Kritik am Präsidialsystem kommt von der Opposition ebenso wie aus Teilen des Regierungslagers. Das türkische Präsidialsystem ähnelt nur auf den ersten Blick dem System der USA. Der Präsident ist zugleich Kabinettschef. Doch anders als in den USA, wo der Kongress ein Gegengewicht zum Präsidenten bildet, ist das türkische Parlament ziemlich machtlos. Das Parlament kann den Haushalt der Regierung zwar ablehnen, aber nur mit dem Effekt, dass der laufende Haushalt einfach fortgesetzt wird. Viele wichtige Posten in Regierung und Justiz kann der Präsident ohne Mitwirkung des Parlaments besetzen. Als Parteichef kann der Präsident zugleich kontrollieren, wer auf die Wahlliste seiner Partei kommt. Nach der Wahlniederlage bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul am 23. Juni, wird das System nun auch in Erdogans Partei in Frage gestellt. Erdogan hat bisher keinen Versuch unternommen, die Diskussion zu unterdrücken. Hingegen hat sich der ehemalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu entschieden gegen das bestehende System ausgesprochen. Davutoglu forderte, die Stärkung der Rolle des Parlaments gegenüber der vom Präsidenten geführten Regierung oder die Wiedereinführung einer vom Präsidenten unabhängigen Regierung. Kritik kommt auch von der Fraktion der regierenden AKP und natürlich von der Opposition. Die weitgehende Entmachtung des Parlaments hat auch die Einflussmöglichkeiten der Opposition noch weiter eingeschränkt. Das derzeit gültige Präsidialsystem war nach einem umstrittenen Referendum vor einem Jahr eingeführt worden.