Eine literarische Achterbahnfahrt: America Fantastica - Tim O`Brien

America Fantastica - Tim O`Brien

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Keine (all rights reserved)
Quelle: 
Harper Collins, Hamburg

Eine verzweifelte Satire über die USA in Zeiten der ersten Präsidentschaft Trumps und im Schatten einer Pandemie. Eine wahnwitzige Achterbahnfahrt, befindet Rezensentin Ursel Hellerich:

Tim O´Brien Jahrgang 1946 ist in den USA Schullektüre mit seinem Buch „Was wir trugen“. Er selbst hatte schwer zu tragen: Mit 23 Jahren wurde er in den Vietnamkrieg eingezogen in eine Einheit, die kurz zuvor ein Massaker unter der Zivilbevölkerung verübt hatte. Diese Erfahrung bestimmte sein Leben auch als Autor: 2013 wurde er für sein Lebenswerk mit dem Pritzker Preis für Militärliteratur ausgezeichnet. In den letzten 20 Jahren war O´Brien mehr Vater als Schriftsteller. Jetzt konnte er nicht mehr anders als wieder einen Roman aus Zeiten des Krieges zu schreiben- über die USA am Rand des Abgrunds, im Wahn.
„Wir hatten das Herz mit Wahn genährt. Das Herz, gesättigt, wurde roh.“
Das Motto des Buchs von William Butler Yeats, beschreibt die Ausgangslage:
„Die Seuche war so alt wie Afrika, älter als Babylon, sie wurde mit dem Licht der Sonne durch die Zeiten geweht, mit dem Mondschein und dem Zittern der Zungen, die nicht stillhalten wollten. Im zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts glitt die Seuche über die Bytes eines MacBook Air und landete in dem kalifornischen Städtchen Fulda.“
Die Seuche heißt nicht Corona sondern Mythomanie, die Lügenkrankheit.
Sie hat das ganze Land befallen vom Weißen Haus abwärts.
Auch Boyd Halverson in Fulda in Nordkalifornien ist infiziert, ein ehemaliger Starjournalist, abgestürzt nach einem tragischen Vorfall, der zum Tod seines kleinen Sohns geführt hatte, jetzt geschieden und Filialleiter bei einem JC Penny Store ist befallen: Er war einst Fake News Troll jetzt verkauft er BHs – und lügt:
„Er log nicht nur gewohnheitsmäßig, er log, weil sein Körper einfach so funktionierte. Er log so, wie andere Leute einen Orgasmus haben.“
An einem Sonntag im August 2019 betritt Boyd Halverson die Community National Bank in Fulda/Nordkalifornien und zwingt die Kassiererin Angie Bing zur Herausgabe von 81.000 Dollar, 9.000 Dollar mehr als sein Guthaben bei der Bank, mehr ist dort gar nicht vorrätig. Mit Angie Bing als Geisel- sie redet ununterbrochen wie ein Chihuahua auf Speed – startet er einen überdrehten Roadtrip durch die USA und Mexiko.
Die beiden treffen auf Auftragskiller, eifersüchtige Liebhaber, Ex- Häftlinge und eine Ex-Gattin, jetzt Ehefrau eines milliardenschweren Schiffsmagnaten.
Nur die Polizei ist scheinbar nicht an den beiden interessiert.

Tim O´Brien hat einen wahnwitzigen Roman über die MAGA Manie während der ersten Präsidentschaft Trumps, dessen Name übrigens nie fällt- geschrieben. Keine große Literatur, aber spannend und mitreißend.
In schnellem Tempo – wie beim Binge Watching einer Serie- dekonstruiert die Mythomanie des Landes alles, was wir über die USA bis dahin zu wissen glaubten. That´s America – great in seinem Wahn.
Jetzt – an der Schwelle zur zweiten Trumpadministration – scheint alles in der Wirklichkeit noch schlimmer als im Roman: America Fantastica am Abgrund.
Wer einen Eindruck davon bekommen will, was derzeit wohl in den USA abgeht, welcher Wahn grassiert, der sollte dieses Buch lesen!