Cannes -- Mitten im Festivalgetümmel

Cannes -- Mitten im Festivalgetümmel

Die ersten zwei Tage des Festivals sind vorbei, Zeit für einen ersten kleinen Zwischenbericht. Fangen wir mit den Formalitäten an: Es gibt ein neues Reservierungssystem für die "Einladungen" (so heißen die Eintrittskarten hier traditionellerweise) für den Wettbewerb. Leider ist das ganze System völlig undurchschaubar und viel weniger vorhersehbar als vorher. Man kann Wünsche abgeben, welche Filme man wann sehen möchte und bekommt die Karten dann -- nach welche Schlüssel auch immer -- zugeteilt. Oder auch nicht. Das macht die ganze Sache ziemlich unvorhersehbar und vor allem unplanbar. Wenn ich morgens um 11 erfahre, daß ich doch um 14 Uhr in den Wettbewerb darf, habe ich meinen Zeitplan für den Tag in der Regel schon gemacht und müßte ihn dann noch einmal komplett umwerfen. Für mich ist das ganze höchst unbefriedigend. Und so kam, was kommen mußte, ich habe für meinen ersten wirklichen Wunschfilm, "Umimachi diary" von Hirokazu Kore-Eda leider keine Karte erhalten.
Des weiteren habe ich das Gefühl, daß das Festival dieses Jahr unorganisierter ist als sonst. In einem der großen Säle saßen zu Beginn des Films noch Leute auf den Treppen im Saal, weil die Ordner nicht, wie in den vergangenen Jahren, die betreffenden Türen einfach dichtgemacht hatten, als der Mittelblock voll war. So etwas darf eigentlich nicht passieren, denn die Treppen sind Fluchtwege und müssen freigehalten werden. Und so etwas erlebe ich in Cannes in der Tat zum ersten Mal.

Was die Filme angeht, so habe ich mich gestern erstmal im Filmmarkt umgesehen. Denn das offizielle Programm beginnt -- abgesehen von ein paar Pressevorführungen -- erst mit dem Eröffnungsfilm La tête haute von Emmanuelle Bercot. Und für die Eröffnungsfeier hatte ich (aber das war zu erwarten und hat mich daher auch nicht sonderlich enttäuscht) keine Karte bekommen. Aber der Reihe nach.

Mein erster Film am gestrigen Mittwoch war My bakery in Brooklyn. Die Geschichte klang eigentlich ganz witzig: Zwei Cousinen, seit Kindertagen eng befreundet, erben eine Bäckerei in Brooklyn und sind sich nicht ganz einig, wie die Zukunft des Geschäfts aussehen soll. Daraufhin beschließen sie (bzw. eine der beiden), den Laden in zwei Hälften zu teilen, so daß jede ihre eigenen Vorstellungen in ihrer Hälfte ausleben kann. Klar, daß man sich da auch schon mal um die Kunden streitet, die den Laden betreten. Leider wurde aus dieser Idee viel zu wenig gemacht. Kunden wurden genau zweimal hin- und hergezerrt. Ansonsten gab es viel Herzschmerz, eine nicht weiter aufgelöste Nebengeschichte mit Leichen unter irgendwelchen Bodendielen und mindestens fünf Happy-Ends auf einmal. Ich würde sagen: Leider durchgefallen.

Film 2, The corpse of Anna Fritz war da schon besser. Auch diese Geschichte klingt ziemlich skurril. Drei Freunde landen eines Abends in einer Leichenhalle, in der einer der drei arbeitet. Dort liegt auch eine vor kurzem eingelieferte relativ bekannte -- und vor allem gutaussehende -- Schauspielerin. Männer sind Männer und malen sich natürlich aus, wie es wäre, mit dieser Berühmtheit Sex zu haben. Nachdem sie sich gegenseitig angestachelt haben, schreitet der erste zur Tat. Als der zweite der Freunde gerade mitten bei der Sache ist, wacht die Schauspielerin aber ungeschickterweise wieder auf. Sie war wohl doch nicht tot. Bei den drei Freunden entbrennt ein Streit, wie man nun weiter vorgehen solle. Denn niemand möchte wegen Vergewaltigung angezeigt werden. Aber die Lösung, die eigentlich ohnehin schon totgewesene Schauspielerin final umzubringen, wird nicht von allen gutgeheißen. Die Schauspielerin selber ist noch ziemlich bewegungsunfähig und kann nur entsetzt die Diskussion über ihr eigenes Schicksal mitverfolgen. Es entspinnt sich eine ziemlich spannende Geschichte, die immer wieder umschlägt und bei der man als Zuschauer nie weiß, welche Seite nun die Oberhand gewinnt. Viel Kinopotential traue ich diesem Film leider nicht zu, aber falls er euch mal über den Weg läuft: ansehen.

Den Abschluß machte gestern ein Film, der bereits auf der Berlinale in der Generation K+ gelaufen war: You're ugly, too. Erzählt wird die Geschichte der elfjährigen Stacey, deren Mutter vor kurzem gestorben ist. Ihr Onkel Will, der Bruder ihrer Mutter, holt sie ab, um sich um sie zu kümmern. Doch das neue Familienleben entpuppt sich als nicht ganz einfach. Will ist gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden und will Stacey nicht erzählen, warum er gesessen hat, und Stacey wird in der Schule nicht aufgenommen, weil sie unter Narkolepsie leidet. Der Film ist -- wie so viele Filme aus der Kinderfilmsektion in Berlin -- nicht nur für Kinder absolut sehenswert. Und hier gibt es auch bereits einen deutschen Verleih. Vormerken.