Cannes-Kritiken: ein vorläufiges Fazit

Weerasethakuls
Preis bringt mich auf die Palme

"Onkel Bonmee", der langweilt und gewinnt

Von Martin Koch

Alea iacta sunt. Die Palmen von Cannes
sind vergeben und es gab einige Überraschungen. Es wäre ja
auch langweilig, wenn es immer den Prognosen gemäß laufen
würde, dann könnten die Filmkritiker ja gleich die Jury
bilden anstatt ihren eigenen Job zu machen. Apropos Job machen: seit
gestern abend muss ich mich wie ein Arbeitsverweigerer fühlen,
zumindest ein bisschen. Denn ich habe es getan und den Film aller
Filme dieses Festivals nach gerade mal einer halben Stunde verlassen.
Die Rede ist vom Gewinner der Goldenen Palme „Onkel Bonmee“ vom
thailändischen Geheimtipp mit dem Zungenbrecher-Namen
Apichatpong Weerasethakul.

Cannes-Kritiken: ein vorläufiges Fazit

Weerasethakuls
Preis bringt mich auf die Palme

"Onkel Bonmee", der langweilt und gewinnt

Von Martin Koch

Alea iacta sunt. Die Palmen von Cannes
sind vergeben und es gab einige Überraschungen. Es wäre ja
auch langweilig, wenn es immer den Prognosen gemäß laufen
würde, dann könnten die Filmkritiker ja gleich die Jury
bilden anstatt ihren eigenen Job zu machen. Apropos Job machen: seit
gestern abend muss ich mich wie ein Arbeitsverweigerer fühlen,
zumindest ein bisschen. Denn ich habe es getan und den Film aller
Filme dieses Festivals nach gerade mal einer halben Stunde verlassen.
Die Rede ist vom Gewinner der Goldenen Palme „Onkel Bonmee“ vom
thailändischen Geheimtipp mit dem Zungenbrecher-Namen
Apichatpong Weerasethakul.

Den Grund für meine vorzeitige
Flucht kann ich allerdings klar auf den Punkt bringen: latente
Langeweile, verbunden mit Einschlafgefahr der höchsten Kategorie
und der Frage, was mir der Filmemacher mit diesem unmotiviert und
beliebig erscheinenden Geeier sagen wollte. Vielleicht ist der Film
tatsächlich, wie von manchen Kollegen geschrieben und vor allem
von den Filmemachern propagiert eine Geschichte, die man als
Zuschauer aktiv mitgehen muss und dazu gehört es dann auch,
filmisch-narrative Lücken durch Interpretationen zu schließen
und die eigene Fantasie in die auf der Leinwand laufenden Bilder
einzubringen. Ein nobles Anliegen, denn normalerweise evozieren
fantasievoll gestaltete Bilder Interpretationen, doch Weerasethakul
hat es hier offenbar umgekehrt versucht: mit kargen bis
unspektakulären Szenen aus einer abgelegenen Hütte in
Thailand, und der Geschichte eines sterbenden Mannes, der Geister
sieht, die dann beispielsweise von Menschen in Affenkostümen
gespielt werden.

„Onkel Bonmee“ sammelt damit
Pluspunkte als Annäherung an ein großes Thema mit
minimalistischten filmischen Mitteln, zugleich sammelt er aber auch
Minuspunkte durch Verweigerung der Elemente, die man normalerweise
mit großem Kino assoziiert: eine mitreißende Story,
interessant aussehende Kamerabilder, überraschende Schnitte,
ausdrucksstarke Schauspieler. Stattdessen lädt Weerasethakul zum
Meditieren vor der Leinwand ein und verlangt von seinem Publikum
quasi, den laufenden Film im eigenen Kopf so zu verarbeiten, dass all
diese Elemente oder darüber hinausgehende Qualitäten in das
Gesehene hineininterpretiert werden. Worauf sich euphorischen Reviews
zufolge offenbar einige eingelassen haben, während andere die
Vorführungen in Scharen verlassen haben. Nicht während der
Gewalt wie letztes Jahr bei „Antichrist“ oder aufgrund von
französischen Nationalismen, wie letzte Woche bei „Hors la
loi“, sondern rein aus unerträglicher Langeweile. [Aus Sicht
unserer dreiköpfigen Cannes-Radioredaktion ist der
Vollständigkeit halber zu bilanzieren, dass meine Kollegin
immerhin 45 Minuten durchgehalten kann und mein Kollege sogar die
gesamte Spielzeit, ohne allerdings nachher besonders gut auf den Film
zu sprechen zu sein.]

Die Entscheidung der von Tim Burton
geleiteten Jury für „Onkel Bonmee“ muss man zwar
respektieren, daraus sollte man aber keinesfalls Aussichten des Films
auf weitere Auszeichnungen, einen großen Kinoerfolg oder gar
auf eine Schrittmacherrolle für revolutionäre Veränderungen
des filmischen Erzählens ableiten. Stattdessen zieht
Weerasethakuls Werk einen nicht völlig unpassenden Schlussstrich
unter ein Programm, das manche Kommentatoren als eines der
schlechtesten der Geschichte dieses Festivals bezeichnet haben. Auch
der große Preis der Jury für Cannes' ersten
Wettbewerbsfilm aus dem Tschad „A Screaming Man“ zeigt, dass in
diesem Jahr der durch mangelnde filmische Qualität entstehende
Raum für die Förderung von kleineren Filmländern durch
das Mittel der großen Auszeichnungen genutzt wurde. Das ändert
nichts daran, dass beide Filme ihren Preisen zum Trotz für ein
Kino der ambitionierten Langeweile stehen und dass im Grunde nur drei
Filme in diesem Wettbewerbsprogramm allerhöchsten cineastischen
Ansprüchen gerecht werden konnten: „Des hommes et des dieux“
von Beauvois, „Biutiful“ von Inarritu und vor allem der von den
Festivaljuroren gänzlich übergangene „Another Year“ von
Mike Leigh. Gerade letzterer Film hat gezeigt, wie man mit einer
Mischung herkömmlicher Qualitätsstandards mit einzigartiger
Schauspielerführung und Storyentwicklung begeistern kann.
Darüber hinaus sollte man aber auch auf dem Teppich bleiben.
Adäquaten Ersatz fünf fest eingeplante neue Werke
amerikanischer Star-Regisseure der Kaliber Eastwood, Malick oder
Aronofsky kann eine Festivalleitung nicht auf die Schnelle aus dem
Ärmel schütteln. Und ein Programm voller Highlights, wie
„Das weiße Band“, „Inglorious Basterds“, „Un
Prophète“ oder „Zerrissene Umarmungen“ wieder erreichen
zu wollen ist eine Hypothek, an der Cannes dieses Jahr nur scheitern
konnte.