Spanien/Marokko: Amnesty International kritisiert unzureichende Untersuchung von 37 Todesfällen an der Grenze von Melilla

Amnesty International kritisiert unzureichende Untersuchung von 37 Todesfällen an der Grenze von Melilla

Die spanischen und marokkanischen Behörden haben bei der Aufarbeitung der tödlichen Vorfälle an der Grenze der spanischen Enklave Melilla im Juni dieses Jahres, bei der mindestens 37 Menschen vor allem aus dem Sudan getötet wurden, versagt. Zu diesem Ergebnis kommt Amnesty International in einem neuen Bericht. Augenzeug*innen berichten darin von tödlicher Gewalt und unterlassener Hilfeleistung.

Anhand von Augenzeugenberichten, Videomaterial und Satellitenbildern zeichnet der neue Amnesty-Bericht ein detailliertes Bild der Ereignisse an dem als „Barrio Chino“ bekannten Grenzübergang nach Melilla nach. Demnach bewarfen Polizeikräfte Schwarze Geflüchtete mit Steinen und feuerten in geschlossenen Räumen Tränengas auf sie ab. Viele der Verletzten wurden geschlagen und getreten, als sie schon auf dem Boden lagen, fast bewusstlos waren, nicht reagierten oder nach Atem rangen. Ein Augenzeuge berichtete Amnesty International, dass spanische Sicherheitskräfte verletzte Personen über die Grenze nach Marokko zurückdrängten, obwohl sie „bluteten und offene Wunden hatten“. Mutmaßlich starben einige Menschen bei einer Massenpanik während die Menge von der Polizei angegriffen wurde und wurden zerquetscht.

Der Bericht zeigt, dass die Ereignisse dieses Tages vorhersehbar und der Verlust von Menschenleben vermeidbar waren. Bereits in den Monaten und Tagen vor dem 24. Juni waren Geflüchtete in der Umgebung von Melilla verstärkt Angriffen der marokkanischen Sicherheitskräfte ausgesetzt. Tausende liefen zur Grenze, nachdem ihr weniges Hab und Gut mutwillig zerstört wurde. Dort wurden sie von marokkanischen und spanischen Sicherheitskräften mit tödlicher Gewalt empfangen. 

Die Behörden beider Länder versäumten es, den Verletzten sofortige und angemessene medizinische Hilfe zukommen zu lassen. So wurde einem Ambulanzteam des Roten Kreuzes der Zugang zu dem Gebiet verwehrt, während Dutzende Verletzte mindestens acht Stunden lang unversorgt in der prallen Sonne lagen.
Viele der nach Marokko zurückgeführten Personen wurden inhaftiert und waren im Gefängnis weiteren Misshandlungen und Gewalt ausgesetzt. Ein 17-jähriger Sudanese berichtete Amnesty International, dass Häftlingen „mit Hämmern so lange auf den Kopf geschlagen wurde, bis sie starben“.
Schätzungsweise 500 Menschen wurden mit Bussen in entlegene Teile des Landes gebracht, wo man sie beraubte und ohne medizinische Versorgung am Straßenrand zurückließ. Einige Personen berichteten Amnesty International, dass sie mehr als 1.000 Kilometer weit weg verschleppt wurden. 

Angesichts der mangelnden Transparenz beider Regierungen hat Amnesty International sowohl die marokkanische als auch die spanische Regierung schriftlich aufgefordert, über den Stand der Ermittlungen zu informieren. Die Menschenrechtsorganisation übermittelte beiden Regierungen eine Zusammenfassung ihrer eigenen Erkenntnisse. Eine Antwort steht aus. Weder die marokkanische noch die spanische Regierung haben Untersuchungsergebnisse über die Zahl der Todesopfer oder die Todesursachen veröffentlicht. Auch haben sie zu keinem Zeitpunkt angekündigt, dass sie die Gewaltanwendung durch die Grenzbeamt*innen untersuchen würden. Keine der beiden Regierungen hat das gesamte Videomaterial der zahlreichen Kameras entlang der Grenze freigegeben. 

Außerdem haben sich die spanischen Behörden geweigert, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten. Stattdessen wurden sowohl Angehörige als auch Sachverständigenorganisationen in ihrer Suche nach den Vermissten von den marokkanischen Behörden wiederholt behindert.

Amnesty International Deutschland e.V. am 13.12.2022
  • Das Massaker ist hier auf English in einem Video mit 3D Animation rekonstruiert.