Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in den letzten vierzig Jahren so eine Zeit gegeben hätte...: Die Misere der Flüchtlingsunterbringung und der strukturelle Rassismus in Italien

Die Misere der Flüchtlingsunterbringung und der strukturelle Rassismus in Italien

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Antirassistische Demonstration am 2.3.2019 in Mailand
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Radio Onda d'Urto

Heute Morgen ist der 32-jährige Landarbeiter Sylla Nuomo in der kalabresischen Zeltstadt San Ferdinando verbrannt. Er ist nur das letzte Opfer einer Serie, ausgelöst durch die Unterkunftsmisere in Italien. Dahinter steht der gesellschaftliche und wesentlich auch der strukturell-staatliche Rassismus, der solche Zustände geradezu schafft. Doch es regt sich auch Widerstand.

Zuletzt am 2. März haben in Mailand Zehntausende gegen Rassismus demonstriert. Manche Medien sprechen sogar von 200.000 Menschen auf die Straße. Und das war keine Ausnahme: Bereits im Februar und davor im November 2018 zogen solche riesigen Demos durch die norditalienische Stadt. In Süditalien haben sich die Stadtverwaltungen große Städte wie Palermo oder Neapel gegen die Ausgrenzung der dort ankommenden Flüchtlinge positioniert. Die Gründe sind vielfältig; sie liegen jedenfalls darin, dass Antirassismus trotz solcher deutlicher Zeichen keineswegs Konsens ist, sondern eine Front der gespaltenen italienischen Gesellschaft gegenüber der anderen auszeichnet, die den Rassismus feiert: von offener Gewalt gegen Migrant*innen bis zum staatlichen Rassismus, der sich zuletzt in Innenminister Salvinis "Sicherheitspaket" manifestiert hat.

Ein zentraler Punkt ist dabei immer wieder die Frage der Unterbringung: Sie funktioniert in der Praxis schon seit langem nicht, jetzt werden durch das neue Gesetz weitere Geflüchtete auch de jure auf die Straße gesetzt, das Positivbeispiel Riace dagegen wurde kriminalisiert, das System der Abschiebeknäste wird - schon unter der sozialdemokratischen Vorgängerregierung - ausgeweitet, auch Protest dagegen ist Anlass für Repression, und das Spiel mit der Obdachlosigkeit marginalisierter Menschen inklusive Drohung mit dem Räumbagger nutzt die Lega-5-Sterne-Koalition als willkommenes Werkzeug.

Wir haben nach einer der Großdemonstrationen in Mailand mit Yasmine Accardo gesprochen. Sie ist bei der Initiative "LasciateCIEntrare" aktiv, die schon seit Jahren die Verletzung von Menschenrechten in Abschiebegefängnissen beobachtet und bekämpft und im Anti-Abschiebeknast-Bündnis "No CPR" z. B. die Mailänder Großdemonstration am 16. Februar mitorganisiert hat.

Es geht um einen Überblick über die Situation und insbesondere den Dschungel der Bürokratie und Praxis des italienischen Aufnahmesystems, von den "Hotspots" bis zum "SPRAR", der kommunalen Unterbringung und Integration, die nicht nur in Riace abgesägt wurde - und u.a. auch darum, wie die Politik der Prekarisierung von Geflüchteten der Mafia in die Hände spielt.