Chinesen und Kasachen werfen "gewisse Blicke"

Heute habe ich mir die beiden ersten Filme in der Reihe "Un Certain Regard" angesehen, in etwa zu uebersetzen mit "Ein gewisser Blick" (was auch immer das heissen soll...).img_13341

Filme aus Kasachstan und China

Und diese ersten beiden "Blicke" kamen aus dem Osten und dem Noch-Ferneren-Osten, naemlich aus Kasachstan und China.
Auch Sascha Baron Cohen, der selbsterklaerte Vertreter Kasachstans, ist vor Ort, und mittlerweile zum "Dikator" aufgestiegen, aber den meine ich nicht, der Film startet erst spaeter hier in Cannes. Nein, der Film "Student" ist tatsaechlich eine authentische kasachische Produktion, und die vierte Regiearbeit von Darezhan Omirbayev, der auch das Drehbuch verfasst hat. Es ist eine Neuerzaehlung des Dostojewski-Klassikers "Schuld und Suehne" (beziehungsweise "Verbrechen und Strafe", wie es in der Neuuebersetzung heisst), verlegt ins heutige Kasachstan. Aber der Film geht erfreulicherweise recht frei mit der literarischen Vorlage um, und bietet sogar trotz des duesteren Stoffes einige humorvolle Stellen...  

Chinesen und Kasachen werfen "gewisse Blicke"

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Heute habe ich mir die beiden ersten Filme in der Reihe "Un Certain Regard" angesehen, in etwa zu uebersetzen mit "Ein gewisser Blick" (was auch immer das heissen soll...).

Filme aus Kasachstan und China

Und diese ersten beiden "Blicke" kamen aus dem Osten und dem Noch-Ferneren-Osten, naemlich aus Kasachstan und China.
Auch Sascha Baron Cohen, der selbsterklaerte Vertreter Kasachstans, ist vor Ort, und mittlerweile zum "Dikator" aufgestiegen, aber den meine ich nicht, der Film startet erst spaeter hier in Cannes. Nein, der Film "Student" ist tatsaechlich eine authentische kasachische Produktion, und die vierte Regiearbeit von Darezhan Omirbayev, der auch das Drehbuch verfasst hat. Es ist eine Neuerzaehlung des Dostojewski-Klassikers "Schuld und Suehne" (beziehungsweise "Verbrechen und Strafe", wie es in der Neuuebersetzung heisst), verlegt ins heutige Kasachstan. Aber der Film geht erfreulicherweise recht frei mit der literarischen Vorlage um, und bietet sogar trotz des duesteren Stoffes einige humorvolle Stellen...  

Student

Er erzaehlt die Geschichte eines armen Studenten, der in einem kleinen Zimmer zur Untermiete wohnt, seine Miete nicht bezahlen kann und auch sonst recht einsam ist. Immer wieder faellt ihm die soziale Ungerechtigkeit auf, wenn inmitten der Armut einzelne Neureiche ihre Beziehungen spielen lassen und sich dabei ruecksichtslos ueber Gesetz und Moral hinwegsetzen. Aber auch seine Professorin an der Universitaet predigt ihren Studentinnen und Studenten neoliberale Dogmen der uebelsten Sorte, und offenbart dabei erbarmungslose sozialdarwinistische Ueberzeugungen, wenn sie ihren Schaefchen nahelegt, sich wie im Dschungel zu bewegen, um zu fressen, statt gefressen zu werden...

Dermassen indiktriniert, oder vielmehr verwirrt, beschliesst unser Student, den kleinen Lebensmittelladen um die Ecke zu ueberfallen, wo der unsympathische Besitzer sich bereichert und dem armen Muetterlein von nebenan keinen Kredit gewaehrt, als diese einmal in Geldnoete geraet.
Der Student besorgt sich auf dem Schwarzmarkt eine Waffe, ueberfaellt den Laden, erschiesst den Kleinkapitalisten... aber leider auch, Dostojewski-Leser nahen das kommende Unheil, eine unschuldige junge Frau, die zufaellig den Laden betreten hat, und die der erschrockene Nachwuchsgangster im Affekt gleich mit umnietet.img_13981.geaendert.gedreht

Es kommt, wie es kommen muss, die Flucht gelingt, die Kasse hat er erfolgreich geleert, aber die Gewissensbisse setzen ein...
Als er erkennt, dass die Morde keineswegs eine heroische Tat waren, und er auch bei dem Mord an dem Haendler nicht aus selbstlosen, sondern aus sehr geringen Motiven heraus gehandelt hat, kommt er zu derm Entschluss, so nicht weiterleben zu wollen.
Und als er sich dann auch noch verliebt, ist ihm klar, dass er nochmal ganz vor vorne anfangen muss... und das heisst, sich zu stellen, die Verantwortung fuer seine Taten zu uebernehmen...

Immerhin, ein Lichtblick: Wie im Roman kommt auch hier seine Angebetete angereist, um ihn im ferngelegenen Gefaengnis zu besuchen...

Interessant an dem ruhigen, genau beobachtenden Film ist neben seinem Herkunftsland (denn wer hat wirklich schon mal einen - echten - kasachischen Kinofilm gesehen?) der soziale Aspekt: Man sieht viel aus dem Alltag des Landes, sieht in Wohnungen, die Menschen auf der Strasse, die Armut der kleinen Leute, das ruecksichtslose Verhalten des neuen Geldadels, die Korruption, aber auch der naive Glaube, neoliberale Reformen koennten dem Land den Weg aus der Armut weisen...

Mystery

Ja, und dann habe ich noch "Mystery" gesehen, ein Film des chinesischen Regisseurs Ye Lou, der bereits mehrmals in Cannes mit seinen Werken vertreten war.
Aber sein neuestes Opus war leider keine Offenbarung - eine etwas unglueckliche Mischung aus Arthaus-Film und Krimi, wobei die kriminalistische Rafinesse etwa mit dem Plot einer 45-minuetigen Derrickfolge zu vergleichen ist...
Trotz des Titels gibt es eigentlich kein "Mystery", sondern es ist von Anfang an fast alles klar, und so geheimnisvoll wie die Frage, ob am Schluss eines Enid-Blyton-Jugendkrimis (PS: 5 Freunde etc) die boesen Buben wohl hinter Schloss und Riegel landen oder nicht...
Tja, aber vielleicht will das Ganze ja auch kein Krimi sein, sondern eben doch Filmkunst fuers Arthaus-Publikum...?
Aber auch dann bietet der Film nicht allzu viel. Ein juengerer Mann ist verheiratet, hat ein Kind, seine Frau beobachtet irgendwann, dass er fremdgeht...
Aber noch eine andere Frau beobachtet dies... nicht weniger schockiert... und es zeigt sich, dass er neben seine Affaeren zwei Familien hat, also Kinder von zwei verschiedenen Frauen...img_13761Als eine seiner Internet-Bekanntschaften tot aufgefunden wird, muessen sich zwei Kriminalbeamte mit dem Fall beschaeftigen. Und decken natuerlich das ganze Gespinst an Luegen und Konstruktionen schnell auf...

Interessanter an dem Film sind auch hier die Nebensaechlichkeiten. Denn, ungewoehnlich genug fuer eine staatlich abgesegnete chinesische Grossproduktion, tauchen als Randfiguren in dem Film auch Obdachlose auf, Bettler, arme, vewahrloste Menschen, die auf eine Muellkippe leben, und die sonst in dem Werk zu sehende Hochglanz-Szenerie einer jungen, wohlhabenden chinesischen Oberschicht aufbrechen.
Und in einer Dialogzeile offenbaren sich auch Fragwuerdigkeiten des chinesischen Rechtssystems, wenn der Kommissar davon berichtet, dass ein offensichtlicher Mordfall auf offizielle Anweisung hin ungeloest zu der Akten gelegt werden soll, da die Familie des Taeters die Mutter des Opfers mit einer grosszuegigen Geldsumme entschaedigt haben soll... und sich das Ganze damit ja erledigt habe!

Das war's fuer heute...
bis morgen!

ASR

Fotos:
Oben: Der Weg wird freigemacht fuer die Limousinen, die zum roten Teppich rollen werden...
Mitte: Darezhan Omirbayev, der kasachische Regisseur des Films "Student"
Unten: Die Crew der chinesischen Produktion "Mystery", links der Regisseur Ye Lou, rechts die drei HauptdarstellerInnen