« Roaring Twenties » und röhrende Filmmusik – Gatsby eröffnet Cannes!

« Roaring Twenties » und röhrende Filmmusik – Gatsby eröffnet Cannes!

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Hoffen auf eine Eintrittskarte in letzter Minute... (Bild: ASR)
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Baz Luhrmanns Literaturverfilmung ist der diesjährige Eröffnungsfilm – und um Zurückhaltung geht es dabei nun wirklich nicht … !

Mädchenfreundschaften am Do. 9.Mai 13 um 16 Uhr

Der Eröffnungsfilm spielt ja im Festivalzirkus immer eine besondere Rolle, er stimmt die filmgierige Menge auf die kommenden Tage des Irrsinns ein und setzt gewisserweise auch « Maßstäbe ». Ein Eröffnungsfilm sollte also gewisse Ansprüche erfüllen, nicht so harte Kost sein, aber doch ein Hingucker, möglichst ein Zugpferd, das Aufmerksamkeit auf das Festival zieht, mit großen Namen, zugleich jedoch muss er aus irgendeinem Grund nicht wettbewerbstauglich sein, denn der Eröffnungsfilm in Cannes läuft stets « Hors Competition », also außer Konkurrenz.

Dieses Jahr war es Baz Luhrmann, der 1962 geborene australische Regisseur, der mit pompösen Werken wie « Romeo und Julia », « Australia », « Strictly Ballroom » oder « Moulin Rouge » bereits stattliche Erfolge vorweisen kann, der den Festivalrummel eröffnen durfte.
Leider dürfen wir Pressevertreter die Abendgalas nicht besuchen, aber dafür gibt es zur Entschädigung einen anderen kleinen Vorteil :
Wir können die meisten Wettbewerbsfilme bereits einige Stunden vor der Weltpremiere sehen, zwar ohne die Anwesenheit der Crew, die dann bei der Gala über den roten Teppich wandern (bzw. stöckeln) wird, aber dafür sind wir wirklich die allerersten, die das Werk im Kino sehen dürfen.
Kleiner Wermutstropfen : Diesmal hatte der Eröffnungsstreifen bereits eine Woche zuvor seinen US-Start, also war es in dem seltenen Fall leider nur die Europapremiere.

Nach 5 Jahren Pause stellte der australische Regisseur, der eine eigenwillige, populäre Variante von « Arthouse-Kino » mit enormen Besucherzahlen zu verbinden weiß, wieder eine Literaturverfilmung vor, und wie schon bei « Romeo und Julia » war auch wieder Leonardo DiCaprio dabei :
« The Great Gatsby » nach dem berühmten, 1925 veröffentlichten Roman von F. Scott Fitzgerald ist genau der Stoff, der Luhrmann liegen sollte.
Denn die 1922 spielende Geschichte bietet Schauwerte ohne Unterlass, die wilden 20er, die geheimnisvolle schlossartige Villa, die rauschenden Parties, schöne Frauen, elegante Männer und rasende Jagden mit schmucken Sportwagen einer längst vergangenen Zeit.

Etwas verblüfft hat mich schon, dass einige Kritiker schrieben, der Film werde den subtilen Untertönen der Literaturvorlage nicht gerecht und breche immer wieder mit den historischen Vorgaben des Romans.
Wie bitte ?
Luhrmann wäre nicht Luhrmann, würde er den Film hauptsächlich auf den leisen Momenten und melancholischen Zwischentönen der Vorlage entwickeln.
Wer « Moulin Rouge » oder auch « Australia » kennt, sollte eigentlich geahnt haben, was uns an diesem Eröffnungsabend erwarten würde :
Bombastisches Kino der Schauwerte, üppige Inszenierungen, prachtvolle Kostüme und ein volltönender Soundtrack, der rockt !

Es ist kein Zufall, dass Herr Luhrmann mit seiner bewährten Kostümbildnerin verheiratet ist, die Ausstattung ist wieder einmal exzellent und sehr bewusst ausgewählt, Kino für die Augen - und ein bisschen auch fürs Gefühl, aber eben nicht für den Bildungsbürger in uns auf der stillen Suche nach differenzierenden Zwischentönen.
Wen konnte das überraschen ? Mich haben eigentlich nur diese Kritiken überrascht, die Machart des Films dagegen kaum.
Aber, aber, aber : Wenn ich ganz ehrlich sein soll, fand ich es toll !
Es rummst und kracht und dröhnt, es dramatisiert, schluchzt und leidet liebestoll, dass es eine Freude ist.
DiCaprio, den ich lange Zeit nicht übermäßig schätzte, wird immer besser, finde ich – in « Romeo und Julia » unter Luhrmann hatte er seinen Job ja damals schon gut gemacht, in « Aviator » und « Shutter Island » unter der Regie von Altmeister Scorsese hat er mir richtig gut gefallen, und spätestens jetzt werde ich mit meiner DiCaprio-Meckerei endgültig aufhören müssen :
Er spielt den eigenartigen, undurchschaubaren Mister Gatsby völlig überzeugend, und bildet einen interessanten Gegenpol zum eher introvertierten, nachdenklichen Nick, den Tobey Maguire gut vermittelt.
Jungstar Carey Mulligan überzeugt durchaus als attraktive Herzensdame Daisy, Elizabeth Debicki spielt wunderbar-lässig die zynisch-coole Golfspielerin Jordan, und die indische Schauspiellegende Amitabh Bachchan verkörpert den rätselhaften Meyer Wolfsheim, der hinter den Kulissen seine Fäden zieht.

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Unser RDL-35-Millimeter-Reporter hat entdeckt: Chaplin lebt! (und Elvis, und Marilyn, und...)

Klar aber ist: Dies ist kein "Schauspielerfilm", die Figuren sind eher Staffage, sie sind es, die hier die Kulisse bilden, während die sogenannten Kulissen hier quasi zum Hauptdarsteller des Werkes aufsteigen.
Aber warum auch nicht, wenn sie so liebevoll und bewusst ausgewählt wurden?
Auch im Roman will der grosse Gatsby seine Daisy durch Schmuck und Pomp, durch Dekor und Pracht und Luxus zurückgewinnen - warum also nicht diese Dinge mittels einer üppigen Ausstattung in den Mittelpunkt rücken?
Weil er letztendlich mit dieser Strategie scheitert?
Das wäre natürlich ein Argument, zugegeben. Aber bestehen nicht der Reiz von Buch und Film gerade darin, ihm genußlich im visuellen oder narrativen Luxus schwelgend bei diesem Scheitern zuzusehen?

Interessant an dem Film ist, wie so oft bei Luhrmann, insbesondere die Filmmusik : Einerseits gibt es viel historischen Jazz zu hören, passend zum Zeitgeist. Wenn aber die wilden Parties so richtig rocken sollen auf der Leinwand, macht Luhrmann schlitzohrig genau das Richtige, denke ich : Er tauscht den in unseren heutigen Ohren so gefällig-unterhaltsamen Jazz, der ja lange schon seine anrüchige, subversive Note verloren hat, gegen Musik aus, die in den Ohren eines zeitgenössischen Publikums zu wilden, exzessiven Parties passt : Wenn es richtig wild wird im Film, gibt es Hip-Hop und harten Rap auf die Ohren, damit sich die Partystimmung den heutigen ZuschaürInnen vermitteln läßt.
Und das passt, meiner Ansicht nach, richtig gut !

Also, trotz allgemein gespaltener Kritikermeinungen und sehr unterschiedlichen Besprechungen : Ich würde dazu raten, sich diesem Kino der üppigen Schauwerte auszuliefern, sich mit Wonne in den Farben-, Bilder- und Sound-Teppich des Regisseurs fallen zu lassen und das Ganze nicht als authentische Literaturverfilmung oder als getreü Rekonstruktion des Lebensgefühls der zwanziger Jahre, sondern als Kino der Gefühle und des visüllen Rauschs einfach zu genießen (und der Einsatz der 3-D-Effekte ist endlich mal wieder gut gelungen, zumindest hier auf der hervorragenden Leinwand und mit Brillen, die mehr Tiefe liefern als die heimischen Cinemaxx-Gestelle !).

Alexander Sancho-Rauschel

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