"Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.“, mit dem Zitat von Esther Bejarano mobilisierte das Offene Antifa Treffen zu einer Spontankundgebung anlässlich der Urteile im Antifa-Ost-Verfahren, am Samstag, den 3.6.23, auf den Platz der Alten Synagoge in Freiburg. Das Motto: "Freiheit für Lina! Free all Antifas!"
Anlass bot das Urteil gegen die Antifaschistin Lina E. sowie drei Mitangeklagten, die unter Verwendung des umstrittenden §129 StGB zu mehrjährigen Haftstraven verurteilt wurden. Das, obwohl Beweise fehlten und das Gericht in dem Urteil auf die Zeugenaussagen von Neonazis und eines linken Szene-Aussteigers stützt, wie Prozessbeobachter*innen und Antifaschist*innen bemängeln. Auch in der Rede von der Roten Hilfe Freiburg wurde das Urteil als "Generalangriff auf alle Antifaschist*innen" bewertet: "Die Verurteilung [...] ist ein Angriff auf unsere politische Arbeit und Überzeugung im Kampf für eine solidarische Gesellschaft jenseits des Kapitalismus.", so ein*e Aktive in der Rede:
An dieser Stelle dokumentieren wir die gehaltene Rede von "Gemeinsam Kämpfen - Kommunistische Gruppe"
Nachch einem eineinhalbjährigen Prozess erlebten wir am Mittwoch die erste Urteilsverkündungung im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren. Lina wurde zu fünf Jahren Knast verurteilt, die anderen drei Angeklagten zu jeweils zwei Jahren und fünf Monaten, drei Jahren und drei Jahren und drei Monaten.Schlüssige Beweise gibt es auch nach fast 100 Prozesstagen nicht.
Selbst die Bundesanwältin Alexandra Geilhorn musste zugeben, dass es nicht die eine „smoking
gun“ gegeben hat. Nichtsdestotrotz hielt sie bis zum Schluss und bis ins letzte Detail an ihrer
Anklageschrift fest und forderte für Lina 8 Jahre Haft.
Als Beleg für die Täterschaft der Beschuldigten reicht am Ende eine DNA-Mischspur, die zu Lina
passen könnte, Bilder eines Tatortes auf einer Speicherkarte und abgehörte Gesprächsfetzen.
Ohnehin ist Lina die einzige Frau im Umkreis von 300km, die hochdeutsch spricht und
Antifaschistin ist, weswegen ihr auch alle Taten zugerechnet wurden, bei der zum Anklagezeitpunkt eine Frau dabei gewesen sein könnte.
Die hohe Strafe beruht vor allem auf dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB. Über diese mutmaßliche Vereinigung wissen die Repressionsbehörden eigentlich nichts. Sie wissen weder einen Zeitraum, in dem sie sich gegründet haben soll, noch kennen sie alle Mitglieder. Nicht mal ein Name der Gruppe ist ihnen bekannt. Mit der 2017 erfolgten Reform des sogenannten Schnüffelparagraphen 129 ist das alles auch nicht mehr notwendig. Der Staat definiert nun quasi jeden politischen Zusammenhang, der sich nicht auf bloße Lippenbekenntnisse beschränkt, als potenziell kriminelle Vereinigung. Das Verfahren war ein Testballon dafür, das Konstrukt der kriminellen Vereinigung auf organisierten Antifaschismus anzuwenden und damit eine politische Haltung kriminalisieren zu können. Mit dem vermehrten Einsatz der 129er Paragraphen im Antifa-Ost-Verfahren, gegen kurdische und türkische Linke oder den Roten Aufbau Hamburg und auch die hohen Haftstrafen gegen zwei Antifas im Wasen-Verfahren in Stuttgart zeigen wie ernst der Staat es dabei meint.
Für den vorsitzenden Richter Schlüter-Staats war das Verfahren aber alles andere als politisch. In der Urteilsbegründung meinte er zu einem Verteidiger, er solle doch die Gedenkstätte in
Hohenschönhausen besuchen, wenn er wissen wolle, was politische Justiz sei.
Wir sprechen von politischer Justiz, weil das ganze Rechtssystem darauf beruht, die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten. In einer Klassengesellschaft ist die Justiz immer eine Klassenjustiz.
Und da es keine über der Gesellschaft schwebende Gerechtigkeit gibt, erfüllt die bürgerliche Justiz gerade darin ihren Zweck, die Klassenunterschiede aufrechtzuerhalten und diesem Staat
antagonistisch/wiederstreitend gegenüberstehende Bewegungen zu kriminalisieren.
Die hohen Urteile sollen nicht nur der radikalen Linken, sondern der ganzen Gesellschaft verdeutlichen, dass sich Widerstand nicht lohnt und wir uns mit den Verhältnissen abfinden müssten.
Während sich rechte Kräfte im Aufschwung befinden, sich der faschistische Flügel innerhalb der AfD weiter festigt, sich bewaffnete Zusammenhänge im Reichsbürgerlager formieren und sich rechte Netzwerke im Staatsapparat wie bei der Polizei und Bundeswehr bilden, die Pläne für die Machtübernahme schmieden, ist die Notwendigkeit unseres Widerstands jedoch offensichtlich. Die erforderlichen Ebenen sind dabei so vielschichtig, wie die Gefahr selbst: Mit Antifa- Organisierungen, Bildungs- und Gedenkarbeit zur Schaffung von antifaschistischem Bewusstsein, mit Bündnissen zur Verbreiterung der Front gegen den Faschismus und auf der Straße in der direkten Auseinandersetzung, um die Handlungsräume der Rechten einzugrenzen.
Antifa-Gruppen, starke Proteste und Bündnisse gegen Rechts sowie die direkte Konfrontation mit Nazis und Angriffe auf ihre Infrastrukturen am Abnehmen. Errungenschaften und Erfahrungen aus der antifaschistischen Bewegung gehen verloren.
Mit dem sogenannten Antifa-Ost Verfahren wird einer der wenigen ernsthaften Ansätze angegriffen, die in den letzten Jahren in die Offensive gegangen sind – eine Antwort auf die bedrohliche Entwicklung faschistischer Straßenmacht in Teilen Ostdeutschlands.
Für die Bundesanwaltschaft endet der politische Meinungskampf da, wo die Gewalt das Recht einer „Bevölkerungsgruppe“ einschränken soll. Wenn diese „Bevölkerungsgruppe“,deren Meinungsfreiheit durch die Beschuldigten eingeschränkt wurde, aus Rechtsradikalen und
angehenden Rechtsterroristen besteht, dann ist das nicht nur ein Beweis für die Fragwürdigkeit der Bundesanwaltschaft und Soko LinX, sondern erst recht für die Notwendigkeit antifaschistischer Selbstorganisierung. Wer links und rechts, wie beim Hufeisenmodell, gleichsetzt, verteidigt nicht die Demokratie, sondern diffamiert und bekämpft die, die für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschiedlich sein können. Diese Gleichsetzung relativiert rechte Gewalt und stellt die Realität somit völlig auf den Kopf. Die große Gefahr von links wird heraufbeschworen, wo immer es geht. Das konnte man auch im Verfahren gegen Lina und die drei weiteren Antifaschisten sehen.
Unsere Antwort auf die Kriminalisierung von Antifaschismus heißt Solidarität.
Lassen wir uns angesichts der Repression nicht einschüchtern, sondern mit anderen kriminalisierten Widerständigen vernetzen und weiterkämpfen: Ob Armut kriminalisiert wird, Antifaschist:innen, Migrant:innen, der Klimakampf usw – der Staat hat erst begonnen, lassen wir dies nicht unwidersprochen.
Antifa ist Landarbeit, Antifa bleibt Handarbeit!
An dieser Stelle möchten wir die Gelegenheit nutzen alle Antifaschist:innen solidarisch zu grüßen:
jene, die uns fehlen, weil sie inhaftiert wurden, wie jene in Deutschland, Ungarn, Belarus, Russland oder Griechenland, und jene, die derzeit von der Staatsgewalt verfolgt werden, um sie ihrer Freiheit zu berauben; wir grüßen jene, die im Zusammenhang des Verfahrens und darüber hinaus Repression erfahren und auch all jene, die sich in Solidarität mit den Angeklagten die Straße nehmen und genommen haben.
Freiheit für Lina!
Free all Antifas!