Kommentar zu Brief von J. Grässlin: Ein Problem mit der Pressefreiheit

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Ein Problem mit der Pressefreiheit

Wegen der Führung eines Interviews und Kommentaren von mir und anderen hat der Friedensaktivist Jürgen Grässlin einen offenen Brief geschrieben und den Autor heftig kritisiert. Dazu der Kommentar in eigener Sache.

jk

 

Offener Brief:

Freiburg, den 6. Mai 2022

 

Offener Brief an die Redaktion von Radio Dreyeckland

Quo vadis RDL? Auf dem Weg vom Antikriegs- zum Kriegsradio?

 

Sehr geehrte Damen und Herren von Radio Dreyeckland,

 

Ihr Sender bleibt stramm auf Waffenlieferungskurs im Ukraine-Krieg, wie der gestrige Kommentar Ihres Mitarbeiters Jan Keetman (jk) vom 5. Mai auf eine Leser*innenzuschrift ein weiteres Mal belegt. Das verbale Nachtreten gegenüber der Friedensbewegung und en passant auch gegenüber meiner Person nimmt kein Ende. Bereits nach dem Freiburger Ostermarsch hatte RDL Aussagen vom Freiburger Ostermarsch vehement kritisiert; antimilitaristische Aussagen wurden und werden teilweise aus dem Zusammenhang gerissen.

 

Nach Ihrer kritischen Berichterstattung zum hiesigen Ostermarsch führte Ihr Redakteur Jan Keetman ein als „Interview“ angekündigtes Gespräch mit mir, das sich durch seine Penetranz de facto zum Streitgespräch entwickelte. Zehn Minuten mit vier vorab eingereichten Fragen waren vereinbart, nach 25 Minuten habe ich meinerseits das konfrontative Streitgespräch beendet.

 

Ich habe Radio Dreyeckland in den letzten Jahren vielfach Interviews zu der Themen Frieden, Abrüstung und Entmilitarisierung, Rüstungsproduktion und -export gegeben, siehe u.a. https://rdl.de/suche?text=Jürgen+grässlin Diese waren ausnahmslos journalistisch fair und im Geiste des – seitens Ihres Senders selbstgesetzten Anspruchs – Antimilitarismus geführt.

 

Diese Zeiten scheinen nunmehr passé. Den Gesprächsstil besagten RDL-Redakteurs im Interview und in Kommentaren empfinde ich nicht nur als äußerst penetrant. Herr Keetman ist augenscheinlich nicht in der Lage, eine – in meinem Fall antimilitaristische bzw. pazifistische – Position unkommentiert gelten zu lassen. Ich habe den Eindruck, dass Herr Keetman weitgehend die Friedenslogik verlassen hat und der Kriegslogik folgt. Wobei Herr Keetman im Interview auf meine Nachfrage hin seinerseits nicht einmal eine militärische Konfliktlösung aufzeigen konnte (11:40 Min) und zudem in einem NS-Vergleich von Konzentrationslagern in der Ukraine sprach (16:00 Min.) etc.

 

Vier Fragen wurden mir vorab zugesandt, die vierte seitens Herrn Keetman nicht mehr gestellt (was an meinem Gesprächsabbruch liegen kann). Sie lautete: „Wir kennen Putin nun schon seit dem Tschetschenienkrieg hat nicht auch die Friedensbewegung ihren Teil dazu beigetragen, dass wir die Gefahr, die in diesem Mann bzw. seinem gewaltigen Militärapparat steckte bis zum 23. Februar 2022 nicht wirklich zur Kenntnis genommen haben? Muss sich in der Friedensbewegung etwas ändern?

 

Selbst im zweimaligen Interview in Berlin und Freiburg mit WELT-TV (aus dem Hause Axel Springer) wurde ich persönlich mit keiner vergleichbaren Unterstellung („hat nicht auch die Friedensbewegung ihren Teil dazu beigetragen“) konfrontiert. Ich sehe diese, aufgrund meines Abbruchs des Interviews, nicht mehr gestellte vierte Frage durchaus auch in der momentanen Linie der Berliner Ampelkoalition und ihres knallharten Aufrüstungs- und Waffenexportkurses. Auch deren Vertreter Alexander Graf von Lambsdorff, Stellv. Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, Robert Habeck, Bundesminister BMWK, Olaf Scholz, Bundeskanzler, u.a. betreiben momentan in drastischer Form Friedensbewegungs- und Pazifisten-Bashing.

 

Seit den acht Wochen des Krieges in der Ukraine gebe ich als Bundessprecher mehrerer Friedensorganisationen bzw. Kampagnen (DFG-VK; RIB e.V., Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!) national wie international zahlreiche Interviews. Meine Zielsetzung dabei war und ist dabei, Wege aus diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der russischen Streitkräfte unter Führung von Wladimir Putin aufzuzeigen, der Eskalationsspirale von Gewalt und Gegengewalt entgegenzutreten, vor der Gefahr eines durchaus drohenden Atomkriegs zu mahnen, Konzepten der Friedensbewegung zur Konfliktlösung (Soziale Verteidigung, Konzept der unverteidigten Städte) und dem Völkerrecht (Internationaler Strafgerichtshof) eine Stimme zu geben.

 

Die mich interviewenden Journalist*innen verschiedener Radio- und TV-Sender sowie Zeitungen haben in ihren Fragestellungen zu Waffenlieferungen und zum militärischen Eingreifen in der Ukraine durchaus unterschiedliche Meinungen durchklingen lassen (mal pro, mal kontra). Genau so nehme ich auch die gesellschafte Debatte wahr. Kritische Fragen seitens der Journalist*innen sind wichtig und elementarer Teil der grundgesetzlich verbrieften Meinungs- und Pressefreiheit (Artikel 5 GG), die ich selbst in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem früheren Daimler-Chef Jürgen E. Schrempp bis zum Bundesgerichtshof mit Erfolg durchgefochten habe. Ich selbst bin seit vielen Jahren Mitglied eines Journalistenverbandes.

 

Aber keine*r der mich interviewenden Journalist*innen hat mich als Pazifist auch nur ansatzweise so hart angegangen, wie Ihr Redakteur Keetman. Sollte sich Herrn Keetmans regierungs-, militär- und NATO-konforme Haltung in Ihrem – von mir bislang sehr geschätzten! – Sender durchsetzen, dann frage ich mich: Kann sich Radio Dreyeckland weiterhin als ein „antimilitaristisches“ Radio bezeichnen? Oder ist diese elementare friedensbewegte Position womöglich längst aufgegeben worden? Quo vadis Radio Dreyeckland?

 

Ihrer Antwort sehe ich mit großem Interesse entgegen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Grässlin