11.10.2009
Nach Informationen der ÄrztInnen gegen den Atomkrieg (IPPNW) haben
ReaktorsicherheitsexpertInnen der Bundesregierung mindestens 53 schwerwiegende
Sicherheitsmängel in AKW Biblis B aufgelistet. Das hessische Atomkraftwerk Biblis B, nur
zehn Kilometer nord-östlich von Worms gelegen, müßte laut IPPNW aus Sicherheitsgründen
längst stillgelegt sein. Hessens "Umwelt"-Ministerin Silke Lautenschläger gerät zunehmend
unter Druck.
Wer den "rot-grünen" Atom-Ausstieg aus dem Jahr 2000 jemals ernst genommen hat, wird
vielleicht auch glauben, das AKW Biblis B sei längst abgeschaltet worden. Denn noch bis 2006
wurde vom Bundes-"Umwelt"-Ministerium eine Tabelle mit "Restlaufzeiten" verbreitet, in der
folgendes zu lesen war:
Biblis A | 26. Februar | 2007 |
Neckarwestheim I | 1. Dezember | 2008 |
Biblis B | 31. Januar | 2009 |
Brunsbüttel | 9. Februar | 2009 |
... und bekanntlich sind seit dem 31. Januar 2009 schon einige Monate ins Land gestrichen.
Daß die "Laufzeitverlängerungen", die der "schwarze" hessische Ministerpräsident Roland Koch
mit Hilfe der neuen Bundesregierung angeblich durchsetzen will, längst Realität sind, wird
von den Mainstream-Medien selbstverständlich ausgeblendet. Die früheren Bundes-Atom-Minister
Jürgen Trittin und Siegmar Gabriel hoffen darauf, daß sich Dank dieses medialen Black-Out
niemand mehr daran erinnert, was mit dem im Jahr 2000 verkündeten "Atom-Ausstieg"
versprochen worden war. Die angeblich gesetzlich festgelegten "Restlaufzeiten" sollten
durchschnittlich 32 Jahre betragen. Dies hätte bei dem im Jahr 1968 in Betrieb genommenen
AKW Obrigheim bedeutet, daß es im Jahr 2000 hätte stillgelegt werden müssen. Tatsächlich
jedoch wurde das AKW Obrigheim erst am 11. Mai 2005 nach knapp 37 Jahren Betriebszeit
abgeschaltet. Das einzige AKW, das in den vergangenen 9 Jahren ernsthaft als "Haben" in der
Bilanz des "Atom-Ausstiegs" zu verbuchen wäre, lief also 5 Jahre länger als versprochen.
"Laufzeitverlängerungen" sind keine "schwarz-gelbe" Erfindung.
Daß nun auch ReaktorsicherheitsexpertInnen der Bundesregierung eine große Zahl
schwerwiegender Sicherheitsmängel einräumen mußten, ist einer von IPPNW unterstützten Klage
von AnwohnerInnen des Atomkraftwerks zu verdanken. Diese hatten im September 2005 beantragt,
die Betriebsgenehmigung für Biblis B umgehend zu widerrufen. Dazu legten sie eine
Mängelliste vor, die zunächst rund 160 Punkte umfaßte und die inzwischen auf 210 Punkte
angewachsen ist. Alle Angaben stammen aus offiziellen Unterlagen der Atomaufsicht, des TÜV
und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit.
Das Umweltministerium in Wiesbaden lehnte den Stilllegungsantrag im April 2008 ab, die
AtomkraftgegnerInnen zogen vor Gericht. Bis Ende 2009 muß die Landesregierung nun zu den
Mängeln schriftlich Stellung nehmen. Selbst im Ministerium wachsen inzwischen offenbar
Zweifel, ob die lapidare Begründung, Biblis B sei sicher, vor Gericht Bestand haben werde.
Denn in einem von AtomkraftgegnerInnen veröffentlichten internen Vermerk räumte das
Ministerium ein, daß Biblis B nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspreche.
Jedenfalls kündigte die Behörde dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof nun an, den
ursprünglichen Antrag der AnwohnerInnen auf Stilllegung des Reaktors neu zu bescheiden. Die
IPPNW werten das Einlenken als Etappensieg.
Greenpeace hatte im Frühjahr 2009 eine Untersuchung veröffentlicht1, in der mit
aktualisierten Ausbreitungsrechnungen nachgewiesen wurde, daß nach einem Kernschmelz-Unfall
im AKW Biblis B die radioaktive Kontamination vieler AnwohnerInnen bereits innerhalb weniger
Stunden den behördlichen Grenzwert für eine Evakuierung bis um das Tausendfache
überschreiten würde. Von einem Super-GAU in Biblis wären Millionen Menschen in Hessen
betroffen, die radioaktive Verseuchung Europas wäre erheblich gravierender als nach der
Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl.
Das hessische Umweltministerium sah sich bislang außerstande, zu den Vorwürfen Stellung zu
nehmen. Noch im August hatte Ministerin Lautenschläger darauf beharrt, das AKW Biblis B sei
"technisch sicher".