Hintergrund-Beitrag: Der Fake-Begriff Wiederaufarbeitungsanlage | Wo gibt's denn sowas?

Der Fake-Begriff Wiederaufarbeitungsanlage | Wo gibt's denn sowas?

Vertreter der Atomlobby und der frühere deutsche Atom-Minister Franz-Josef Strauß behaupteten in den 1980er-Jahren ernstlich in der Öffentlichkeit, es könne ein Recycling von Uran, ein "Brennstoff-Kreislauf" aufgebaut werden. Das Herzstück hierbei sollte eine angebliche Wiederaufarbeitungsanlage bilden. Geplant war deren Bau in dem zu Bayern gehörenden Wackersdorf.

Tatsächlich jedoch kann aus abgebrannten Brennelementen allenfalls das zu weniger als ein Prozent enthaltene Uran-235 und das ebenfalls zu weniger als 1 Prozent enthaltene Plutonium für die Produktion neuer Brennelemente genutzt werden. Der Anreicherungs-Prozeß ist wegen der in abgebrannten Brennelementen enthaltenen neuentstandenen radioaktiven Elemente aufwendig und daher ökonomisch nicht konkurrenzfähig. Dennoch werden sogenannte MOX-Brennelemente, die neben Uran-235 auch Plutonium enthalten in La Hague produziert und als "Brennstoff" in Atomkraftwerken verwendet. Abgebrannte MOX-Brennelemente werden zwar nach La Hague zurück transportiert, jedoch keineswegs erneut aufgearbeitet. Sie werden als Abfall eingelagert.

Es bleibt festzuhalten: Aus den abgebrannten Brennelementen, die in die Plutonium-Fabriken transportiert werden, kann maximal 2 Prozent wiederverwendet werden - und dies auch nur ein einziges Mal. Von "Recycling", also einem Kreislauf, kann selbst bei maximaler Überdehnung des Begriffs keine Rede sein. Real existiert daher weltweit keine einzige Wiederaufarbeitungsanlage.

Unbestreitbar ist: Die sogenannten Wiederaufarbeitungsanlagen können zur Gewinnung von waffenfähigem Plutonium verwendet werden. Und sie werden aus diesem Grund von allen Regierungen mit eigenständigem Atomwaffen-Programm betrieben. Dies war auch der alleinige Grund, warum in dem zu Bayern gehörenden Wackersdorf eine solche Anlage gebaut werden sollte.

Die beiden europäischen Plutonium-Fabriken im britischen Sellafield (früherer Name: Windscale) und im französischen La Hague, die in deutschen Mainstream-Medien meist in orwellschem Sprachmißbrauch als Wiederaufarbeitungsanlage bezeichnet werden, zählen zu den weltweit schlimmsten Hotspots der Radioaktivität. Die in der Nähe des AKW Flamanville befindliche Fabrik am Cap de la Hague gibt nach Angaben des 'World Information Service on Energy' (WISE) 40 Mal mehr Radioaktivität in die Umwelt ab als alle rund 400 weltweit betriebenen Atom-Reaktoren zusammen. Das Risiko, im Umkreis der Anlage an Leukämie zu erkranken ist "statistisch signifikant erhöht", schrieb bereits 1990 das 'British Medical Journal'.

Beide Plutonium-Fabriken pumpen jeden Tag zusammen rund zehn Millionen Liter radioaktive Abwässer in den Ärmelkanal und die Irische See. Über die Meeresströmungen verteilt sich die strahlende Last aus La Hague bis in die Deutsche Bucht und die Ostsee. Den Südwesten Norwegens erreichen sie in rund zwölf Monaten. WissenschaftlerInnen wiesen die radioaktiven Stoffe aus den Plutonium-Fabriken an der Küste Kanadas, in den arktischen Gewässern und vor der Küste Sibiriens nach.

Bei der Separierung der verschiedenen radioaktiven Stoffe, die in abgebrannten Brennelementen enthalten sind, werden mechanische und chemische Verfahren eingesetzt. Infolge der radioaktiven Kontamination der eingesetzten Chemikalien entsteht an Volumen 20-mal mehr radioaktiver Müll, als mit den abgebrannten Brennelementen angeliefert wird. Allein durch die Separierung abgebrannter Brennelemente aus deutschen Atomkraftwerken fielen in La Hague bisher rund 50 Tonnen Plutonium an. Bei Plutonium handelt es sich um den gefährlichsten Stoff auf diesem Planeten. Eingeatmet genügt ein Mikrogramm Plutonium, um Lungenkrebs auszulösen.

Die Auswirkungen der britischen Plutonium-Fabrik Sellafield übertreffen selbst die der Anlage in La Hague. Wie La Hague setzt auch Sellafield auf "Verdünnungsentsorgung" und verseucht bedenkenlos Luft und Wasser. Die norwegische Strahlenschutzbehörde schätzt die freigewordene Radioaktivität auf 40.000 Becquerel.

Messungen durch Greenpeace an den Abwasserrohren der Plutonium-Fabriken La Hague und Sellafield sowie Studien namhafter WissenschaftlerInnen brachten folgende Ergebnisse zutage:

Der Meeresboden rund um die Rohre enthält so viel Plutonium, daß die entnommenen Bodenproben nach deutschem Recht als Kernbrennstoff einzustufen sind.

Die radioaktive Belastung von Meerestieren wie Krebsen, Muscheln und Fischen ist vergleichbar mit der Kontamination nach nuklearen Großunfällen.

Ein Vergleich von Bodenproben belegt, daß die Umgebung um die Plutonium-Fabrik Sellafield vergleichbar stark radioaktiv belastet ist wie die 30-Kilometer-Sperrzone um den Katastrophenreaktor von Tschernobyl.

In der Umgebung von Sellafield liegt das Blutkrebsrisiko für Jugendliche bis zu zehnmal, in der Umgebung von La Hague dreimal höher als im Landesdurchschnitt.

Eine Untersuchung von über 3.300 Jugendlichen in Großbritannien und Irland wies Spuren von Plutonium und Strontium in ihren Zähnen nach.

Greenpeace nahm im Jahr 2001 zu einem Aspekt des damals von "Rot-Grün" verkündeten Atomausstiegs Stellung: "Wider besseren Wissens haben beide Regierungsparteien (...) entschieden, Transporte zu den sogenannten Wiederaufarbeitungsanlagen bis zum 30. Juni 2005 zuzulassen. Mit der weiteren Duldung (...) wird ein offensichtlicher Rechtsbruch durch die Bundesregierung in Kauf genommen."

Die Katastrophe von Windscale im Jahr 1957

Am 10. Oktober 1957 geriet der Reaktor Windscale Eins in Brand. Am frühen Nachmittag fing nach fehlerhaften Manipulationen der 2000-Tonnen-Block Graphit mit zehn Tonnen Uran in Brennelementen Feuer. Erst gegen Mittag am 11. Oktober hatten die Bedienungsmannschaften den Brand im Griff. Eine strahlende Wolke entkam durch den Schornstein der Anlage und legte sich über England und große Teile Nordeuropas.

Erst im Jahr 2007, 50 Jahre nach dem Brand in der britischen Plutonium-Fabrik Sellafield, offiziell als Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) bezeichnet und vor der Umbenennung unter dem Namen Windscale berüchtigt, haben WissenschaftlerInnen aufgedeckt, daß der radioaktive Fallout rund doppelt so groß war wie bis dahin bekannt. Auch die Zahl der Krebsfälle, die das Unglück auslöste, sei deutlich höher als angenommen (Atmospheric Environment, Bd.41, S.3904, 2007).

John Garland, ehemaliger Mitarbeiter der britischen Atomaufsichtsbehörde, und Richard Wakeford von der Universität Manchester überprüften alte Aufzeichnungen, um Aufschluß über das wahre Ausmaß der Reaktorkatastrophe zu erhalten. Der Wind war am 10. Oktober 1957 vor Ort wechselhaft. Daher mußten sie exakt rekonstruieren, wann welche Menge Radioaktivität freigesetzt worden war. Nützlich hierbei waren moderne Computermodelle, die sonst der Wetter- und Klimavorhersage dienen. Garland und Wakefield konnten so die Verbreitung der strahlenden Wolke simulieren und daraus auf die Menge der Radioaktivität zurückschließen.

Der überwiegende Teil der radioaktiven Wolke bestand laut ihren Ermittlungen aus Jod-, Tellur- und Xenon-Isotopen, die nach wenigen Wochen weitestgehend zerfallen waren. Obwohl die britische Regierung den Unfall zu vertuschen suchte, kam sie nicht umhin, Milch aus der betroffenen Region in der unmittelbaren Folgezeit aus dem Handel verbannen und vernichten zu lassen. Doch noch heute belasten Cäsium und Plutonium die Umgebung von Windscale-Sellafield. Die freigesetzte Menge an Polonium wurde als Staatsgeheimnis behandelt, da hierüber Rückschlüsse auf die verwendeten Techniken hätten gewonnen werden können.

Bei der Reaktorkatastrophe von Windscale wurden nach offiziellen Angaben radioaktive Stoffe in der Größenordnung von 20.000 Curie über Europa freigesetzt. Im Vergleich zu der beim Super-GAU in Tschernobyl freigesetzten Menge an Radioaktivität scheint das wenig. 90 Prozent des strahlenden Materials  sind allerdings damals über England niedergegangen, so die Untersuchung von 2007.

Auf der siebenstufigen Skala der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) kam Windscale immerhin auf Stufe fünf. Eine Evakuierung der Bevölkerung erachtete die britische Regierung damals nicht für nötig.