Türkei: Lebenslange Freiheitsstrafe stellt sich als reine Gesinnungsstrafe heraus

Türkei: Lebenslange Freiheitsstrafe stellt sich als reine Gesinnungsstrafe heraus

Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Überbauung des Gezi-Parkes in Istanbul hatte ein Gericht den bekannten Mäzen Osman Kavala wegen angeblichem Umsturzversuch zu lebenslanger Haft ohne Begnadigungsmöglichkeit und 7 Mitangeklagte Frauen und Männer zu jeweils 18 Jahren Haft verurteilt. Gestern veröffentlichte das Gericht nun die Urteilsbegründung, in der das Gericht aufzählt womit Osman Kavala versucht haben soll, die Regierung zu stürzen bzw. an der Ausübung ihrer Pflichten zu hindern. Dem Gericht war nicht entgangen, dass der Menschenrechtskommissar des Europarates von einem mehrtägigen Besuch bei Beginn der Proteste berichtet, dass er auch Osman Kavala getroffen habe und dass viele Gesprächspartner über übermäßigen Einsatz von Tränengas geklagt hätten. Außerdem soll die von Osman Kavala geleitete Gesellschaft Anatolische Kultur bereits kurz vor den Gezi-Protesten mit der Mezopotamya Stiftung in Diyarbakir in Verbindung getreten sein, deren Ziel es gewesen sei, eine kurdische Universität zu gründen. Angeblich geplanter Name: „Kurdistan Universität“. Für das Gericht ein klarer Fall von Separatismus. Außerdem hat Kavala zusammen mit einem anderen Verurteilten an die Außenministerien der EU einen Brief geschrieben, in dem es heißt, dass es bei den Gezi-Protesten um Ökologie und Kultur ginge und – das ist dem Gericht besonders aufgefallen – die Protestierenden als „lebensfrohe Jugendliche“ bezeichnet werden. Offenbar sieht hier das Gericht eine grobe Verharmlosung. Der Staatspräsident Erdogan hatte seinerzeit von „Marodeuren“ gesprochen und hat jüngst mit einem neuen Schimpfwort nachgelegt. Schließlich soll ein Mitarbeiter von Kavala in einem Telefongespräch den Ausdruck „Herr Hodscha“ gebraucht haben. Hodscha ist eine ehrerbietige Bezeichnung für einen Lehrer, eventuell auch einen religiösen Lehrer. Dem Gericht ist damit klar, dass Osman Kavala in Verbindung zu dem Prediger Fethullah Gülen stand, den Erdogan für den Putschversuch im Jahr 2016 verantwortlich macht. Ob Kavala je etwas mit Gülen zu tun hatte, ist sehr fraglich, aber Erdogan hat lange mit Gülen zusammengearbeitet, ehe sie sich verstritten haben.

 

So sehen die Vorwürfe aus, die einen Menschen für den Rest seiner Tage hinter Gitter bringen sollen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Doch da Erdogan die Justiz immer mehr kontrolliert, stehen Kavalas Chancen schlecht.