Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (CEDH) in Strasbourg hat Frankreich am 27. Februar 2025 wegen des Todes des zum Tatzeitpunkt 21jährigen Umweltschützers Rémi Fraisse verurteilt. Während Auseinandersetzungen um den Bau eines Staudamms im südwestfranzösischen Département Tarn in 2014 setzten Polizeikräfte Granaten vom Typ OF-F1 ein, die 60,1 gramm TNT enthalten.
Eine der zahlreichen Granaten verklemmte sich in der dramatischen Nacht auf den 26. Oktober hinter dem Rucksack des jungen Demonstranten, der die schwere Explosion nicht überlebte. Bisher gab es keine rechtliche Anerkennung der Verantwortung des Staates in diesem Fall. Einsatzkräfte zerrten den Schwerverletzten damals hinter die eigenen Reihen, was Zweifel am Aufklärungswillen der Behörden nährte. Der Mord in der Gemeinde Sivens löste internationale Proteste aus.
Der Gerichtshof urteilte nun nach §2 der europäischen Menschenrechtskonvention die ein „Recht auf Leben“ postuliert. Die Einsatzkräfte seien für die Verwendung „potenziell tödlicher Einsatzmittel unausreichend vorbereitet und betreut“ gewesen und haben „notwendige Vorkehrungen nicht eingehalten“. Außerdem habe „der damals geltende verwaltungstechnische und rechtliche Rahmen erhebliche Mängel“ enthalten, so das Gericht.
Mittlerweile sind Granaten des damals verwendeten Typs verboten. TNT wird in Frankreich dennoch nach wie vor gegen DemonstrantInnen eingesetzt, was regelmäßig zu schweren bis lebensgefährlichen Verletzungen führt. UnterstützerInnen äußerten, es sei „eine Schande, dass das Verfahren erst vor das europäische Gericht in Strasbourg gebracht werden musste“. Aus Sicht des Anwalts der Angehörigen Patrice Spinosi seien die elfeinhalb Jahre „ein wahnsinniger Zeitverlust“. Ob Frankreich sich von dieser erneuten Verurteilung seiner autoritären Ordnungsdoktrin beeindrucken lässt, ist anzuzweifeln. (LS)