Berichte aus dem Gulag: Erzählungen aus Kolyma-eine Auswahl - von Warlam Schalamow

Erzählungen aus Kolyma-eine Auswahl - von Warlam Schalamow

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Buchcover. Der Buchtitel und im Hintergrund die schwarz-weiß Zeichnung einer verschneiten Waldlandschaft.
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Matthes und Seitz Verlag

Warlam Schalamow hat zwischen 1929 und 1953 insgesamt 17 Jahre seines Lebens in sowjetischer Lagerhaft verbracht. Die meiste Zeit davon in der Kolyma im äußersten Nordosten Sibiriens. Seine Erinnerungen an diese Zeit hat er in insgesamt sechs Sammlungen von „Erzählungen aus Kolyma“ verarbeitet. Bei seinen eindrucksvollen Schilderungen packt einen in vielen der Erzählungen auch heute noch oder heute gerade wieder das kalte Grausen.

 

Wer heute Warlam Schalamows Erzählungen liest fragt sich unwillkürlich, wie kann es sein, dass Oppositionelle im heutigen Russland schon wieder für „Nichts“ zu langjähriger Lagerhaft unter schlimmsten Bedingungen verurteilt werden. Das Russland Putins erinnert in manchem wieder an die barbarische Zeit des Gulag.

Hundertausende wurden zwischen 1932 und 1957 in die Kolyma, diese extrem unwirtliche Gegend im Nordosten Sibiriens verbracht, um dort vor allem in Bergwerken Zwangsarbeit zu leisten. Einer von ihnen war Warlam Scharlamow. Unter hunderten von Straflagern in der Sowjetunion waren die in der Region Kolyma, diejenigen mit den allerschlimmsten Bedingungen. Unzählige starben in der Region allein an Kälte und Auszehrung, tausende bereits beim Transport. Schalamow beschreibt eindrucksvoll wie die Gefangenen durch die extreme Kälte von bis zu minus 50 Grad und den andauernden Hunger physisch und psychisch zermürbt wurden. Und, als sei dies nicht schon der Grausamkeiten genug, herrscht in den Lagern die absolute Willkürherrschaft in der der kleinste Fehler, ein falsches Wort zur Hinrichtung führen konnte.

Zitat Seite 131:

„Laut zu sagen, dass die Arbeit schwer ist, reicht schon aus für die Erschießung. Wegen jeder noch so unschuldigen Bemerkung über Stalin – Erschießung. Bei Hurrarufen auf Stalin zu schweigen – ist auch schon ausreichend für Erschießung.“

…...und ein paar Zeilen weiter….

„Weswegen wurde noch erschossen:

„Wegen Arbeitsverweigerung“ Den kraftlosen Alten, den hungrigen, gequälten Menschen fehlte die Kraft, den Schritt aus dem Tor zu machen beim morgendlichen Ausrücken. Die Verweigerung wurde in Protokollen festgehalten. Drei Verweigerungen – und Erschießung“ .……….

„Die letzte, stärkste Rubrik, unter die eine große Zahl der Erschossenen fiel: Wegen „Nichterfüllung der Norm“. Wegen dieses Lagerverbrechens erschoss man ganze Brigaden. Der staatliche Plan - ist Gesetz! Das Nichterfüllen der Norm ein konterrevolutionäres Verbrechen. Wer die Norm nicht erfüllt – auf den Mond!“

Zitat Ende

 

Besonders beeindruckend ist, wie Schalamow in unterschiedlichen Erzählungen das Ausgeliefertsein des Einzelnen, seine Not und die Überlebensstrategien unter diesen Bedingungen beschreibt. Die allermeisten in den Lagern der Kolyma sind so kraftlos und erschöpft, dass sie nach 12 Stunden Schufterei gerade noch in der Lage sind ihre kärgliche Ration zu essen, um dann Körper an Körper auf überfüllten Pritschen in einen unruhigen Schlaf zu sinken. Unter diesen Bedingungen, so beschreibt es Schalamow, ist sich jeder selbst der Nächste. Soziales Leben, Interaktion kaum möglich. Oft kennt man den Nachbarn auf der Pritsche gar nicht. Morgen liegt dort jemand anderes, der Nachbar von gestern vielleicht erschossen oder irgendwohin verbracht.

Zitat Seite 109

„Menschen tauchten……., jenseits der Lüge“

 

Die im Buch versammelten „Erzählungen aus der Kolyma“ sind eine Auswahl aus insgesamt 150 Erzählungen, die der Autor zwischen 1955 und 1970 geschrieben hat. Das Nachwort und ein Glossar vermögen aber nicht immer alle Fragen an den Text auszuräumen. Die 22 Erzählungen im vorliegenden Band behandeln verschiedene Aspekte des harten Gefangenenleben im stalinschem Gulag. Nicht alle dieser Erzählungen sind deprimierend, schließlich gibt es viele Menschen, die diesen Horror überlebt haben manche aus Glück, manche weil sie die psychische und physische Stärke hatten, manche weil sie es geschafft haben sich irgendwie durchzuwurschteln. Auch von diesen ist in den Erzählungen die Rede. Warlam Schalamow selbst hat einiges durchgemacht. Er hat unter Extrembedingungen im Bergwerk Zwangsarbeit geleistet, dann hat er es verstanden sich die etwas weniger harten Tätigkeiten zu organisieren, um sich in den letzten Jahren schließlich im Krankenhaus als Feldscher unentbehrlich zu machen. Er hat überlebt und mit seinen Erzählungen den Millionen ein Denkmal gesetzt, die in den Lagern unter unmenschlichen Bedingungen schuften mussten. Sein Lebenswerk erinnert gleichzeitig auch an jene, die es nicht geschafft haben den stalinistischen Terror zu überleben.