Rezension: „Die Leichen von Inverness", ein Schottland Krimi von G.R. Halliday
Blanvalet Verlag 2025
rezensiert von Hardy Vollmer
G.R. Hallidays neuer Roman „Die Leichen von Inverness“ spielt, wie auch schon seine anderen Romane, im schaurig schönen Schottland. Und es ist daher nicht verwunderlich, dass für den Untergang der Yacht „Explorer“ bei ihrer Jungfernfahrt eine „Banshee“ verantwortlich gemacht wird. Für diejenigen, die nicht mit der keltischen Mythologie vertraut sind hier eine Erklärung:
„Eine Banshee , von Irisch-gälisch bean sí: „Frau aus den Hügeln“, mit der Bedeutung „Frau aus dem Feenreich, Geisterfrau“, oder auch Todesfee ist in der keltischen Mythologie und im Volksglauben Irlands ein weiblicher Geist aus der Anderswelt, dessen Erscheinung einen bevorstehenden Tod ankündigt. In Schottland wäscht sie die blutverschmierten Kleider oder Rüstungen der sterbenden Kämpfer und ist dadurch die Vorbotin für deren baldigen Tod.“
So selbstverständlich die einheimische Bevölkerung die Banshee als Erklärung für den Untergang der Yacht gilt, kommt noch verstärkend hinzu, dass man sie sogar gesehen hat, ja noch besser, es gibt sogar ein Photo von der Todesfee. Der Journalist der Lokalzeitung „The Fort William Advertiser“ ist dabei, als die Yacht zur See gelassen wird. Ausgelassen feiern an Bord ausgewählte Passagiere mit der Besatzung die erste Fahrt ins offene Meer. Viele Fotos werden geschossen. Eines dieser Fotos wird legendär. Abseits der jubelnden Besatzung des Schiffes steht eine Frau, der das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht. Es wird das letzte sein, das in der Erinnerung der Beteiligten erhalten bleibt, denn wenige Stunden danach verschwindet das Schiff vom Radar und wird nicht mehr gefunden. Das Foto von dieser Banshee erhielt später den ikonischen Titel: „Der Schrei der Passagierin“.
Zu Beginn des Romans ist das nun schon 5 Jahre her und nichts mehr wurde seitdem von dem Schiff und seiner Besatzung gehört. Und plötzlich ist die Banshee wieder da. Sie steigt aber nicht aus den Meeresfluten empor, sondern steht in den Bergen in einem Bach, spindeldürr, zerzaust und mit Dreck und Grünzeug behängt. Und das ausgerechnet am Jahrestag des Untergangs der „Explorer“. Gefunden wird sie dann auch noch von einer Wandergruppe von Angehörigen der Besatzung, die auf diese Weise Jahr für Jahr eine Art Trauerarbeit leistet. Warum taucht die Todesfee jetzt wieder auf, kündigt sie neues Unheil an?
Für die Kommissarin DI Monica Kennedy und ihre Assistentin DC Maria Khan deuten sich schwierige Ermittlungen an. Hatte man zunächst die Hoffnung, dass sich jetzt das Geheimnis um das Verschwinden der Yacht schnell klärt, werden diese Gefühle schnell enttäuscht: denn die Banshee schweigt beharrlich. Immerhin erwähnt sie einmal den Namen „Emily Hurst“, und damit kommen wir endlich in der profanen Realität des schottischen Hochlands an.
Wer Emily Hurst war, weiß man nämlich, die einzige Passagierin, die ein Fahrkarte löste, alle anderen waren Mitarbeiter der Werft, oder deren Freunde und Verwandte. Woher Emily Hurst kam, und warum sie an Bord war, bleibt ein Geheimnis. Niemand kannte sie. Also vielleicht doch eine Banshee? Aber wer auch immer die Frau ist, sie schweigt und das über viele Seiten lang. Ihr auftauchen wirft natürlich viele Fragen auf. Vor allem die: Leben unseren Freunde und Angehörigen auch noch? Zudem werden wieder alte Wunden aufgerissen. In den 5 Jahren seit dem Verschwinden des Schiffes hatte sich 2 Lager gebildet. Die einen wollten nichts mehr von dem Vorgang hören, die anderen gruben akribisch Stein für Stein um, um doch noch die Wahrheit zu erfahren.
Und vor allem kommen die alten Gerüchte wieder hoch: Der Bruder des verschollenen Kapitäns war in Rauschgiftgeschäfte verstrickt. Ging das Schiff unter, weil sich konkurrierende Rauschgiftbanden um die Beute stritten, die an Bord versteckt war. Ebenso gravierend das Gerücht, dass der Werftbesitzer selbst für den Untergang verantwortlich war. Seine Schwester, die an Bord war, wollte ihren Anteil an der Firma verkaufen. Das hätte eventuell den Verlust der Werft für den Bruder bedeutet, also musste die Schwester verschwinden.
Die Polizistinnen werden mit Halbwahrheiten und dreisten Lügen konfrontiert. Sie ermitteln in einer Wand aus Watte und jede scheinbar erfolgreiche Spur endet ergebnislos in den Weiten der schottischen See. Die Lesenden leiden bald zusammen mit den umherirrenden Polizistinnen. Es geht nicht voran in dem Roman. Immer wieder drehen sich die Ermittlerinnen um die Frau, die sich Emily Hurst nennt. Was weiß sie, wann spricht sie? Aber die Banshee schweigt. Als man schon den Eindruck hat, aus dem dichten Nebel des schottischen Hochlandes ist für den Fall kein entkommen mehr, nimmt die Geschichte an Fahrt auf. Denn: Die Banshee verschwindet.
Auf brutale Art und Weise wird sie entführt. Wer fühlt sich plötzlich bedroht? Will man sie jetzt endgültig zum Schweigen bringen? Plötzlich nehmen einst totgeglaubte Spuren eine neue Richtung an, bisher versteckte Informationen kommen an die Öffentlichkeit, die ein anderes Bild der bisherigen Erkenntnisse geben und für DI Monica Kennedy und ihrer Assistentin DC Maria Khan bergen die neuen Enthüllungen plötzlich eine tödliche Gefahr.
„Die Leichen von Inverness“, bietet alles, was man von einem Thriller erwartet. Das nötige Lokalkolorit: geheimnisvolle schottische Landschaften und keltische Mystik, gepaart mit einer brutalen Realität menschlicher Abgründe, die einem die vielleicht naiven Vorstellungen der malerischen schottischen Highlands zerstört. Für ansteigende Spannung ist gesorgt. Auch für die Leserinnen und Leser, die sowas mögen, fehlen auch nicht die psyschologischen Spannungen in dem ermittelnden Polizisstinnenteam, die den verwickelten Fall nochmal zusätzlich belasten.
Die dramatische Schlusszene bietet endlich die Auflösung des Falls und beinhaltet auch schon Andeutungen, wie es in dem nächsten Buch von G.R.Halliday und der mörderischen Gegend rund um Inverness weitergeht.