"Werther" im Neuen Theater in Dornach (CH): Wenn Kommunikation scheitert

Wenn Kommunikation scheitert

Goethes Werther ist ein vielgespielter Klassiker, aber am Neuen Theater in Dornach ist der Briefroman jetzt in einer besonderen Fassung zu sehen. Dort spielen schwerhörige mit hörenden Schauspieler*innen und kombinieren Gebärden mit Lautsprache und Musik. Sie interpretieren den Werther auch als einen Roman über scheiternde Kommunikation.

Zu sehen ist Werther in der Inszenierung von Kaija Ledergerber am 20., 21. und 24. September.

 

Manuskript:

Werther: "Wegen des Blutes auf der Lehne des Sessels konnte man daruaf schließen, dass werther die Tat sitzend ausgeführt hatte. Dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch, also krampfartig herumgewälzt, und lag schließlich vor dem Fenster."

Blauer Frack, gelbe Weste – so kennt man Goethes Werther, den unglücklich Verliebten, der sich am Ende des Briefromans das Leben nimmt. In der Adaption der Regisseurin Kaija Ledergerbers steht diese Selbstmordszene am Anfang des Stücks, die Dreiecksgeschichte von Werther, Lotte und deren Verlobten Albert wird im Rückblick erzählt.

Werther: "Um 12 Uhr mittags schließlich starb er. Um 11 Uhr nachts trug man ihn an die Stätte der Stelle, die er sich ausgewählt hatte. Alber t war nicht im Stande zur Beerdigung zu gehen, man hatte Angst um Lottes Leben."

Im Neuen Theater in Dornach bei Basel inszeniert die Regisseurin aber nicht nur eine weitere Version des Sturm-und-Drang-Klassikers, sondern experimentiert auch mit den Grenzen des Sprechtheaters. Ledergerber und ihre Darsteller*innen Ilja Baumeier, Lua Leirner und Yannick Frich stellen das Sprechen selbst auf die Probe. Denn: Diese Werther-Version kombiniert Lautsprache mit Gebärden und Musik. Lua Leirner, die die Lotte spielt, ist stark schwerhörig. Ihre Lotte bleibt deshalb aber nicht stumm, sondern gebärdet und ist damit gegenüber der Text-Lotte eigentlich im Vorteil, denn die lernen die Leser*innen nur durch Werther vermittelt kennen.

Wichtiger als die konkreten Worte seien aber die Bilder, die bei den Zuschauer*innen im Kopf entstehen, sagt Leirner:

Leirner: "Es ist ein Unterschied, dass man auch Bilder bekommt, also eine Vorstellung, visuelle Bilder, die im Original nicht stehen.

Ohnehin sei Werther ein Roman über Kommunikation – scheiternde Kommunikation – sagt die Regisseurin Kaija Ledergerber:

Ledergerber: "Es gibt schon solche Stellen wo man dann sich fragt, wie kommunizieren die miteinander? Warum spricht zum Beispiel Lotte das nicht an bei Albert, dass sie sich Sorgen macht um Werther? Man stellt sich auch die Frage warum antwortet eigentlich dieser Wilhelm nie wirklich auf diese Briefe und auf diese, schon auch Hilferufe. Es gibt ja nie wirklich eine Antwort."

Da passt es, dass nicht immer alle Zuschauer*innen alles verstehen. Neben Gebärden, Lautsprache und Übertiteln gibt es auch den Musiker Yannick Frich. Sein Albert hat gar keinen Text und kommuniziert stattdessen ausschließlich über die live eingespielte Musik.

Frich: "Also ich habe das Drehbuch gelesen und habe versucht, die Emotionen für mich musikalisch umzusetzen. Und jetzt merke ich aber, es ist teilweise noch schwierig, weil es ist anders, wenn ich das lese als wenn wir es auf der Bühne spielen."

Die unterschiedlichen Kommunikationsebenen nutzt die Dornacher Inszenierung auch, wie Ilja Baumeier und Lua Leirner erklären.

Baumeier: "Im Prinzip übersetzen wir uns gegenseitig, aber in Dialogform. Da gibt's eine Szene wo wir beide alles vom anderen wissen und auch verstehen."

Leirner: "Genau, und einen anderen Moment wo er und Albert beschäftigt sind und eine eigene Geschichte erzählen und da weiß ich nicht worüber sie reden."

Werther: "Sie ist nicht geladen. Albert, du magst Selbstmord lasterhaft finden, aber gibt es auch hier einige Ausnahmen."

Reden rettet Leben heißt dann auch das Motto, unter dem die Inszenierung von der schweizerischen Fachstelle für Psychiatrische Gesundheit und Suizidprävention gefördert wird. Für das Phänomen Suizid gilt Werther als Abbild und Problem zugleich. So reißt Goethes Text die Diskussion um Schuld und Glorifizierung des Selbstmords an. Und nach seiner Veröffentlichung soll es eine ganze Epidemie von Suiziden nach dem Vorbild der Hauptfigur gegeben haben – der sogenannte Werther-Effekt.

Werther: "Sie kann Freude, Leid, Schmerzen bis auf einen gewissen Grad ertragen und geht zugrunde, sobald der überstiegen ist. Hier ist also überhaupt nicht die Frage, ob einer stark oder schwach ist, sondern er das Maß seines Leidens ausdauern kann."

Werther in der Inszenierung von Kaija Ledergerber mit Ilja Baumeier in der Titelrolle, Lua Leirner als Lotte und Yannick Frich als Werther feiert am 20. September Premie. Zu sehen ist das Stück im Neuen Theater in Dornach danach noch am 21. und am 24. September.