Seltsame Putschversuche: Wie Erdogan die "Gnade Gottes" zuteil wurde, soll niemand wissen

Wie Erdogan die "Gnade Gottes" zuteil wurde, soll niemand wissen

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Der Putsch verursacht um 22:30 einen Stau auf der Bosporus-Brücke
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Pivox, Wikipedia, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en

Als eine Gnade Gottes hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den gescheiterten Putschversuch in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli vergangenen Jahres bezeichnet. Was an einem Putschversuch, bei dem über 200 Menschen getötet wurden und die demokratische Ordnung der Türkei, sowie Erdogans eigene politische Zukunft und Überleben gefährdet waren, eine Gnade sein könnte, war am frühen Morgen des 16. Juli, als Erdogan sich so geäußert hat, noch nicht so recht ersichtlich. Mittlerweile ist es klarer: nach der Verhängung des Ausnahmezustandes wurden über 100 000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen, zehntausende Inhaftiert. Als erster Streich wurde ein Fünftel der türkischen Richterschaft ausgetauscht. Der Druck auf die Medien, im Sinne Erdogans zu berichten, wurde noch größer. Nun soll das Volk am 16. April noch immer unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes über eine Ausweitung von Erdogans Befugnissen abstimmen. Praktisch werden das Parlament und die Justiz marginalisiert. Als Begründung wird gesagt, nichts könne so bleiben wie bisher, das habe der Putschversuch gezeigt.

Aber was geschah genau in der Putschnacht und davor? Wann und durch wen erfuhr die Regierung etwas von dem bevorstehenden Putsch? Dass etwas im Gange war, wurde um 22 Uhr Ortszeit klar, als Jets über Ankara brausten und Soldaten eine der Brücken über den Bosporus blockierten. Stunden vorher soll der Geheimdienst bereits Bescheid gewusst haben, aber die Nachricht erreichte weder die Regierung noch den im Urlaub befindlichen Präsidenten, der das Glück hatte, dass das gegen ihn ausgesandte Mordkommando, erst den Weg zum richtigen Hotel erfragen musste.

Da die für den Putschversuch verantwortlich gemachte Gülen-Sekte das Verschlüsselungsprogramm ByLock benutzte, das aber angeblich bereits eine Weile vorher entschlüsselt worden war, ist es möglich, dass die Regierung sogar lange vorher Bescheid wusste, die Ereignisse aber kommen ließ, um sie besser ausnützen zu können.

Ein Parlamentsausschuss sollte die offenen Fragen klären. Im Ausschuss saß auch der sozialdemokratische Abgeordnete Aytun Ciray. Radio Dreyeckland fragte Aytun Ciray, was dabei herausgekommen ist.