Schnellschüsse – Kurzkritiken vom Festival
« Stranded » von Roger Christian hat ja auch meine Kollegin Angelique bereits erwähnt : Ein mehr als überflüssiger Sci-Film der billigeren Sorte, der wohl einzig allein dadurch Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass Christian Slater mitspielt. Der gehört jetzt auch nicht mehr gerade zur ersten Riege an Akteuren, aber immerhin kennt man den Namen noch (True Romance, Very bad things etc. – aber auch mit einer Rolle in Breaking Dawn 2).
Aber dieser müde Aufguss, der skrupellos den roten Faden von « Alien » kopiert und sich dazu hemmungslos beim den beiden klassischen Verfilmungen von « Invasion der Körperfresser » nach dem legendären Jack-Finney-Roman von 1954 anreichert (u.a. großartig verfilmt von Don Siegel 1956 und von Philip Kaufman 1978), ist so originell wie beispielsweise der Gedanke, man könnte doch endlich mal einen Film mit Superhelden machen… oder so !
« Fruitville Station » von Regisseur Ryan Coogler ist einer der interessantesten Filme bisher aus der Sektion « Un certain regard ». Und einer der politisch aussagekräftigsten Filme des bisherigen Festivals, obwohl es bereits einige gab, die deutlich Stellung bezogen – es wäre auch ein Wunder, würden Finanzkrise und die Erosion der sozialen Verhältnisse und der Arbeitsmärkte in vielen Ländern auf einem so internationalen Festival keine Spuren hinterlassen.
Cooglers Spielfilm basiert auf wahren Ereignissen. Am Silvesterabend 2009 wurde in einem Vorort von San Francisco ein junger Schwarzer erschossen. Nach einer Prügelei in einer Metro, bei der er unschuldig angegriffen worden war, und die eskaliert war, zog die Polizei eher wahllos junge schwarze Männer aus der Bahn, der 22-jährige Oscar, etwas aufbrausend und mit einer vielleicht etwas großen Klappe, verteidigt sich verbal, die Situation wird immer unkontrollierbarer für die überforderte Polizei, schließlich zieht ein junger Polizist seine Waffe und erschießt den wehrlosen Oscar.
Der Fall hatte seinerzeit für großes Aufsehen gesorgt, der Polizist war sogar verurteilt worden, allerdings bald wieder freigelassen worden.
Interessant an dem Film ist, dass er auf klare Schuldzuweisungen verzichtet, er erzählt einfach das Geschehen nach, in einem fast schon trockenen, sehr geradlinigen Stil. Vor allem aber erzählt er die Vorgeschichte, wir lernen Oscar kennen, seine nicht ganz fleckenlose Vergangenheit, sein Temperament, seine Lebenslust, wir erfahren viel über seine soziale Situation, sein Elternhaus, seine Freundin, wir erleben ihn als kleinen Dealer, der Marihuana handelt, aber aufzuhören beschließt, um seiner kleinen Tochter ein Vorbild zu sein…
Ein interessanter, sehr gut gespielter kleiner Film mit sicher recht niedrigem Budget, der recht schnörkellos eine klare Linie fährt und eine Aussage macht, ohne ins kitschige Drama zu rutschen.
« The Bling Ring » von Sofia Coppola. Eine der Königinnen des Festivals, die selbstredend schon längst die großen Fußstapfen von Vater Francis verlassen hat und seit « Virgin Suicides » und natürlich dem Riesenerfolg « Lost in Translation » zu einem Arthouse-Liebling aufgestiegen ist.
Aber diesmal ist die Kritik zu ihrem neuen Werk sehr geteilt – auch « The Bling Ring » basiert auf wahren Begebenheiten (ist das der rote Faden durch die diesjährige Festival-Selektion?), und erzählt von einer dreisten, aber nicht unsympathischen, wenn auch etwas dämlichen Gruppe von Teenagern, die tatsächlich vor wenigen Jahren für Schlagzeilen gesorgt hatte, weil sie ohne großen Aufwand in die Häuser zahlreicher Prominenter einbrachen, dort unbekümmert feierten, Klamotten anprobierten, für Fotos posierten und nebenbei da seine oder andere Schmuck- oder Kleidungsstück mitgehen ließen.
Der Film erzählt von 7 oder 8 dieser Einbrüche, aber auch von dem Leben der Jugendlichen, die eher zur Oberschicht gehören, völlig markenfixiert sind, und ihr Leben als Kopie der großen Vorbilder ausrichten – sie wollen wie Models oder Schauspieler leben, Oberfläche und schöner Schein sind alles, Gucci, Prada und Chanel ist alles, was für sie zählt.
Interessant wird es allerdings erst dann, wenn sich zu der schlichten Handlung des Films die Frage hinzugesellt, warum diese Jugendlichen so geworden sind, wie sie sind. Sind es nur Idioten, die über kurz oder lang selbstverständlich mittels igendeiner Videoaufnahme erwischt werden mussten, oder hat es andere Ursachen, dass Teile dieser hier präsentierten amerikanischen Jugend weder eigene Persönlichkeiten oder Ideen entwickelt und nur als Kopie fragwürdiger Vorbilder leben will?
Hier ist die Regisseurin eher zurückhaltend, dennoch ist für mich klar, dass der Film derartige Fragen beim Publikum provozieren will…
aber auch dann kann einem dieses dauernde Gerede über dieses Kleid und jene Handtasche schon auch ein wenig auf die Nerven gehen – dennoch, irgendwie hat der Film mir trotzdem Spaß gemacht, und das sehr junge Darstellerensemble ist frisch und mit Spaß bei der Sache – ich kannte in dem Cast nur Emma Watson (die Hermione aus den Harry-Potter-Filmen).
Kurzum : Nicht der ganz große Wurf, denke ich, aber ein Film, der unterhält und interessante Fragen aufwirft, auch wenn er sich hartnäckig weigert, sie zu beantworten. Das müssen wir hier ausnahmsweise mal selber machen.
Alexander Sancho-Rauschel


