juengeren Bruder kuemmert, der noch zur Schule geht. Ihre taegliche Arbeit in der Kueche eines Restaurants fuer die reiche Oberschicht, ein arroganter, autoritaerer und cholerischer Chef, die Geldsorgen, Probleme mit ihrem pubertierenden Bruder, der sich immer mehr Aerger einhandelt, der Krieg, die eingeschlossene Stadt, schreckliche Nachrichtenbilder mit taeglichen Opfern, aber auch die reale Bedrohung durch die feindlichen Scharfschuetzen auf den Bergen hinter der Stadt...
Das Beeindruckende an dem Film ist neben der enorm talentierten Marija Pikic die subtile Erzaehlweise. Der Film spielt im Krieg, aber es ist kein Kriegsfilm wie so viele andere, es geht um die junge Rahima und ihr Leben, ihren Alltag, das Leben in der Stadt, die Nachbarn, ihre Arbeit, die Ungerechtigkeit und die ueberall grassierende Korruption, die Verwahrlosung (auch die moralische) in den Zeiten des Krieges...
Fuer mich einer der Kandidaten fuer eine Auszeichnung, auch wenn der Film leider nicht im offiziellen Wettbewerb, sondern im "Certain Regard" laeuft - aber auch hier gibt es ja Filmpreise... Direkt nach der Premiere bekam der Film Standing Ovations, die kaum wieder zu enden schienen.
Ich konnte mich nach der Premiere kurz mit der Regisseurin unterhalten, sie betonte mir gegenueber, dass die Episoden in Film zwar fiktiv sind, aber sich aus vielen Erlebnissen zusammensetzen, aus eigenen und den von Bekannten und Freunden... Dieser Realismus ist deutlich zu spueren, denke ich. Hoffentlich wird der Film einen deutschen Verleiher finden, um bei uns in die Kinos zu kommen.
- "Elefante Blanco", Regie: Pablo Trapero (Argentinien)
Der argentinische Filmemacher hatte hier vor zwei Jahren den Film "Carancho" vorgestellt, der mich sehr beeindruckt hatte. Auch sein neuestes Werk ist sehr atmosphaerisch dicht und technisch stark, aber leider weniger packend. Die Geschichte um zwei Priester, die in einem riesigen Slum so eine Mischung aus Seelsorge und Sozialarbeit aufrechtzuerhalten versuchen, inmitten von Armut und Gewalt, Bandenkriegen, Drogenhandel und blankem Elend, hat ihre starken Momente, aber leider auch ab und an ein ordentliches Mass an Pathos, zudem fehlt manchmal etwas Distanz zu dem sehr heroisierten aelteren, todkranken Prioester, der sich fuer seine Schaefchen aufopfert und dabei permanent sein Leben aufs Spiel setzt. Dennoch ein interessanter Film, mit einem starken Ricardo Darin als krankem Pfarrer, und einer beeindruckenden Kulisse (einem riesigen Rohbau, der vor Jahrzehnten ein Krankenhaus haette werden sollen, aber als die ehrgeizigen Plaene aufgegeben worden waren und politische Gruende das Projekt gestoppt hatten, blieb dieses imposante Betongerippe uebrig und wurde im Laufe der Jahre von den wachsenden Elendsvierteln eingeschlossen. Auf alle Faelle bin ich gespannt, was Trapero in der Zukunft noch so zu bieten haben wird... denn dass er 'was drauf hat, das hatte er bereits gezeigt!
- "The Angel's Share", Regie: Ken Loach (Grossbritannien)
Einer der Altmeister des britischen Kinos betritt erneut den Wettbewerb im Ringen um die Palmen. Die Geschichte um einen vorbestraften Halbstarken, dessen Freundin unerwartet schwanger wird, und der waehrend der abzuleistenden Sozialstunden einen netten Sozialarbeiter kennenlernt, der ihm (statt dem sinnlosen Saufen) die Kunst des Whiskytrinkens (also des stilvollen Saufens) beibringt, wobei sich der Junge aus der Arbeiterklasse als Verkostungstalent erweist, und dieses Wissen in einem letzten krummen Ding einsetzten moechte, um sich und seine Freundin aus der Misere zu ziehe (sorry, Bandwurmsatz...), diese Geschichte hat Charme und hohen Unterhaltungswert, nicht unbedingt uebermaessig viel Tiefgan, aber ist zweifellos eine schoene Abwechslung, um nach den zahlreichen "Feel-bad-Movies" einfach mal wieder entspannt durchzuatmen! Und ein paar Lacher sind auch drin!
Ausserdem bleibt Loach auch in dieser vielleicht etwas zu gradlinig-maerchenhaften Errettungsgeschichte der Regel der sozial engagierten Working-Class-Regisseure treu und laesst seinen Film nicht dieser polierten Welt der Schoenen und Reichen spielen, wie sie uns im Kino so oft gezeigt wird...
ASR