Cafe Cannes - Cannes Blog Tag 4 - Dossier 10

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Alexander Sancho-Rauschel live aus Cannes

 Tag 4 - der Abend  

Eine neue Kuh wird durchs filmische Dorf getrieben, der naechste Hype ist ausgebrochen, a Star is born, und die Spatzen pfeifen es von den Daechern: Wir haben ein neues Regietalent!!! 

Die Wellen schlugen hoch heute abend, der mittlerweile zweite Spielfilm des jungen kanadischen Regisseurs Xavier Dolan schlug in Cannes ein wie eine Bombe… eine franzoesische Bombe, wohlgemerkt… und was liebt das franzoesische Publikum hier mehr, als wenn auch die Kanadier in Uebersee ihre Filme in franzoesischer Originalfassung drehen? Deshalb, die Botschaft ist klar: Bienvenue les Quebequois! Willkommen ihr Quebecer, die ihr auf das schnoede Englisch verzichtet!

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Nach seinem Erstlingswerk “I killed my Mother”, das er im Alter von gerade einmal 20 Jahren gedreht hatte und das bereits auf internationals Interesse gestossen war, gelang es ihm jetzt mit seinem zweiten Film „Les amours imaginaires“ (englischer Titel: „Heartbeats“), in der Sektion Un certain regard hier in Cannes gezeigt zu werden. Und das Publikum ist ausgerastet, vor allem junge ZuschauerInnen bestuermten den Regisseur und seine beiden DarstellerInnen nach der Vorstellung (die dritte Hauptrolle in dem Film spielt der Regisseur, der auch das Drehbuch geschrieben hat, selbst).

Die Geschichte des Films bietet kaum Ueberraschungen: Eine klassische menage a trois, ein Junge und ein Maedchen verlieben sich in einen Dritten, von dem die laengste Zeit ueber nicht ganz klar ist, ob er hetero- oder bisexuell ist, und der mit den Beiden spielt, ohne sich festzulegen… dabei wird schnell klar, dass es mehr als nur Freundschaft ist, was die Drei verbindet. Ein wenig erinnert die Flucht der drei jungen Erwachsenen in eigene Welten, der Rueckzug aus der Welt der Erwachsenen und Konventionen, an Bertoluccis verspieltes Adoleszenz-Trio in „Die Traeumer“, wird hier aber weniger radikal, dafuer aber viel stylisher inszeniert.
Waehrend die Drei bei Bertolucci der Welt in der Isolierung ihrer feudalen Wohnung Adieu sagen, bewegen sich Dolans Figuren in der Welt, allerdings ohne sich wirklich mit ihr zu vernetzen. Vor allem Marie (gespielt von der grossartigen Monia Chokri) muss sich immer wieder vorhalten lassen, ihr eigenartiger, altmodischer Stil (Kleidung, Einrichtung, Attituede) sei voellig aus der Zeit gefallen.
Und tatsaechlich hatte der Regisseur, der sich auch persoenlich um Ausstattung und Kostueme gekuemmert hat, fuer seine Figuren, vor allem aber fuer Marie, einen ganz eigenen Stil entwickelt, der zwar mit Anleihen an vergangenen Zeiten und Personen wie Audrey Hepburn arbeitet, dabei aber etwas ganz Eigenes, neues kreiert.

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Waehrend die Handlung des Films - die Freundschaft der Drei, die Partybesuche, ihre Begegnungen, erst zufaellig, dann geplant, ihr Wochenende auf einer einsamen Huette in der kanadischen Wildnis, die Begierde und die Eifersucht, die ihnen in die Quere kommt - wenig Originelles bietet, sind es eher drei formale Qualitateten, die den Film interessant machen:
Zum Ersten die bereits erwaehnte Ausstattung, die ganz bewusst und sorgfaeltig konzipiert wurde und eine seltsame Mischung aus Hipness, Retro-Look und Absurditaeten bietet, zum Zweiten das Trio der Darsteller, die faszinierend spielen und dank vieler Grossaufnahmen gekonnt in Szene gesetzt werden, zum Dritten die Stilwechsel und optischen Brueche des Films, der manchmal MTV-taugliche Video-Aesthetik, dann wieder die schnellen, leicht konsumierbaren Bilder aktueller Unterhaltungsfilme einsetzt, aber auch kunstvoll komponierte Bilder des Arthouse-Kinos bietet.

Kurzum: Mehr Stil als Story, mehr Form als Inhalt, aber dank des Darsteller-Ensembles und des gekonnten Einsatzes packender, aber auch etwas entrueckter Filmmusik (hier hat sich der junge Regisseur ganz offensichtlich an Quentin Tarantinos Musik-Einsaetzen orientiert) ein interessantes Werk der

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naechsten Generation…Wenn Dolan sich so rasant weiterentwickelt und die inhaltlichen Schwachstellen hinter sich laesst, haben wir hier vielleicht tatsaechlich gerade den Stern eines kuenftigen grossen Regisseurs aufgehen sehen…

Nachtrag:
Und deshalb habe ich mir auch gleich mal meinen Festivalkatalog von Dolan signieren lassen, wer weiss, ab man spaeter noch so leicht rankommt…!

 

 

 

Alle Fotos: ASR

1. Regisseur Xavier Dolan in Cannes (Les amours imaginaires/Heartbeats)

2. Dolan beim Autogrammegeben

3. Die Hauptdarstellerin Monia Chokri

4. Dolan und Crew werden von der Presse umringt