Cafe Cannes - Cannes Blog Tag 7 - Dossier 14

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Alexander Sancho-Rauschel live aus Cannes

 “Blue Valentine” des amerikanischen Regisseurs Derek Cianfrance (Jahrgang 1974) mit einem cool-abgewrackten Ryan Gosling mit 70er-Jahre-Sonnenbrille (als Dean) und einer ebenfalls sehr ueberzeugend spielenden Michelle Williams (als Cindy) geht heute ins Rennen, in der Arthouse-Sektion „Un certain regard“.
Der Film erzaehlt die Stationen einer Liebe und Ehe, ist psychologisch gut konstruiert und lotet ohne Gnade die Hoehen und Untiefen einer Beziehung aus, die als harmloser Flirt begann, mit einer ungewollten Schwangerschaft weiterging und in einer Ehe endete, die die Hoelle ist. Beide Partner lieben die gemeinsame kleine Tochter, aber koennen es miteinander nicht mehr aushalten… und auch fuer die ZuschauerInnen ist es schwer auszuhalten, wenn die Zwei wieder in einen ihrer fuerchterlichen Streitereien geraten…

Ein ueberzeugender, aber letztendlich doch auch sehr unangenehmer Film, der wenig mehr behandelt als eine kaputte Ehe, und bei dem ich mir, muss ich gestehen, irgendwann im Kinosaal die Ohren zugehalten habe, weil ich die permanente Schreierei nicht mehr hoeren konnte.Solides Stresskino fuer Abgebruehte, ein kunstvoll geschriebener Ehe-Horror-Film, der nur dann Lichtblicke bietet, wenn in Rueckblicken die unbeschwerten Anfaenge der Beziehungen erzaehlt werden… und ich war wirklich froh, als es vorbei war!

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Mit dem duesteren „Schastye moe“, (englisch: „My Joy“) dem russischen Wettbewerbsfilm des Regisseurs Sergei Loznista ging es gleich truebe weiter, schoene Bilder erzaehlen eine traurig-trostlose Geschichte aus dem heutigen russischen Hinterland, auf den Landstrassen, die durch die endlosen Birkenwaelder fuehren…Inspiriert worden sei er von wahren Erzaehlungen russischer Lasterfahrer, sagte der in Cannes anwesende Regisseur in der Pressekonferenz.Handwerklich gute gemachte Kost, aber wie so viele aktuelle Filme aus Russland eine duestere Geschichte voller Traurigkeit und Gewalt, deren eingestreute Rueckblicke auf den 2. Weltkrieg fuer mich nicht so recht zusammenpassen mit den Erlebnissen des einsamen Lkw-Fahrers, der ueberfallen, ausgeraubt, betrogen und von korrupten Polizisten terrorisiert wird. Puuh, auch nach dem Film war ich ziemlich froh, als er zu Ende war.
Kein Spass heute, die Filmguckerei, sondern harte Arbeit.

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Mit meinem dritten Film des Tages, fast noch trauriger, duesterer, aber auch eindringlicher als seine zwei Vorgaenger, war ich dann doch wieder versoehnt:
Illegal“, ein kleiner Low-Budget-Film aus Belgien des Regisseurs Olivier Masset-Depasse, erzaehlt sehr realistisch und gerade deshalb umso erschreckender die Geschichte einer jungen Frau, die mit ihrem dreizehnjaehrigen Sohn als illegale Einwanderin im heutigen Belgien lebt. Ohne Papiere oder Arbeitserlaubnis verdient sie ihr Geld als Putzfrau, kann sich nicht gegen ausbeuterische Arbeitgeber und Vermieter wehren, von denen sie erbarmungslos abhaengig ist, und lebt in staendiger Angst, in eine Kontrolle der Zivilpolizei zu geraten.
Ihrem Sohn verbietet sie, auf der Strasse Russisch mit ihr zu reden, um nur ja nicht aufzufallen… aber schliesslich passiert es eben doch: Sie werden kontrolliert, die teuren, falschen Papiere helfen nicht mehr, ihr Sohn kann entkommen, aber sie wird verhaftet und kommt in ein alptraumhaft enges, duesteres Abschiebegefaengnis.
Der groesste Teil des Films erzaehlt von ihrem Alltag in diesem Gefaengnis, den Schikanen und dem schwierigen Zusammenleben die Menschen aus aller Welt, die neben ihrer Verzweiflung und unsicheren Zukunft auch mit ihren ZellengenossInnen klar kommen muessen. Sie befreundet sich mit einer jungen Afrikanerin, und muss erleben, wie auch unter den Fluechtlingen und Einwanderern Rassismus kein Fremdwort ist…Da sie erfaehrt, dass sie der Abschiebung nur entgehen kann, wenn sie nicht verraet, woher sie kommt, welche Sprache sie spricht, wie sie heisst, schweigt sie hartnaeckig, trotz des Druckes und der Gewaltandrohungen…
illegal_3
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Als sie spaeter erklaert, sie stamme aus Weissrussland, da Chancen auf eine Anerkennung als Asylsuchende bestuenden, muss sie erfahren, falsch beraten worden zu sein… denn dann waere nach dem Dublin-Prozess Polen das zustaendige Erst-Einreiseland. Sie wird mehrmals zum Flughafen gebracht, wehrt sich gegen die Abschiebung, einmal auch mit Hilfe eines engagierten Flugzeugkapitaens, und wird auf der Rueckfahrt von einem genervten Polizisten brutal zusammengeschlagen…Besteht jetzt eine Chance, mit Hilfe von Menschenrechtsorganisationen anerkannt zu werden?
Der Film ist enorm mitreissend, grossartig gespielt, naehert sich langsam und einfeuhlsam seinen Figuren, und faengt die bedrueckende, klaustrophobische Atmosphaere des Abschiebegefaengnisses in eindringlichen Bildern ein… und hat so sein Publikum ueberzeugt, das sich nach der Vorfuehrung erhob und mit endlos langen Standing Ovations der Crew Beifall spendete.

Schade, dass der Film, der politisch engagiertes Kino mit hervorragend inszenierter, anspruchsvoller Unterhaltung perfekt zusammenbringt, nicht in einer der Hauptreihen des offiziellen Festivals, sondern in der Nebenreihe der „Quinzaine des Realisateurs“ lief.

(PS: Ein kurzes Gespraech ueber den Film findet sich auf www.freie-radios.net unter Focus Europa vom 22. Mai 2010.
Und noch eine gute Nachricht: Eben habe ich erfahren, dass "Illegal" einen deutschen Verleih gefunden hat, der Film wird also auch in Deutschland in die Kinos kommen)

Fotos 1 und 2: ASR
1. Filmwerbung an der Croisette in Cannes
2. Der rote Teppich bei den Abendpremieren
3. Illegal-Filmbild
4. Illegal-Filmbild