Das Berufungsgericht von Paris hat am 24. Dezember beschlossen, Rexhino „Gino“ Abazaj unter Auflagen aus der provisorischen Haft zu entlassen. Der Antifaschist war am 16. Dezember durch einen Einsatz der Unterdirektion für Terrorismusbekämpfung SDAT festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht worden. Die Bundesrepublik Deutschland hatte einen europäischen Haftbefehl gegen Gino erwirkt, da die Ermittlungsbehörden vermuten, er habe sich im Februar 2023 an Angriffen auf BesucherInnen des Nazievents „Tag der Ehre“ beteiligt.
Die erneute und völlig überraschende Festnahme, des in Italien aufgewachsenen albanischen Staatsbürgers, begründet die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit angeblichen Angriffen auf die Neonazis R. Fischer und S. Brinkmann aus Melle. Gino war im Herbst 2024 ein erstes mal von Zielfahndern der Antiterroreinheit SDAT in Montreuil bei Paris festgenommen worden. Das Berufungsgericht hatte den damaligen europäischen Haftbefehl Ungarns im März dieses Jahres, nach knapp fünf Monaten Haft, abgelehnt.
Zur Begründung verwies der Gerichtshof damals auf die mangelhafte Menschenrechtslage in Orbans Autokratie. Ähnliches hatte zuvor ein Mailänder Gericht im Fall des Antifa „Gabri“ festgestellt. Doch Deutschland demonstriert an Seiten Ungarns einen absoluten Verfolgungswillen gegen die Linken. Anfang Oktober floh der syrische Staatsbürger und Nürnberger Antifa „Zaid“ nach Frankreich und stellte sich den Behörden, in der Hoffnung einer weniger menschenrechtsverachtenden Judikative zu begegnen, als jenen aus Deutschland oder Ungarn.
Während die Politik versucht den „Budapest-Komplex“ als notwendige „Terrorismusbekämpfung“ zu framen, kann der Eindruck entstehen, dass ein Teil der europäischen Staaten sich dem transatlantischen Druck der Administration Trump beugen. Dabei wird „die Antifa“ zunehmend zum medialen Feindbild hochstilisiert. In der beispiellosen Repressionswelle gegen AntifaschistInnen sparten zumindest Ungarn und Deutschland nicht an Ressourcen, um linksradikalen DemonstrantInnen nachzustellen, die das jährliche Nazigedenken an den „Budapester Kessel“ von 1944 gestört haben sollen.
Doch die französische Justiz scheint die Verhältnismäßigkeit der repressiven Maßnahmen in diesem Kontext nach wie vor sehr ernst zu nehmen. Das gleiche Gericht, dass Gino im Frühjahr freigelassen hatte, beschloss, ihn nach einer knapp dreißig-minütigen Verhandlung unter Auflagen freizulassen. Zuvor hatte Gino einer Auslieferung nach Deutschland – verständlicherweise – nicht zugestimmt.
Rechtsanwalt Youri Krassoulia argumentierte vor Gericht, dass die zugrundeliegenden Ermittlungen der ungarischen Behörden im sogenannten „Budapest-Komplex“ politisch motiviert und grundsätzlich sehr kritisch zu bewerten seien. Es habe „keinen Grund gegeben“ seinen Mandanten mit einem erneuten internationalen Einsatz festzunehmen, betonte der Rechtsanwalt schon vor dem Prozess. „Er wäre einer einfachen Aufforderung nachgekommen“.
Die Entscheidung des Gerichts erschien im Vorweihnachtstrouble zwar eilig, folgte aber den technischen Argumenten der Verteidigung umfassend. Es gibt keinen Grund für einen Verbleib hinter Gittern. Denn Gino hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag, lernt prima Französisch, hat einen festen Wohnsitz und eine feste Beziehung. „Es könne kein Fluchtgrund bestehen“, so Krassoulia. Zumal sich die Frage anschließt, wohin Gino denn fliehen solle. „Beim Verlassen Frankreichs wäre er gleich zwei europäischen Haftbefehlen ausgesetzt.“
Im Interview mit Radio Dreyeckland unterstrich Krassoulia im Anschluss nüchtern die Logik des Urteils. Die Erleichterung und ein gewisses Erstaunen war auf Seiten der angereisten Eltern Ginos und der mobilisierten UnterstützerInnen zu spüren. Mit einer Freilassung hatten die wenigsten gerechnet.
Ein neuer Anhörungstermin zur Frage einer Auslieferung an die Bundesrepublik wurde auf den 28. Januar um 14 Uhr vereinbart. Gino konnte das Gefängnis von Fresnes am Abend verlassen. Der Prozess in Frankreich dürfte sich nun über mehrere Monate strecken. Bis dahin darf Gino Kontinentalfrankreich nicht verlassen und muss einmal im Monat bei der Polizei vorstellig werden.
LS
