Ein Medium zu verbieten weil es strafrechtlich relevante Inhalte veröffentlicht, ist ungefähr so, wie wenn ein Journalist des Terrors verdächtigt wird, weil er Edward Snowden interviewt. Das Verbot von linksunten.indymedia.org entspricht ganz und gar nicht unserer "freiheitlich demokratischen Grundordnung", die das Bundesinnenministerium in seiner Verbotsverfügung vom 14. Augugst 2017 auf 91 Seiten doch für "schlechthin unentbehrlich" hält. Wir, die tagesaktuelle Redaktion von Radio Dreyeckland in Freiburg, werten das Verbot als einen Angriff auf die Medienfreiheit. „Einerseits kritisieren deutsche Politiker sehr wohlfeil die Unterdrückung der Medien in der Türkei, andererseits wird im eigenen Land in normale und linke Medien bzw. ‚Vereine‘ eingeteilt.“ Spitzel werden in ein Freies Radio in Hamburg eingeschleust und linksunten wird kurzerhand zum Verein heruntergestuft und verboten. Das reicht zwar nicht an Erdoğans Methoden, geht aber in eine ähnliche Richtung: Im Alleingang und ohne richterlichen Beschluß Razzien anzuordnen und eine Internetplattform zu verbieten klingt für uns eher nach einem autoritären Staat als nach pluralistischer Demokratie.
Das Verbot stellt einen drastischen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit dar, darüber ist sich auch das Bundesinnenministerium im Klaren. Aus der Verbotsverfügung: "Eine Teilmenge der auf 'linksunten.indymedia' verbreiteten Äußerungen fällt [..] in den Schutzbereich von Art. 5 [...] des GG." Und doch, so heißt es weiter, müsse die Meinungsfreiheit gemäß dem "Bundesverfassungsgericht stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde antastet." In einem anderen Fall, der Mißhandlung von Geflüchteten durch Sicherheitspersonal eines Wohnheims im Herbst 2014 in Nordrhein-Westfalen jedoch, sah sich der Minister (anders als jetzt) nicht berufen, gegenüber offensichtlich rechtsextremen Rassisten "öffentlich Zensuren zu erteilen, Ratschläge zu geben oder Kritik zu üben".1
Bleibt die Frage an Bundesinnenminister de Maizière: Wieso sollte die Würde von Polizist_innen und Rechtsradikalen schützenswerter sein als die von Geflüchteten?
„Don't hate the Media – Become the Media!“
Als sich die Anti-AKW-Bewegung in den 70er Jahren mit dem Piratensender Radio Verte Fessenheim mit einem eigenen Medium zu Wort meldete, brachte sie eine dringend notwendige atomkritische Stimme in die gesellschaftliche Debatte, die in den bürgerlichen Medien bis dahin keinen Raum hatte. Heute ist Kritik an der Atomenergie weitgehender Konsens und Radio Dreyeckland hat heute nach langen Jahren der Kriminalisierung, gewaltsamen polizeilichen Räumungen und vergeblichen Versuchen, den Sender zu beschlagnahmen, eine Sendelizenz. Als freies, nichtkommerzielles Radio ist es in der Region ein wichtiges Medium für alle, die sonst ungehört bleiben.
Als Ende der 90er Jahre Millionen Menschen gegen den neoliberalen Kapitalismus aufbegehrten, schufen sie sich ebenfalls ein eigenes Medium – das Netzwerk indymedia. Das Konzept der Open Postings machte Stimmen hörbar, die bis dahin in der Medienwelt kaum in Erscheinung getreten waren – von brasilianischen Landbesetzer*innen bis zu Straßenpartys feiernden Reclaim the Streets Aktivist*innen.
Der Tenor der bürgerlichen Berichterstattung zum linksunten-Verbot zeigt anschaulich die Notwendigkeit linker Medien oder community media, die als Gegenöffentlichkeit in Erscheinung treten. Medien, die Links- und Rechtsterrorismus nicht anhand einer Hufeisentheorie gleichsetzen; Medien, die solidarisch sind zu Bewegungen, welche für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen. Und dieser Kampf hat - entgegen der Auffassung des Bundesinnenministeriums - in den allermeisten Fällen nicht das Geringste mit Gewalt oder der Militarisierung der Bewegung zu tun, sondern mit oft von anderen Medien nicht geleisteter Aufklärung und mit zivilem Ungehorsam: Nicht Straftaten wie Brandstiftung und Aufruf zu Mord und Totschlag sind das täglich Brot der community Medien, sondern höchstens Ordnungswidrigkeiten wie z.B. Straßenblockaden. Das heißt. nicht, dass wir alle Inhalte auf linksunten.indymedia – sofern uns bekannt – richtig finden. Außerdem gehen auch in unserer Redaktion die Meinungen weit auseinander. Aber hier geht es nicht um einzelne Posts, sondern um das Verbot einer Medienplattform.
"Zwillen, Messer, Schlagstöcke - die typischen Waffen der linksextremen Szene"
Nachdem sich die - um den Sprech des Bundesinnenministers weiterhin zu bemühen - "Keimzelle zu 'linksunten.indymedia' bereits 2007 in Freiburg formiert“ hatte, war 2008 das Gründungstreffen in der KTS. Weil weitere "Vorbereitungstreffen" und "mindestens eine Spendenaktion" von linksunten im autonomen Zentrum Freiburg stattfanden, beschloß das Ministerium, die KTS zum "Vereinssitz" zu erklären. Ungeachtet der Tatsache, daß sich eine Vielzahl linker Gruppen in losen Zusammenhängen regelmäßig oder unregelmäßig in den Räumlichkeiten der KTS treffen; ungeachtet dessen, daß diese ein Kulturzentrum und Veranstaltungsort für Lesungen, Konzerte und Theateraufführungen ist; ungeachtet dessen, daß Plena von linksunten auch in anderen Städten stattfanden und sich die Plattform, die - vergleichbar mit Facebook - lediglich die Infrastruktur für Postings zur Verfügung stellte, nie als Verein konstituiert hatte, fand am frühen Morgen des 25. August 2017 eine Durchsuchung im autonomen Zentrum statt, bei der das Vermögen des vom BMI konstruierten "Vereins" beschlagnahmt „und zugunsten des Bundes eingezogen“, sämtliche Schlösser der KTS aufgebohrt und so der Betrieb des selbstverwalteten Kulturtreffs vorübergehend lahmgelegt wurde. Dem einzigen Zeugen wurde Laptop und Handy weggenommen und ein Platzverweis erteilt. 2
Dabei nahmen die Beamten des LKA sämtliche Dinge von Wert mit – unter anderem dutzende Computer, die von Geflüchteten im Internetcafé genutzt wurden, außerdem kistenweise Elektroschrott aus dem Verschenkeladen und den Plotterrechner der Siebdruckwerkstatt. Die Anwältin der KTS beklagt, dass ihr keine genaue Liste der beschlagnahmten Gegenstände und ihrer Fundorte vorgelegt wurde. Dass die verleumderische Falschmeldung von Freitag, dem 25. August 2017 über angebliche "Waffenfunde" im autonomen Zentrum später vom Bundesinnenministerium selbst dementiert wurde, macht den Schaden nicht kleiner. Denn wer sich etwas damit beschäftigt weiß, daß die Erstnachricht eher in Erinnerung bleibt und die Korrektur kaum Durchschlagkraft hat.
Wo sind die beschlagnahmten Gegenstände? Warum werden Gegenstände, die offensichtlich nichts mit dem Fall zu tun haben, nicht sofort zurückgegeben?
"Keine Chefs, keine Löhne und keine Werbung!"
linksunten.indymedia.org wurde genutzt, nicht um Anschläge vorzubereiten. Sie war eine wichtige Quelle für politische Nachrichten und Analysen. Hier konnte über Veranstaltungen und Demos berichtet und für sie geworben werben. Außerdem hatte indymedia eine wichtige Funktion als Medium gegen rechte Gewalt. Z. B. half indymedia bei der Aufdeckung des sogenannten "Weiler Bombenbastlers". Das Portal hat seine Berechtigung, gerade auch weil die Berichte aus der gesellschaftlichen Perspektive von linksunten kamen, aus der Bewegung selbst. Hier berichteten Demoteilnehmer*innen, politische Aktivist*innen, Leser*innen selbst, was sie im Polizeikessel, im Gefängnis oder im Gerichtsprozeß erlebten. Ein community-Medium also, das Austausch, Gespräche, Debatten und Dispute ermöglichen sollte im Sinne von Brechts Radiotheorie.
Warum ausgerechnet jetzt?
Ist es tatsächlich so einfach, dass der CDU-Innenminister hier Wahlkampf betreibt und Stimmen am rechten Rand fischt, wie der Tenor in der linken Öffentlichkeit ist? Eine "Imagekampagne für Thomas de Maizière, der sich gegenüber der AfD als starker Mann gerieren kann", wie der Freitag am 31. August 2017 schrieb?..
Dem Bundesinnenministerium, Verfassungsschutz sowie Polizei war die Plattform seit langem bekannt, davon zeugen auch die Fußnoten der Verbotsverfügung, nach denen die Plattform seit mindestens drei Jahren beobachtet wurde.
Wenn dieses Verbot juristisch valide bleibt, ebnet es den Weg für den weiteren Abbau von Grundrechten. Indem der Innenminister alles auf das Vereinsrecht abstellt, greift er auf das juristische Arsenal der Fünfzigerjahre zurück. Damals wurden in der NS-Zeit eingeführte und von den Alliierten suspendierte Gesetze wieder in Kraft gesetzt, um sie im Kalten Krieg zur Kommunistenbekämpfung zu gebrauchen. Grundrechte und Pressefreiheit waren dabei Nebensache, ganz so wie es Thomas de Maizière mit seinem Verbot von linksunten.indymedia wieder macht.
Die aktuelle Redaktion von Radio Dreyeckland, Freiburg, den 09.09.2017