Locarno Blog 7

Rumänische Prostituierte,
Krieg im Libanon und meine Schwächen bei senegalesischen
Geographiefragen

Aus Locarno: Alexander Sancho-Rauschel

Nicht verschweigen möchte
ich euch die ganz persönlichen Stärken und Schwächen unserer
Filmredakteure, schliesslich lebt ein Blog vom Subjektiven, heisst es
doch immer.

Eine besondere
Herausforderung auf Filmfestivals sind die Late-Night-Screenings
experimenteller Filmessays. Manch unkonventionelles, innovatives und
nichtnarratives Kleinod, das einen nachmittags entzückt, kann spät
abends zur qualvollen Herausforderung werden. Solch ein Fall war für
uns „1958“, ein filmischer Essay des jungen libanesischen
Regisseurs Ghassan Salhab. Der auf Digitalvideo

Locarno Blog 7

Rumänische Prostituierte,
Krieg im Libanon und meine Schwächen bei senegalesischen
Geographiefragen

Aus Locarno: Alexander Sancho-Rauschel

Nicht verschweigen möchte
ich euch die ganz persönlichen Stärken und Schwächen unserer
Filmredakteure, schliesslich lebt ein Blog vom Subjektiven, heisst es
doch immer.

Eine besondere
Herausforderung auf Filmfestivals sind die Late-Night-Screenings
experimenteller Filmessays. Manch unkonventionelles, innovatives und
nichtnarratives Kleinod, das einen nachmittags entzückt, kann spät
abends zur qualvollen Herausforderung werden. Solch ein Fall war für
uns „1958“, ein filmischer Essay des jungen libanesischen
Regisseurs Ghassan Salhab. Der auf Digitalvideo

gedrehte Film
reflektierte auf experimentelle Weise die Erfahrungen des
Filmemachers im Libanon, von wo seine Famile aufgrund des
Bürgerkriegs hatte auswandern müssen, und im Senegal, wohin sie ins
Exil gegangen waren und wo er selbst geboren worden war. Die Montage
verband Szenen aus dem Libanon, Interviews mit seiner eigenen Mutter,
altes Archivmaterial über den Krieg, Nachrichtenfetzen und abstrakte
Bildkompositionen mit Szenen aus dem Senegal und den Erfahrungen
seiner Familie in dem fremden Land, das sie aufgenommen hatte.
Mangels ausreichender Kenntnisse der sehr verworrenen Abläufe des
bzw. der Libanonkriege und der nicht chronologischen Verweise auf
Orte, Ereignisse und Politikernamen hat der Film mich deutlich
überfordert, dazu wusste ich bei zahlreichen der genannten Ortsnamen
kleinerer Städte nie, ob diese jetzt im Senegal oder im Libanon
liegen. Böse Geographieschwäche oder einfach nur ein
Organisationsfehler, ohne Atlas ins Kino zu gehen?

Immerhin: Während meine
zwei BegleiterInnen und mein geschätzter 35mm-Mitredakteur nach
exakt 15 Minuten alle friedlich im Reich der Träume versunken waren
und diesen wohligen Zustand bis zum Ende des Films bewahrten, habe
ich tapfer und ohne fallende Augenlider durchgehalten... um dafür an
den historischen und geographischen Herausforderungen des
anspruchsvollen Filmessays zu scheitern.

Mehr Spass hatten
wir dagegen in „Pescuit Sportiv“ („Hooked“), einem
rumänischen Komödien-Drama-Mix von Adrian Sitaru. Der mit minimalen
technischen Mitteln gedrehte Film erzählt von einem kriselnden Paar,
das während eines Streitgesprächs auf einer einsamen Landstrasse
eine Prostituierte am Strassenrand anfährt, die Bewusstlose einlädt
und heftig diskutiert, was man jetzt mit ihr machen soll.

Er will sie ins
Krankenhaus fahren, sie will die Fremde im Wald abladen. Ist sie
verletzt? Soll man die Polizei rufen? Aber dann fliegt auf, dass die
eigentlich verheiratete Frau eine Affäre hat, denn ihr Begleiter ist
ihr Liebhaber, nicht ihr Gatte. Dann erwacht die unbekümmerte
Fremde, kann sich nicht recht an den Unfall
erinnern, doch obwohl alle so tun als ob nichts wäre, merkt sie
bald, dass etwas nicht stimmt, denn alle sind so nett zu ihr... und
haben ein schlechtes Gewissen. Jetzt hat sie die Beiden in der Hand,
aber was will sie? Geld? Freunde? Liebe? Oder nur ein paar
Zigaretten? Oder ist die lebenslustige Anna in Wirklichkeit eine
Selbstmörderin, die sich absichtlich vor das fremde Auto geworfen
hat?