Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, nimmt uns Sía mit in die Theorien und die Praxis entland der Jineoloji, der Wissenschaft der Frauen und des Lebens. Die Jineoloji ist aus der kurdischen Frauenbewegung vorgegangen und strebt das Ziel an, zum "Aufbau eines freien Lebens, zur Frauenrevolution, zur Transformation der Gesellschaft beizutragen", so Sía.
Es werden Wissen gesammelt und gesellschaftliche Analysen durchgeführt, archiviert und in die Gesellschaft getragen, um die Erkenntnisse in die Praxis nicht mehr nur in Kurdistan, sondern auch weltweit umzusetzen.
Es begann als eine "antikoloniale nationale Befreiungsbewegung" und folgte den Ideen des Marxismus-Leninismus, verstand aber das Patriarchat als die grundlegende Herrschaftsform. Um dem und der Gewalt gegenüber Frauen entgegenzutreten und eine eigene Definition von Freiheit, der Liebe und dem Leben zu geben, ist der autonome und vielschichtige Zusammenschluss von Frauen die zentrale Grundlage.
Verschiedenste Strukturen und Mechanismen wie die Selbstverteidigung bis hin zur Bildung und dem Selbstbewusstseinsschaffen sollen vor der traurigen Realität der Gewalt von Besatzerstaaten und dem herrschenden Staat, dessen Kriege, Massaker, Folter in Gefängnissen und sexualisierter Gewalt auch im eigenen Zuhause, schützen.
Sía erzählt von ihrem Besuch in einem Dorf in Sulaimaniyya, in welchem die Theorien der Jineoloji in die Praxis umgesetzt werden, um sich der Gewalt gegen Frauen entgegenzusetzen. Bildungsangebote, gegenseitige Unterstützung bei geschlechtsspezifischen Fragen und Problemen, nachbarschaftlicher Zusammenhalt bis hin zu ökologischen Projekten, können uns eine Vorstellung eines solchen Zusammenschlusses bilden - eingebettet in die Realität einer hohen Femizidrate in Südkurdistan.
Auch aus einem autonomen Frauendorf im nordwestlichen Teil Kurdistans berichtet Sía von einer Sturktur des gemeinsamen Lebens. Hier bauen die Frauen eine gemeinsame Ökonomie auf, betreiben Landwirtschaft und Bildung in der Akademie und verbinden die traditionelle Medizin mit der Schulmedizin in ihrem Gesundheitszentrum. Auch Frauen mit ihren Kindern, die aus patriarchalen und gewaltvollen Familien flohen, können hier ein Beispiel erleben, durch das ein freies Leben vorstellbar wird.
Aber auch die Situation der anderen Geschlechter müssen besonders im Kontext der Zuspitzung von international geführten Kriegen, mitgedacht werden, so Sía. Die Gewalt an Frauen in diesen Kriegen, aber auch faschistische und patriarchale Ideologien steigen auch unter den Jugendlichen wieder mehr an, und gleichzeitig nehmen die aggressiven, dominanten, patriarchalen Männerbilder mehr zu und bieten eine solche Orientierung.
Parallel steigt der weltweite feministische Widerstand und Zusammenhalt an, die aber eine strategische und strukturelle Organisation für das Erreichen einer gemeinsamen befreiten Gesellschaft bedürfen (...).