Gims + KT Gorique Stimmen Festival - von Burkhard Finckh

Gims + KT Gorique Stimmen Festival - von Burkhard Finckh

Das Ganze beginnt mit einem Fehler meinerseits: Voller Vorfreude auf das Konzert von Bukahara, die ich bereits 2019 auf dem ZMF gehört habe, fahre ich mit Zug und Fahrrad (damit ich nachts noch nach hause komme) von Freiburg nach Lörrach. Der 1. Zug hat soviel Verspätung, dass ich die S-Bahn von Weil nach Lörrach verpasse und froh über mein  Fahrrad bin. Also radeln. Eine Minute vor Konzertbeginn stehe ich an der Kasse und wundere mich, dass kein Ticket für mich hinterlegt ist. Nach Rücksprache mit Herrn Lorenz, der bereits auf dem Konzertgelände ist, bekomme ich ein Ticket ausgedruckt und alles klärt sich: ich hatte mir das falsche Datum in den Kalender eingetragen, Bukahara spielen morgen! Auf dem Ticket stehen für den heutigen Abend natürlich Gims, Superstar des urbanen Pop und Rap in Frankreich, und KT Gorique, Schweizer Sängerin und Schauspielerin mit Band. Durch die Verwechslung des Datums meinerseits eigentlich nun beste Voraussetzungen für eine neutrale Kritik, oder? Ein großes Problem tut sich aber sofort auf – KT Gorique,  deren Namen man am besten ausspricht, um das Wortspiel zu verstehen und später auch Gims performen beide auf französisch. Ich bin des Französischen einigermaßen mächtig, aber die Geschwindigkeit, in der gerappt bzw. gesungen wird, lässt mich verständnisslos dastehen, sodaß ich eigentlich ehrlicherweise nur die Musik der beiden Acts beurteilen kann und nicht die Inhalte der Texte – die natürlich beim Rap von größter Bedeutung sind. Mir selbst ist es unmöglich, nur den Flow eines Raps anzuerkennen und zu genießen, wenn ich den Großteil des Textes nicht verstehe, und deshalb interessiert mich englischer oder französischer Rap nicht – und bei deutschem Rap gefallen mir allergrößtenteils die  Inhalte (wenn man das Wort in dem Zusammenhang überhaupt treffend in den Mund nehmen möchte) nicht, sodass ich nach "Lauschgift" von den Fanta4, und nachdem der Rap "Gangsta" wurde, eigentlich ausgestiegen bin. Vielleicht schade, schließlich habe ich in meiner 1. Band "m.t. week" selbst auf deutsch und englisch gerappt, aber inzwischen steht bei mir der menschliche Gesang in Verbindung mit Text ganz oben auf der muskalischen Prioritätenliste. Gims singt auch mehr, als dass er rappt, aber dazu später.
Die Musik von KT Gorique könnte man vielleicht als den Rock'n'Roll der heutigen Zeit bezeichnen. Laut und unbequem, druckvoll und unerhört, zum Tanzen und Ausflippen animierend, Musik für die Jugend, nicht für die älteren Eltern.  Wahrscheinlich sind viele Franzosen und Französinnen und französische SchweizerInnen über die nahen Grenzen nach Lörrach gekommen, und sie feiern KT Gorique, die tanzend und rappend ein energetisches Set abliefert. Die "Band" besteht neben ihr aus einem weiteren MC, der ebenfalls rappt und auch immer wieder trotz seiner Körperfülle erstaunlich
cool tanzt, einem Schlagzeuger, und einem DJ/wie-heißt-jemand-der-Knöpfchen-drückt-und- Samples-abfeuert? Der Sound des Drummers ist unglaublich fett und druckvoll, wobei man nicht weiß, ob er neben seiner analogen Bassdrum auch noch ein zusätzliches Kickdrum – Sample triggert. Auch ist es schwer zu hören, was von Hand auf der Bühen erzeugt wird und was quasi vorgefertigt an Samples und Sounds dazugemischt wird, bzw. als fertiges Halb-Playback mitläuft. Der DJ ist aber sichtbar in Aktion zu sehen und der ganze Bandsound klingt ziemlich live und handgemacht – Hip Hop/Urban mit präzise gespielten live Drums, das klingt gut, und KT Gorique überzeugt rein vom Klanglichen her mit virtuosen Rap-Skills. Sie hat an diesem Abend Geburtstag und bekommt vom Publikum ein klanglich ebenfalls  großartiges Ständchen.
Nach einer Stunde ist das Set von KT Gorique vorbei und da ich aufgrund des Zeitmanagements der deutschen Bahn noch nichts gegessen habe, hole ich das nun nach. Es gibt einen vegetarisch gefüllten Crepes, der gut schmeckt, irgendwann anfängt auszulaufen, jedoch weiter gut schmeckt. Nicht einfach, aus der Papptüte zu essen, ich suche mir einen Tisch und entdecke auf dieser Hälfte des Lörracher Marktplatzes genau einen (Stehtisch), an dem ich glücklicherweise noch ein
Plätzchen finde. Anscheinend ist von Publikumsseite der Bedarf an Tischen oder Sitzgelegenheiten (keine) nicht hoch, aber vielleicht wäre es nicht verkehrt, das Angebot in der Hinsicht etwas zu erweitern.
Nach dem Umbau steht auf der Bühne ein riesiges DJ-Pult in Weiß und ein DJ fängt an, einen Mix aus 90er-Jahre- Remixen und Autotune+4-to-the-floor aufzulegen. Da ich Gims nicht kenne, wundere ich mich anfangs sehr und frage mich, ob das jetzt wirklich der Haupt-Act des Abends sein soll. Das ist der Allerwelts-Sound, den man heutzutage als DJ auf Hochzeiten auflegen muss. So ganz unrecht habe ich mit meinem Erstaunen nicht, denn so geht das eine  Dreiviertelstunde lang, erst dann tritt Gims auf, anfangs mit einem Gitarristen, der aber ziemlich schnell wieder  veschwindet. Danach sind es Gims und sein DJ/Knöpfchendreher, der, als er alleine war, die erste halbe Stunde null  Kontakt zum Publikum gesucht hat, dann kam mal eine Ansage und ein bißchen Hallo hallo. Gims singt fast ebenso schnell wie er rappt und deshalb verstehe ich fast nichts. Der Gesang ist durchaus virtuos – viele Töne, schnelle  Melodien, es erinnert an Afrobeat. Durch die ständien Wiederholungen nutzt sich der Effekt aber zumindest bei mir schnell ab, irgendwann langweilt es. Da wäre es vielleicht gut, besser Franzsisch zu verstehen. Bei den Refrains singt das Publikum mit, es sind eingängie, poppige Melodien. Gims ist auch durchaus stimmgewaltig, eine Art moderner Soul-Barde, der voller Ausdruck schmalzige Balladen in Opernmarnier schmettert. Was dabei und überhaupt auf jeden Fall hilft: der Bass ist direkt vor den Boxen so laut, dass er in den Höhen weh tut. Hast du eine gute Bas(s)is aus der digitalen Konserve, ist es letztlich egal, was für eine Sahne du drüber schmierst. Nach einer Stunde ist das Konzert vorbei, der DJ spielt als Zugabe noch einen Song, fertig.
Im Nachhinein, als ich über Gims im Netz recherchiere, lese ich, dass er und sein Rapper-Kollektiv Sexion d'Assaut (eine Anspielung auf die französische Bezeichnung für die NS-Sturmabteilung, was kontroverse Diskussionen auslöste) für homophobe Äußerungen und offenen Aufruf zur Intoleranz bekannt sind. Auch wenn all dies von Hip-Hoppern immer wieder heruntergespielt wird mit dem Argument, dass Hip Hop eben provozieren will, und auch wenn er und die anderen
Mitglieder sich danach entschuldigt haben – sowas geht für mich gar nicht und mir ist es wurscht, ob ein Mensch tatsächlich auch die Positionen hinter diesen Äußerungen vertritt. F**K Donald Trump und sein Recht auf freie  Meinungsäußerung, und alle die, die es ihm gleichtun, wenn diese Äußerungen zu Hass und Gewalt bei anderen führen.
Diese Nachlese bestätigt den negativen Eindruck, den ich während des Konzerts von Gims bekommen habe – auch wenn seine aktuellen Texte, die er am heutigen Abend zum Besten gegeben hat, wahrscheinlich (wie gesagt, nachprüfen  konnte ich es nicht) nicht dazu aufrufen, Homosexuelle zu verstümmeln, so wie in früheren Machwerken zu hören, bekomme ich doch das Gefühl, dass dieser Mensch dort auf der Bühne mir nicht sympathisch ist, und es auch in einer 1-zu1 – Begegnung nicht wäre – zu abgehoben und selbstverliebt zeigt er sich, zu glatt und unnahbar.
Als Fazit bleibt, dass ich nur wegen KT Gorique geblieben bin - das ist ein Sound von heute, der uns Menschen vielleicht für das wachmacht, was uns in den kommenden Jahrzehnten gesellschaftlich, politisch und umweltbezogen bevorsteht.
Dem Stimmen Festival gebührt an dieser Stelle mein großer Dank für die Flexiblität und das Entgegenkommen, mir den Eintritt für das heutige Konzert zu ermöglichen. Auch insgesamt haben mich die Organisation und die Infrastruktur des Festivals überzeugt. Die Bahn hat aber das letzte Sagen: nach der Radfahrt von Lörrach zum Bahnhof in Weil muss ich
wieder eine halbe länger Stunde auf den Zug warten, der schließlich Freiburg mit 40 Minuten Verspätung erreicht.
Stimmen Festival immer wieder gerne – ich werde das nächste Mal höllisch aufpassen beim Eintragen der Termine in den Kalender!