Terrorismus: Türkei: 6 JournalistInnen zu erschwerter lebenslänglicher Haft verurteilt

Türkei: 6 JournalistInnen zu erschwerter lebenslänglicher Haft verurteilt

Natürlich freut sich auch der Nachrichtenschreiber, dass Deniz Yücel endlich freigelassen wurde! Man kann sich aber auch fragen, was die Bundesregierung letztlich in diesem an Geiselnahme erinnernden Fall draufgelegt hat. Für die KollegInnen in der Türkei ist jedenfalls nichts besser geworden. Während Deniz Yücel freigelassen wurde, wurden die Journalistin Nazli Ilicak und ihre Kollegen Ahmet Altan, Mehmet Altan, Fevzi Yazisi, Sükrü Tugrul Özsengül und Yakup Simsek zu lebenslanger, erschwerter Haft verurteilt. Erschwerte Haft bedeutet, dass der oder die Verurteilte unter keinen Umständen begnadigt werden kann. Das schließt auch Fälle von schwerster Krankheit ein. Der Verurteilte soll das Gefängnis nie mehr verlassen, es sei denn in einem Sarg.

Verurteilt wurden die 6 wegen angeblicher Beteiligung an dem fehlgeschlagenen Militärputsch am 15. Juli 2016. Sie sollen von dem Putsch im voraus gewusst haben. Die Verurteilten standen früher der Gülen-Bewegung nahe oder hielten Kritik an der Gülen-Bewegung für überzogen. Allerdings hat auch der jetzige Präsident Tayyip Erdogan die Bewegung des pensionierten Predigers Fethullah Gülen lange Zeit sehr gefördert und sich gerne ihrer bedient.

Ein besonderer Fall ist der von Nazli Ilicak. Die aus einer liberal-konservativen  Familie stammende Journalistin war Ende der 1990-ziger Jahre eine kurze Zeit Abgeordnete. Dabei fiel sie als die mutigste Kritikerin des Militärs im Parlament auf. Wohl deshalb wurde ihr das Abgeordnetenmandat gerichtlich entzogen. Die offizielle Begründung war, dass sie den Versuch der Abgeordneten Merve Kavakci, sich mit Kopftuch vereidigen zu lassen unterstützt habe (Merve Kavakci wurde wenige Tage später aus formalen Gründen die Staatsbürgerschaft aberkannt, wodurch sie ihr Mandat vor Ilicak verlor).

Später unterstützte Ilicak Erdogan publizistisch, begann aber etwa seit 2010, Erdogans Machtanhäufung zu kritisieren. Sie schrieb ein Buch, in dem sie der linksnationalistischen und militärnahen Publizistik in der Türkei, eine Überschätzung und Dämonisierung der Gülen-Bewegung vorwarf.

Weil Nazli Ilicak aus einem Erdogan ansich nahestehenden Milieu kam, wurde sie wohl als besonders gefährlich angesehen. In Erdogan treuen Medien häuften sich Angriffe auf sie. Am 23. August 2015 bezeichnete sie die Zeitung Aksam (Der Abend) als "Killer" (tetikci). Ein weiterer Vorwurf: mit ihrer oft heftigen Kritik an Erdogans Partei verfolge sie ja die gleichen Ziele wie die Terroristen, nämlich der Regierung zu schaden. Eine wunderbare Logik.

Schließlich tauchte Nazli Ilicak unter. Ihr eigener Sohn machte ihr darauf öffentlich Vorhaltungen, sie solle doch einfach zur Staatsanwaltschaft gehen und ein paar Erklärungen abgeben, was sei schon dabei. Seine Mutter verstand aber offenbar mehr von Politik. Nicht einmal das Militär ist mit seinen KritikerInnen so umgegangen wie Erdogan.

jk