Am vergangenen Samstag, den 18. September 2021, fand in Leipzig die antifaschistische Bündnis-Demonstration „Wir sind alle Antifa – wir sind alle LinX“ statt. An der Versammlung, zu der bundesweit mobilisiert wurde nahmen laut Veranstalter*innenangaben mehr als 5000 Menschen teil. Anlass für den Aufzug war der Prozessbeginn im Antifa-Ost-Verfahren gegen Lina und drei weitere Antifaschist*innen. Lina, die seit mehr als 10 Monaten in U-Haft sitzt und den anderen Angeklagten wird die Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung laut §129 StGB vorgeworfen. Lina soll Rädelsführerin einer Gruppe gewesen sein, die Rechtsradikale angegriffen haben soll. Die Demonstration sollte der Forderung Nachdruck verleihen die „Soko LinX“ aufzulösen und die Angeklagten, die diese ermittelt hätte, freizulassen.
Die Auftaktkundgebung auf dem Johannisplatz begann mit einem Grußwort von Linas Mutter. Diese betont darin u.a. die sexistische und menschenverachtende Inszenierung ihrer Tochter durch einige Presseorgane und kritisiert, dass Lina zur Terroristin ohne jegliche Unschuldsvermutung stilisiert würde. In Zeiten der akuten rechten bzw. rechtsradikalen Bedrohung mache es Linas Mutter wütend und besorgt, welche Entwicklungen in dem Fall ihrer Tochter zu beobachten sind und welche Schlüsse daraus gezogen werden könnten: „Wer sich in Deutschland gegen Nazis wehrt wird mit aller Härte verfolgt und bestraft.“ Die Grüßende dankt zum Schluss den Aktivist*innen für ihr antifaschistisches und antirassistisches Engagement und den Einsatz für Lina und sendet solidarische Grüße an die Demonstrant*innen, wie auch an Lina und den anderen angeklagten.
Das Rojava Solibündnis, deren Rede folgte schloss sich dem Tenor an. Die rechte Bedrohung sei enorm und Sicherheitsbehörden durchsetzt mit Rechtsextremen. Linke Bewegungen sehen sich zunehmender Kriminalisierung auseinandergesetzt, so die Rednerin. Dass zeige sich in dem „absurden Fall“ von Lina und Dy, wie aber auch in der Repression gegen die kurdische Bewegung.
Im Anschluss hielt die Interventionalistische Linke Leipzig eine wütende Rede, in der ebenfalls die aktuelle Repression gegen Linke thematisiert wird.
Der mittlerweile auf mehrere Tausend Teilnehmende angewachsene Demonstrationszug setzte sich nach der Aufstellung laut und mit viel Pyro in Bewegung. Die Demonstration deckte ein breites Bündnis antifaschistischer Zusammenhänge ab. Vorne weg lief der „Wir sind alle LinX“- Bündnisblock, gefolgt von dem Lautsprecherwagen. Dahinter reihten sich die Menschen in den Internationalistischen Block, der sich gegen die Kriminalisierung der HDP aussprach, in den Block der NIKA-Kampagne oder in den Revolutionären Block ein. Letztgenannter nahm mit eigenem Lautsprecherwagen an dem Aufzug teil. In den Durchsagen und Ansprachen, die daraus erklangen sprachen sich die Redenden gegen Kapitalismus und für eine antifaschistische Organisierung aus, die von der Reaktion in die Aktion wechseln solle, denn nur so würde man eine „starke Gegenmacht“ zum erstarkenden Faschismus bilden. Im Nachgang zur Demonstration wurde von mehreren Teilnehmenden kritisiert, dass sich in den Reihen des revolutionären Blocks ehemalige Kader des aufgelösten und antisemitischen „Jugendwiderstands“ befunden haben sollen.
Die Demonstration zog, durch antifaschistische Parolen, durch die vielen Transparente, aber auch durch die verschiedenfarbige Rauchfackeln und durch anderes Feuerwerk, die Aufmerksamkeit von Passant*innen und Tourist*innen auf sich. Die Route verlief zunächst über den Augustusplatz, dem Roßplatz, bis zum Wilhelm-Leuschner-Platz, wo eine Zwischenkundgebung stattfand. Als Kundgebungsort sei der Ort aufgrund der unmittelbaren Nähe zur Dimitroff-Polizeiwache gewählt worden.
In einer Rede des Solidaritätsbündnisses Antifa-Ost wurde erneut der Fokus auf das Ermittlungsverfahren der „Soko LinX“ und den Prozess gegen Lina und den drei Weiteren gesetzt. Dieser Komplex sei Resultat eines Rechtsrucks in der Politik, ausgelöst durch Einzug der AfD in die Parlamente und Sinnbild rechter Verstrickungen in Polizei, Verfassungsschutz usw. Die Gefahr für Menschenleben sei durch Rechtsradikale immanent und gerade im Osten der Bundesrepublik genössen diese Narrenfreiheit. Die Rednerin schließt ab: „Konsequenter Antifaschismus ist legitim und notwendig!“
Anschließend wurde ein Redebeitrag des internationalistischen Blocks gehalten. In diesem ging es um die Kriminalisierung der HDP und der faschistischen Politik der Erdogan-Regierung in der Türkei. Die demokratische Partei, die die kurdische Minderheit in der Türkei vertritt, sei ausgeprägter Unterdrückung bis hin zu Mordanschlägen ausgesetzt. Der Versuch die HDP zu verbieten sei auf die angestrebte Alleinherrschaft Erdogans zurückzuführen. Dieser sehe in der kurdischen Partei eine Bedrohung für seine Hegemonie.
Es folgte eine Ansprache der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“. Darin sprechen sie sich für eine grundlegendere Kritik an der Polizei und ihrer Rolle in der immer weiter nach rechts rückenden, kapitalistische Gesellschaft aus. Die Widersprüche zwischen zunehmender Aufrüstung der Polizei und die mangelnde Finanzierung bspw. von Luftfiltern in Schulen seien beispielhaft für die autoritäre Formierung dieser. Im Kampf gegen Rechts solle sich also nicht nur nicht auf den Staat verlassen werden, vielmehr sollte sich dieser unabhängig von diesem organisieren und bewegen.
Als letzte Rede der Zwischenkundgebung war ein Beitrag der Gruppe „Die Plattform Leipzig“ zu hören. In diesem Blickt der Redner zurück auf die Zeit vor 60 Jahren, als die Situation der linken, widerständischen & antiautoritären Bewegung „genauso mies“ gewesen sei. Als Beispiel führt „Die Plattform Leipzig“ Wilhelm Jelinek an und beschreibt die biographische Entwicklung und den politischen Aktivismus des Anarchisten, der 1949 durch ein sowjetisches Militärtribunal zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Jelinek starb 1952 im Zuchthaus Bautzen an bis dato ungeklärten Ursachen. Dieses Beispiel solle zeigen, dass es eine Kontinuität und gleichzeitig verschiedene Formen von Repression gegenüber Linken gebe. An die Demonstrant*innen richtet sich abschließend der Apell: „Repression wird bleiben, aber genauso bleibt Zusammenhalt. Es ist Zeit sich zu wehren [...]“, und weiter: „[…] eine nachhaltige anarchistische Organisierung zu verwirklichen. Mit gemeinsamen Zielen, gemeinsamen Vorgehen, kollektiven Verantwortung, einer föderalistischen Struktur und einem revolutionären Anspruch.“
Als die Zwischenkundgebung beendet wurde, setzte sich der Demonstrationszug weiter in Bewegung. Als sich die Mitte des Zuges auf der Höhe der „Dimitroff-Wache“ befand, begannen einige Aktivist*innen das Gebäude mit Pyrotechnik und Flaschen anzugreifen und in der Nähe befindende Polizeieinheiten ebenfalls. Die Polizei war zwar mit einem Großaufgebot im Einsatz, verhielt sich vor und nach dieser Situation während der Demonstration defensiv und deeskalierend. Mit Ausnahme eines dauerhaft präsenten Kamerawagens und dem dicht über der Demonstration kreisenden Helikopters. Dieses deeskalative Vorgehen sollte sich im weiteren Verlauf des Abends jedoch noch ändern.
Auf dem Weg über die Karl-Liebknecht-Straße bis zur Abschlusskundgebung auf dem Connewitzer Kreuz nahmen mehrere Banken, ein Luxus-Studierendenwohnheim und ein Tesla Sachschaden durch Glasbruch. Die Demonstration konnte nichtsdestotrotz unbehelligt das Ziel erreichen und sich nach der Abschlusskundgebung auflösen. Den Demosanis Süd waren zu dem Zeitpunkt keine Verletzten bekannt.
Inhaltlich hatte in der letzten Hälfte, beziehungsweise dem letzten Drittel der Demonstration, aus dem Lautsprecherwagen des revolutionären Blocks eine Rede von acht Antifa-Gruppen aus Süddeutschland gehallt. Wie zuvor die Anarchist*innen plädieren auch diese Gruppen für eine Organisierung einer starken antifaschistischen Bewegung. Doch anders, als bei jener, scheinen sich diese Gruppen nicht dem föderalistischen, sondern einer kollektivistischen Gesellschaftsstruktur verbunden zu fühlen: „Organisierung, das ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Erst durch Organisierung können wir ein Kollektiv, einen Faktor schaffen, der Theorie und Praxis in ein Verhältnis zueinander setzt.“
In einer weiteren Rede, die aus dem Lautsprecherwagen desselben Blocks erklang sprach die Rednerin über die Hintergründe der „Soko LinX“ und den Angriff auf linke Strukturen, der damit einher ginge. Aus dem vehementen Vorgehen gegen Linke, wie beispielsweise gegen Lina, solle die antifaschistische Bewegung lernen. Das resultierende Anliegen, das in der Ansprache vertreten wird, sei die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsstruktur. Diese sei eine erkämpfenswerte Alternative zum kapitalistischen System, das keine lebenswerte Perspektive zu bieten hätte.
Die Abschlusskundgebung auf dem Connewitzer Kreuz wurde eröffnet mit einem Redebeitrag von „RASSISMUS TÖTET“, bei dem zur Teilnahme an der Demonstration anlässlich des 10. Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU am 6. November in Zwickau aufgerufen wurde.
Dem folgte eine Ansprache von AK Antifa Cologne. Auch hier wird die politische Dimension des Antifa-Ost-Verfahrens hervorgehoben und die Brücke zur geplanten Verschärfung des Versammlungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen geschlagen. Die Realisierung dessen würde eine Auswirkung auf bundesweiten, linken Protest bedeuten. Diese Gesetzesverschärfung könne nämlich die Vorlage für andere Bundesländer bieten, weshalb es notwendig sei entschlossen dagegen zu demonstrieren.
Die letzte Rede der Demonstration wurde von der Roten Hilfe, beziehungsweise dem Solidaritätsbündnisses Jamnitz aus Nürnberg gehalten. Es wird der Komplex um die skandalösen Verfahren und letztendlich Verurteilungen vorgetragen, die rund 18-monatige Haftstrafen für die beiden Angeklagten bedeuteten. Der Wille durch Polizei und Justiz bei diesem Fall ein Exampel an Linken zu statuieren sei dadurch verdeutlicht, dass einer der Verurteilten nachweislich nicht am vermeintlichen Tatort gewesen sei.
Schließlich wurde die Demonstration offiziell aufgelöst und ein Großteil der Demonstrierenden verließ nach und nach den Ort.
Etwas rituell wirkten die Szenen, die sich im Anschluss abspielten, denn der Tag war ja nicht vorbei. Nach der Auflösung der Bündnisdemo verblieben hunderte Antifaschist*innen in Connewitz und bauten Barrikaden in der Wilhelm-Heinze-Straße auf, die dann auch entzündet wurden. Die Polizeikräfte wurden mit Steinen angegriffen, die wiederum mit vier Wasserwerfern, einem Räumpanzer und mehreren Hundertschaften gegen Autonome, aber auch gegen Unbeteiligte, Anwohner*innen und Journalist*innen vorgingen. Die Polizei versetzte aufgrund kleinerer Straftaten einen ganzen Stadtteil für mehrere Stunden in einen Ausnahmezustand. Erst gegen 21:30 verließ das Großaufgebot den Leipziger Süden endgültig und es kehrte Ruhe ein.