Wieder ziemlich viele interessante politische Sachen diese Woche im Veranstaltungskalender, auch feministische. ( ehrlich gesagt, ich gehe so gut wie nie hin, jedenfalls nicht zu den reinen Sprach- Veranstaltungen: wie viele andere Personen mit Hörbehinderung auch nicht)_
Anlass für mich mal über dieses Thema struktureller Ableismus im Zusammenhang mit Hörbehinderung zu sprechen...
EIN KOMMENTAR
Diskriminierungssensibel gegen Ausgrenzung aller Art. Das wollen wir
alle sein, besonders in femistischen und linken Zusammnhängen. Und das
ist gut und wichtig. Intersektional, alle Diskriminierungsformen miteinbeziehend,(Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Klassismus, Antiziganismus, Ableismus - auch
in ihren Verschränkungen. Und das ist richtig gut und wichtig, aber im
Alltag SEHR schwierig.
Struktureller Ableismus sitzt so tief , dass er sehr oft sehr unsichtbar bleibt. Allein das Wort wird erst nach und nach
sichtbar, bzw. geläufig, Vielleicht sag ichs deswegen grade nochmal, was es heißt.
Es bedeutet : gemessen werden Menschen an ihrem Funktionieren , an der Normierung (weiß, cismännlich, hetero, nicht behindert). Es bedeutet ein defizitäres betrachtet werden, bedeutet Diskriminierung und Abwertungen, wegen Behinderungen. Wegen Einschränkungen,wegen Neurodiversität und chronischen Krankheiten, egal ob sie sichtbar oder unsichtbar sind.(Das ist übrigens auch sehr binär; stark/schwach,
gesund/krank, behindert/ nicht behindert....._hörend/,nicht hörend, taub)
Eine sehr spezielle Form von Ableismus, die sich explizit gegen Hörbehinderte oder Gehörlose Menschen richtet, heißt
Audismus...
Audismus ist eine diskriminierende Haltung, die ähnlich wie Rassismus und Sexismus eine bestimmte Art zu leben oder zu sein als Standard voraussetzt. Was beim Rassismus der „weiße“ Mensch ist und beim Ableismus der nicht (oder noch nicht) behinderte Körper ist, ist beim Audismus das „normale“ Hören, also die Fähigkeit, Informationen rein akustisch wahrzunehmen . Das ist der Maßstab.
Leider auch in unserem linken oder feministischen (vielleicht sogar Aktivistischenn) Alltag ist Ableismus und Audismus sehr präsent. Zum Beispiel bei
VERANSTALTUNGEN. PLENAS, TREFFEN...AUF DENEN HAUPTSÄCHLICh GESPROCHEN WIRD:
Bei Veranstaltungen wird meistens, wenn überhaupt etwas im Zusammenhang mit
Ableismus oder Abbau von Barrieren angegeben wird, Berollbarkeit benannt.
Das ist total wichtig. Punkt.
Aber es gibt noch sooo vieleandere Barrieren auch! Oft steht dann da "barrierefrei" oder "nicht barrierefrei" (aber: wer-definiert das? und was heißt das ?)
Oft werden keine weiteren Angaben oder Angebote gemacht wie ("...meldet euch, wenn ihr
was braucht", o.ä.). selten werden die Barrieren BENANNT, z.B. kein Mikro, keine Übersetzung, keine Leichte Sprache, keine Rückzugsräume... o.ä.Das wäre aber als Orientierung auch schon hilfreich.
Alle, die ihr Veranstaltungen organisiert (und das ist auch toll) solltet wissen:
Das bedeutet für die Betroffenen, jedesmal individuell nachfragen zu
müssen, ob bestimmte Bedingungen da sind. Solange es keine bestimmten
Standarts gibt, die allerdings noch entwickelt werden müßten und verbindlich
gehandhabt werden müsssten, muss sich quasi jede betroffene Person
jedesmal bei jeder Veranstaltung jedesmal outen.....SEHR Anstrengend und
SEHR unangenehm. Manchmal heißt es auch bei einer hörbehinderten Person "du kannst dich vornehin setzen".oder "wir schaun dann mal" oder "der Raum ist klein" aber das
geht am Problem vorbei und ist auch diskriminierend. Jeder Raum hat eine
andere Akustik oft gibt es Hall oder starke Nebengeräusche., außerdem, selbst wenn du optimal mit Hörgerät etc. ausgerüstet bist, kannst du oft nicht parallel von den Lippen ablesen. Und Hall und Nebengeräusche sind für manche unerträglich....das mit einzubeziehen, mitzudenken wäre wichtig. Eine Verstärkeranlage ist fast immer gut, aber hilft nicht immer. Es gibt inzwischen kleine , handhabbare, tragbare mit Mikros. Aber oft reicht das nicht aus, speziell für die, die wegen störender Nebengeräusche eher eine Übertragung von sprechender zu hörender Person über Kopfhörer bräuchten. Außerdem ist es oft bei Diskussionen so, daß bei den Publikumsfragen nicht über Mikro gesprochen wird.
Festzuhalten ist, es braucht eine bestimmte Offenheit, Sensibilität. bestimmte
Standards und Absprachen. Dazu später noch.
Was auch wichtig ist zu wissen: Hörbehinderung ist ein Bereich, der
sehr unsichtbar ist, der eigentlich im Alltag überhaupt nicht mitgedacht ist. Dabei ist Hören DER zentraler Zugriff auf direkte Kommunikation und soziales Leben. Reden, Austauschen, Verstehen, Zuhören..Lernen, oder wiegesagt zu Sprachveranstaltungen gehen......und es sind so viele Menschen, die es betrifft: nach Angaben des Deutschen
Grünen Kreuzes ca. 14 – 16 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, das heißt 13 % der Bevölkerung in allen Altersgruppen haben Höreinschränkungen. Je älter, die Menschen werden desto größer wird ihr Anteil.
FLINTA*Personen (also FrauenLesbenInterNonBinäreTrans- und Agender
PERsonen) sind zahlenmäßig noch stärker betroffen. Und; es gibt den
Verdacht, daß das mit Gewalt- und sexualisierter Gewalterfahrung
zusammenhängt. Dafür gibt es aber keine Belege. Es gibt meines Wissens
keine Forschung zu dem Thema. Möglicherweise hat auch das mit
struktureller Diskriminierung zu tun. Es gibt aber Erfahrungswerte dazu.
Zuerst habe ich von dem Zusammenhang im Gespräch mit einer Akustikerin
gehört,und seit ich offen bzw. offensiv über meine eigene
Hörbehinderung spreche, erzählen mir auch andere FLINTA-Personen mit
Hörbehinderung davon und sind sich jeweils sehr sicher über diesen
Zusammenhang. Auch im Kontext von Symptomen einer PostTraumatischeBelastungsStörung.
Oft sind das Beschädigungen, die auch durch ein Hörgerät nicht
ausgeglichen werden können.
Auch wichtig sich klarzumachen: Menschen, die erst im Erwachsenenalter
hörbehindert werden, haben ja Jahrzehnte ohne Hörprobleme gelebt. Auf
einmal verändert sich das gesamte Leben, die sozialen Bezüge . Eine totale Umstellung in fast allen Lebensbereichen wird notwendig. Die Sellbsteinschätzung und das
soziale Lebenverändert sich.
Hörbehinderte Menschen haben anders als Gehörlose Menschen keine eigene
Sprache und gewachsene Community, sie sind in der Regel sehr vereinzelt und
unsichtbar. Sie werden z.B. auch in der Forschung wesentlich weniger beachtet "Wander*innen zwischen den Welten" der Hörenden und der Gehörlosen hat mal jemand Bekanntes gesagt.
Das Problem mit der Akustik bei Veranstaltungen könnte für manchePersonen, die allein von dieser Barriere betroffen sind, relativ leicht und pragmatisch reduziert werden...Als Standart Mikros und Verstärkeranlagen. Für andere bräuchte es wie schon gesagt ein Equipment mit Kopfhörern.
Andere vielfältige Barrieren und Notwendigkeiten müssen wir einfach noch stärker
erfassen, erfragen, Stück für Stück und in adäquater Weise umsetzen.
Viele sind ja schon bekannt . Manches ist einfach .z.b. Pausen machen, (Rückzugsräume,, höhenverstellbare Redner*Innenpulte, oder einfach höhere Tische wegen der Sichtbarkeit.....Übersetzungen in Gebärdensprache, in leichte deutsche Sprache, in leichte englische Sprache, Sichtorientierungen, evtl. das Angebot Menschen an Haltestellen abzuholen.
Onlineübertragungen mit DGS wäre super. Wenn chronisch Kranke zum Beispiel per Chat, Zoom, Livestream bei Youtube usw....interaktiv beteiligt werden könnten.
Abervor Allem die Barrieren in den Köpfen, in den Haltungen und Einstellungen
das sind mit die Größten Barrieren, die abgebaut werden muß.
Wobei ich als
Nachtrag sagen möchte: es gibt viele, viele tolle Menschen, nicht nur betroffene, die sich einsetzen und bemühen um eine Gesellschaft ohne Ableismus. Und es gibt zum Glück eine aktive Community, auch eine feministische und eine queere, von Menschen mit Behinderungen .(In dem Zusammenhang: Danke an euch alle, die ihr hier eure Ideen und Lebenserfahrungen eingebracht haben)
...Ja.... wir haben alle so viel zu lernen und es gibt viel zu tun..
s.g.
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