Cafe Cannes - Cannes Blog Tag 5 - Dossier 12

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Alexander Sancho-Rauschel live aus Cannes 

In grosser Runde beginnen wir den Tag mit einem weiteren Film des Wettbewerbs, und mit einem der ganz grossen Namen in Frankreich:
Bertrand Tavernier, der mit Volker Schloendorff zusammen auf der Schule gewesen war, bei Jean-Pierre Melville als Assistent das Regiefuehren gelernt hatte und in den Achtziger Jahren den grossartigen Jazzfilm „’Round Midnight“ gedreht hatte… einer meiner Lieblingsfilme, muss ich gestehen…).
Was uns der 1941 geborene Tavernier dagegen heute serviert, wird nicht auf meine persoenliche Best-of-Liste kommen:

"La Princesse de Montpensier“ (zu deutsch: Die Prinzessin von Montpensier) ist genau das, was wir erwartet und befuerchtet haben: Ein opulenter, gross aufgemachter Historienschinken im besten Sinne des Wortes. Ordentlich gemacht, ordentlich gespielt, mit viel Drama und Liebe und ein wenig historischen Kolorit aus der Zeit der franzoesischen Religionskriege, mit Hugenotten und Koenigen und Fanatikern und Intrigen und ein paar Degenduellen, und einer Erwaehnung der Bartholomaeusnacht am Rande… und ja, bestimmt haben die Kostueme historisch gestimmt dank der BeraterInnen, und die Form des Essbestecks war sorgfaeltig recherchiert und ja, ganz genau so hat man damals sein Huehnchen gekocht, und die Uniformen waren authentisch…Aber wozu? Es gibt hunderte solcher Filme, und es gibt genug bessere, um nicht noch einen zu brauchen…

Als Historiker finde ich die Liebesintrigen und Eifersuechteleien der adligen Oberschicht nicht besonders interessant, und ueber die Religionskriege, die soziale Situation der normalen Bevoelkerung, die historischen Zusammenhaenge erfahren wir fast nichts, den Kern der Geschichte haette man auch in die Zeit von Jane Austen oder den Bronte-Schwestern verlegen koennen. Ein Eifersuchtsdrama mit Zeitkolorit.Warum nicht, fuer FreundInnen des Genres sicher in Ordnung. Wir drei haben uns auch nicht wirklich gelangweilt, aber irgendwie erschlagen mich solche Filme manchmal, und das Meiste, was darin passiert, ist so absehbar und irgendwie auch irrelevant.

Die Figur des Intellektuellen De Chabannes (Lambert Wilson), der vom Soldaten zum Pazifisten wird, ist zwar ganz interessant, aber wirkt etwas aus der Zeit gerutscht - und scheint mir auch ein wenig von Umberto Ecos weisem Moench Baskerville aus dem Roman Der Name der Rose geklaut zu sein, der Gebildete, der die Sterne beobachtet, als Erzieher und Lehrer wirkt, an der grausamen Welt verzweifeln muss und zum Pazifisten wird…Fazit: Kein schlechter Film, auch Melanie Thierry gibt die Prinzessin mit Schwung und Ueberzeugungskraft, dennoch bleibt fuer mich die Frage offen, warum so ein Film in den Wettbewerb gehoert, da er mit aktuellen Filmen und Themen schlecht zu vergleichen ist und zwar professionelle Unterhaltung bietet, nicht aber innovative und diskussionswuerdige Filmkunst auf der Hoehe der Zeit.

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Und weiter ging es mit „Outrage“, dem neuesten Werk des japanischen Wunderkinds Takeshi Kitano – der sich mit Meisterwerken wie „Hana-Bi“ oder „Sonatine“ in die Annalen des melancholischen Gangsterfilms eingeschrieben hat.Um es kurz zu machen: Ich war enttaeuscht, dass Kitanos lang erwartete Rueckkehr zum Ganovengenre so inhaltschwach ausfiel. Und habe Aehnliches von mehreren meiner KollegInnen hier gehoert.Natuerlich kann der Regisseur, der wieder einmal selbst mitspielt in seinem Film, gekonnt inszenieren, gute Bilder liefern, Filmmusik und Nahaufnahmen seiner ProtagonistInnen souveraen handhaben, aber das reicht eben nicht:Ein Film braucht eine interessante Story… - und die fehlt leider!

Inhalt? Drei japanische Mafiaclans, drei einflussreiche Familien, kaempfen um die Vorherrschaft in der Unterwelt einer Stadt. Das sorgfaeltig ausbalancierte Gleichgewicht geraet durch dumme Zufaelle und ein paar leichtsinnige Taten aus dem Lot, ein paar als Abschreckung gedachte Grausamkeiten sind schlecht platziert, und schon beginnt der Gangsterkrieg und das grosse Morden.Und bei den Morden und den Todesarten ist er sehr kreativ, der Regisseur… aber irgendwann reicht es, und ich hatte mir etwas mehr Geschichte und ein paar Blutfontaenen weniger gewuenscht…Schade. Und dabei weiss er doch eigentlich wie es geht, der gute alte Takeshi…Hoffentlich drueckt ihm bald mal wieder jemand ein gutes Drehbuch in die Hand…! 

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Zwischendrin spazieren wir alle (RDL-35mm-Redaktion, aka-Filmclub-Crew und Filmstudio-Aachen-Unikino-Truppe) zur froehlichen Sake-Night – denn es hat bereits Tradition in Cannes, dass die japanischen Film-Promoter an ihrem Stand den Durstigen aus aller Welt grosszuegig Sake ausschenken und dazu seltsame Snacks reichen…Wir greifen unbeschwert zu, und jedes mal ist es eine
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Ueberraschung, ob der Imbiss, dessen Optik so ganz anders ist als wir es gewoehnt sind, mit
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Kaese gefuellt ist, mit Zuckerschaum oder mit Fisch, mit Marmelade oder Meeresfruechten…was eine sinnvolle Reihenfolge der eingenommenen Speisen unmoeglich macht, aber was soll’s, mit einem Schlueckchen Sake wird nachgespuelt, und dann kann der naechste Happen kommen… 

Als Mitternachtsfilm folgt „L’Autre Monde“ des franzoesischen Regisseurs Gilles Marchand, mit dem neuen Schauspielstar Louise Bourgoin als geheimnisvolle Blondine, die einem jungen Mann den Kopf verdreht und ihn in eine seltsame und gefaehrliche Welt lockt, in der sich harte Jungs tummeln, die riskante Spiele lieben (natuerlich mit schnellen Autos!), und die in etwas unbeholfen in eine virtuelle Cyber-Realitaet stolpern laesst…
In dieser anderen Welt, dem „Black Hole“ treffen sich unter vielen Anderen auch einige SelbstmoerderInnen, und auch Louise verabredet sich mit einem Fremden zum gemeinsamen Freitod. Unser Knabe rettet ihr das Leben, sie freut sich nicht unbedingt darueber, aber laesst sich mit ihm ein, jedenfalls ein bisschen, und der Junge vergisst sofort seine nette, etwas harmlose Jugendliebe…
Alles nett, aber letztlich doch ohne Biss, ein Unterhaltungsfilm, der wohl eher ins Fernsehen gehoert, mit ein bisschen modisch-gestyltem Sadomasochismus, und irgendwie doch verdammt nah dran an dem um Klassen besseren Lynch-

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Klassiker „Blue Velvet“. Aber immerhin: unterhaltsame Mitternachtskost, gute DarstellerInnen, ein rasanter Abschluss des heutigen Filmtages,
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der seine ZuschauerInnen wachgehalten hat. Und das ist ja auch schon mal was!


1. Filmbild Princesse de Montpensier
2. Filmbild Outrage
Alle weiteren Fotos: ASR
3.-5. Sake Night am japanischen Stand
6. Regisseur Gilles Marchand nach der Premiere in Cannes
7. "L'Autre Monde"-Hauptdarstellerin Louise Bourgoin