Seit einiger Zeit tauchen im Verschwörungsgläubigen Umfeld immer wieder Artikel von einzelnen Wissenschaftlern (auch Wissenschaftlerinnen?) auf, die eklatante Widersprüche in der Darstellung der Corona-Krise aufzeigen wollen. Man fragt sich natürlich, wie die oft ganz augenscheinlichen Fehler, die sie ausmachen möglich sind. Wer von Verschwörungstheorien ausgeht hat damit keine Schwierigkeiten. Irgendwo managed eh alles Bill Gates und Angela Merkel und ihr Tross wollen eh die Restaurantbesitzer in den Ruin treiben, um damit irgendwelche Vorteile zu erreichen. Dass selbst der Held Wladimir Putin seine Gouverneure Lockdowns machen lässt, ebenso wie wenn auch schnaubend Donald Trump... das spielt keine Rolle und Tote in anderen Ländern beweisen nunmal nix.
Zugegeben, dass ist jetzt eine etwas grobe Zusammenfassung, aber fragen muss man sich schon, warum scheinbaren offensichtlichen Widersprüchen nicht erstmal versucht wird sachlich nachzugehen. Dazu als Beispiel die These um die es hier geht:
Der promovierte Mathematiker Klaus Pfaffelmoser veröffentlichte am 24. Mai unter dem Titel "Warum die Epidemie nicht endet" einen Artikel in dem Magazin "Multipolar", indem er darauf hinweist, dass sich die gegenwärtigen Fallzahlen alleine aus der Unsicherheit der Tests ableiten lassen. Es wird davon ausgegangen, dass mindestens 1,4 % der entscheidenden PCR-Tests ein falsches Resultat liefern. Daraus wird weiter geschlossen, dass wenn man 100 000 Personen Testet, 1400 Positive Tests herauskommen (Ich übernehme die Voraussetzungen des Artikels ungeprüft, verwiesen wird ohne Seitenzahl auf eine lange und komplizierte Fachveröffentlichung und es könnte sein, dass neben fälschlich positiven Ergebnisse auch fälschlich negative Fälle eingerechnet sind, was sich aber ohne genaue Angabe zur Fundstelle nur mit erheblichem Aufwand nachweisen lässt). Wenn die positiven Ergebnisse nur noch von der Ungenauigkeit der Tests abhängen, dann strebt die Reproduktionszahl, der berühmte R-Wert gegen 1, denn es ändert sich ja nichtsmehr, es sei denn man macht mehr oder weniger Tests. Als Mathematiker kleidet Pfaffelmoser das alles in noch etwas mehr Mathematik mit Formeln und Graphiken. So sieht die schlichte Erkenntnis dann auch imponierender aus.
In einer Vorbemerkung weist die Redaktion darauf hin, dass in der Woche vom 11. zum 17. Mai nur noch 1,7 % aller Tests positiv waren. Dann setzt die Redaktion zu einer dramatischen Warnung an:
"Schlimmer noch: Die Ergebnisse lassen sich bei Bedarf leicht manipulieren, je nachdem, wieviele Tests durchgeführt werden – was politisch beeinflusst werden kann. Der von Politikern diskutierte Grenzwert von 35 Infizierten auf 100.000 Einwohner ließe sich beispielsweise auch ganz ohne tatsächlich Infizierte allein schon durch Ausnutzung des Messfehlers erreichen"
Nun ist die Mathematik wirklich eine objektive Wissenschaft. Wenn sie trotzdem zu unwahrscheinlichen Ergebnissen führt und das ist die Annahme, der großen Manipulation nun mal, dann muss man sich die Voraussetzungen ansehen. Hätte man vor einem Jahr schon einen Covid-19-Test gehabt und 100 000 Menschen in Deutschland damit getestet, so hätte man nach den Voraussetzungen des Artikels wirklich 1400 scheinbar kranke Covid-19-Patient*innen gehabt. Eine rein virtuelle Seuche! Aber das wäre doch irgendjemandem und damit meine ich nicht nur Herrn Pfaffelmoser und Multipolar aufgefallen. Und das sollte auch jetzt so sein. Was nicht stimmt ist schon mal die Voraussetzung, dass Leute beliebig, eventuell sogar politisch beeinflusst, getestet werden. Getestet werden ja nicht einfach irgendwelche Leute, sondern welche, bei denen Ärzt*innen Gründe für einen Verdacht sehen. Die Möglichkeit der schrankenlosen Manipulation endet schon hier. Es müssten zahlreiche Ärzt*innen mitmachen und auch in den Labors dürfte niemand sagen: "Jetzt wird es aber so langsam seltsam..." Die positiven Ergebnisse liegen ja auch nicht irgendwie gestreut, sondern sie ergeben nachvollziehbare Cluster. Bestimmte Altenheime, die berühmten Gottesdienste von Freikirchen in Frankfurter und Bremen, die Eröffnung des Restaurants "Alte Scheune" in Ostfriesland, Ausbrüche in speziellen Betrieben der Fleischindustrie und in der räumlichen Enge von Flüchtlingsunterkünften etc. Solche Cluster lassen sich nicht erzeugen, indem man einfach mehr testet. Dazu müsste man schon gewaltig manipulieren. Zufällig sich ergebende Häufungen sehen anders aus und führen nicht zu einer höheren Zahl von Entdeckungen durch das Verfolgen von Kontakten. Dass hätte eigentlich auch dem Mathematiker Pfaffelmoser auffallen können.
Man denke sich auch mal die Situation von Menschen durch, die noch immer wegen Covid-19 ins Krankenhaus kommen. Sie müssen nach Lektüre von Multipolar annehmen, dass ihnen die Ärzt*innen eine falsche Krankheit andichten oder zumindest mit der Diagnose völlig falsch liegen.
Das Magazin Multipolar wird von Stefan Korinth, Ulrich Teusch und Paul Schreyer herausgegeben. Schreyer wurde in einem Artikel im Neuen Deutschland dem Umfeld von Ken Jebsen zugerechnet. Er querfrontet auch. Zitat aus seinem Buch "Die Angst der Eliten":
"Sowohl die Flüchtlingshelfer als auch die AfD-Anhänger unterstützen, wenn auch auf unterschiedliche Art, unbewusst die Interessen der Reichen."
Schreyer hat auch drei Bücher über die Anschläge vom 11. September veröffentlicht, in denen er zwar nicht explizit eine Verschwörungstheorie vertritt, aber nach seiner Meinung ungeklärte Fragen sammelt. Auch im Falle der Corona-Krise bewegt sich Multipolar entlang den üblichen Linien der Verschwörungstheorien zu Covid-19.
jk