ME/CFS: (Myalgische Encephalo-myelitis / Chronisches Fatigue Syndrom): Eine schwere chronische Krankheit, die kaum jemand kennt.

Eine schwere chronische Krankheit, die kaum jemand kennt.

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s.g.

In unserer Anti - Ableismus Reihe stellen wir regelmäßig Begriffe, Fachbegriffe und ihre Hintergründe vor.

Diesmal geht es um ME/CFS (Myalgische Encephalo-mylelitis / Chronisches Fatigue Syndrom (auch etwas bekannt als Erschöpfungssyndrom und im Zusammenhang mit Long-Covid).

Ein Interview dazu mit Gerhard, von der Initiative me/cfs Freiburg.

Im Interview geht es am Anfang um die Erklärung der Krankheit, dieser Multisystemerkrankung, die auch eine Antiimmunerkrankung ist und die Lebensqualität extrem reduziert.

Es geht um Betroffenheiten, 500000 bis 1 Million Menschen, zum grössten Teil Frauen bzw. FLINTA* Personen.

Es geht um den Skandal und die Hintergründe von der Unterversorgung der Betroffenen, von mangelnder Forschung, medizinischer Behandlung und Fehldiagnosen (als Depressionen zum Beispiel) und konkret in dem Zusammenhang um Gendermedizin.

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www.mecfs-freiburg.de

s.g.

Das Interview des Radiobeitrags als Text durch Audio Transscription:
Das Interview führte eine Person mit Behinderung.
Und jetzt haben wir Besuch im Studio.
Guten Tag, Gerhard. Du kommst für ein Interview zu uns im Studio.
Der Hintergrund ist, wir sind angesprochen worden von einer Person aus der Queer Disability Community.
Das ist eine Community von Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten und Neurodivergenz. Und eine Person hat gefragt, ob wir mal zu ME-CFS , dieser chronischen Krankheit, was machen könnten.
Zu dem Begriff ME/CFS sage ich gleich noch was. Du bist auch aktiv in dem Bereich. Du bist aus der Initiative ME-CFS.
Jetzt erstmal zu dem Begriff, weil der etwas schwierig ist. ME-CFS bedeutet ausgeschrieben Myalgische Encephalo Myelitis. Und das CFS steht für Chronisch-Fatigue-Syndrom. Das werden wir jetzt mal inhaltlich füllen. Die Bezeichnung taucht immer mal auf. Und sie taucht auch auf seit Long Covid oder nach Covid. In dem Zusammenhang Ist das immer mal in der Debatte. Aber eigentlich ist es eine schwere chronische Krankheit, die kaum jemand kennt. Und wenn ich ein bisschen vorgreife, es ist wie gesagt eine Multisystemerkrankung, auch eine Autoimmunkrankheit.
Sie betrifft meistens mehrere Organe und hat auch sehr besondere Merkmale. Die Menschen werden damit anscheinend sehr alleine gelassen. Und eben zu dem Komplex werden wir uns jetzt unterhalten. Und vielleicht sagst du erst noch mal was zu diesem ME-CFS, zu dieser Krankheit, wie man sich das vorstellen muss, was das heißt.
Gerhard: Ja, zunächst mal vielen Dank für die Einladung. Und ich freue mich hier was dazu sagen zu können und aufklären zu können. Du bist gleich mitten ins Thema gegangen mit dieser Begriffsverwirrung des Namens. Vielleicht nur kurz, ich bin leider auf diese Krankheit gestoßen, weil unser Sohn vor vier Jahren diese Krankheit bekommen hat. Und uns das alles ein großes Rätsel war. Die Ärzte, die es nicht wussten, nicht erkannten. Die Ärzte, von denen ihm das keiner gesagt hat und wir das zu Hause am Küchentisch ergoogelt haben quasi. Das ist die Myallgische Encephalo-Myolitis, die er hat. Und ja, mit der Erkenntnis waren wir etwas weiter, aber es war natürlich schlimm, weil es eine tragische Erkrankung ist. Und es gibt kein Heilmittel, es gibt keine Behandlung. Die Ärzte kennen sie meist nicht. Und so konnte er nach seinem Bachelorabschluss nicht mehr weiterstudieren, das ging nicht. Wir werden ihn nächste Woche von Münster nach Freiburg holen. Wir haben ein Zimmer gefunden, wo wir ihn unterbringen können. Und ja, also das ist meine Motivation. Mein Zugang, ja, genau. Und die eigene Betroffenheit als Vater, weil man kann nichts tun, außer sich engagieren für die Aufklärung, damit endlich Forschung stattfindet, damit Behandlungswege, Mittel, Medikamente gefunden werden, wie vielleicht auch bei der MS, Multiple Sclerose, wo es anfangs sauvh sehr schwierig war, aber wo man mit Forschung Medikamente gefunden hat. Wir haben da seit 5 Jahrzehnten eine vernachlässigte Forschung, die gar nicht stattgefunden hat und erst in den letzten Jahren etwas. Also ich hab auch gelesen, seit 1969 hat die WHO das als Krankheit anerkannt. Und vielleicht nochmal, wie ich das vorstellen kann. Also es ist eine Krankheit, die greift auf der Energie-Ebene, die raubt jegliche Energie. Es gibt verschiedene Schweregrade. Aber es ist immer so, dass den Mensche ihre Lebensenergie nicht mehr zur Verfügung steht. Und es ist so, daß s einfach an die Lebenssubstanz geht. Absolut, es ist eine Entkräftung. Eine Entkräftung, die besonders dann wiederkommt, wenn man über die eigene Belastungsgrenze hinausgeht,
Auch körperlich. Oder mit geistigen Anstrengungem ist man eingeschränkt und überschreitet man das, bekommt man eine Verschlimmerung der Symptome und zusätzliche Symptome oft zeitversetzt. Innerhalb der nächsten 2-3 Tage. Von daher ist es manchmal auch schwierig zuzuordnen und überhaupt zu erkennen. Und das ist auch das bestimmende Symptom, mit dem man ME-CFS von anderen Krankheiten unterscheiden kann, weil diese Zustandsverschlechterung nach übersteigen meiner individuellen Belastungsgrenze, das gibt es nur bei ME-CFS und bei keiner anderen Krankheit. Und das ist, sag ich mal, antiintuitiv, weil wir gewohnt sind, durch Übung, Training und so weiter, uns wieder in die Gesundheit und die Aktivität zu bringen. Und das genau darf bei ME-CFS nicht stattfinden. Und da ist eigentlich eine staatliche, öffentliche Aufklärung, unbedingt dringend nötig, weil die Betroffenen oft gar nicht wissen, dass sie diese Erkrankung haben und dann gegen ihre Entkräftung ankämpfen. Damit ihre Belastungsgrenze überschreiten und ständig ihren Zustand weiter verschlechtern und zum großen Teil ist das irreversibel, also das ist nicht mehr rückgängig zu machen, und sie sich selbst in die Betlägerigkeit trainieren, mal vereinfacht gesagt.
Und das ist ein riesengroßer medizinischer Skandal, keine Forschung, keine Behandlung, die Ärzte kennen es nicht, man lässt die Betroffenen im Unwissen, sie bringen sich dadurch, dass sie einfach weiter funktionieren wollen, ihr Leben weiter sich erhalten wollen, selber in die totale Invalidität, in die Betlägerigkeit. Und es ist unsäglich und eigentlich unglaublich.
Wenn ich nicht so nah dran wäre, und mir würde das einer erzählen, ich könnte es nicht fassen.

Sabine: Ich würde gerne gleich mit dir noch mal über diese Problematik mit der Medizin und der Diagnostik reden, aber vielleicht auch noch mal zuerst, wen betrifft es denn? Also ich habe Zahlen gefunden, dass es um 500.000 Personen ungefähr geht, und davon ist ein sehr hoher Prozentsatz Frauen bzw. FLINTA*-Personen.
Also in sehr hoher Anteil und auch Jugendlöcher. Und dass es eine sehr hohe Dunkelziffer gibt, weil die Diagnostik so unklar ist und oft Menschen als depressiv diagnostiziert werden, zum Beispiel.
Gerhard: Also es ist nicht so klar, wen betrifft es eigentlich, aber sehr viele und hauptsächlich Frauen und FLINTA*Personen. Ja, also es ist völlig richtig, die Dunkelziffer ist hoch, man hat vor der Corona-Pandemie von 250.000 bis 300.000 Betroffenen gesprochen, so hochgerechnet. Die Zahl dürfte sich mindestens verdoppelt haben durch die Corona-Pandemie, weil die Myelische Enzephalitis eine postvirale Erkrankung ist, also nach einer Virusinfektion. Corona ist ein Virus, es gibt andere Viren. Epstein-Barr-Virus, Herpes-Virus oder Influenza, nach denen genauso der ME-CFS auftreten kann. Und das war eben pro-pandemisch bei etwa 250.000 und wird sich mindestens verdoppelt haben nach konservativen Schätzungen. Da liegen Zahlen der kassenärztlichen Vereinigung zugrunde, denen man sicher vertrauen darf, die eher konservativ sind. Die Forscher schätzen die aktuelle Zahl im Grund auf eine Million in Deutschland und sie wird sich weiter erhöhen.
Sabine ,: Gibt es auch einen Grund, warum das so geschlechtermäßig verteilt ist und hängt das auch mit der mangelnden Forschungsbereitschaft zusammen? Gerhard: Ja, den Bogen kann man schlagen. Es ist schon geschlechtermäßig verteilt, weil es sehr deutlich ist, dass eine Autoimmunerkrankung ist. Das heißt, das Immunsystem arbeitet gegen den eigenen Körper und kann alle Organsysteme befallen. Es ist auch eine Multisystemerkrankung und hat jetzt selbst so viele Symptome. Und jetzt sind Frauen mit dem größeren, stärkeren Immunsystem ausgestattet. Das heißt, das Immunsystem von Frauen kann, einfach gesagt, höher auffahren. Und wenn es angetriggert wird, ist auch die Autoimmunreaktion entsprechend höher, sodass Frauen eher unter diesem Autoimmunsystem leiden und diese Krankheit bekommen.
Sabine: Da sind wir bei dem Thema Gendermedizin. Und dann machen wir mal den Schlenker zum medizinischer Bereich. Wie ist das dann jetzt mit der Diagnostik und mit der Forschung und mit der Anerkennung dieser Krankheit?
Gethatd: Ganz schlecht, ganz schlecht. Und Stichwort Gendermedizin spielt eine große Rolle. Es ist leider Gottes so, ich muss sagen, traditionell, dass offenbar Frauen von Ärzten oft nicht in gleicher Weise ernst genommen werden mit ihren Symptomenbeschreibungen wie Männer. Das kann man aktuell noch feststellen. Wenn Studien gemacht werden, wie der Umgang ist von betroffenen Frauen und betroffenen Männern durch Ärzte, dass da ein signifikanter Unterschied ist und bei Frauen das öfter abgetan wird, bagatellisiert wird, als psychosomalisch hingestellt wird. Es heißt dann: sie sind doch jung, machen sie mal, tun sie mal, strengen sie sich an, also Richtung Depressionen und selber wieder aktiv werden. Was total Fehldiagnose ist und völlig kontraindiziert. Sabine: aber die WHO hat ja, wie gesagt, seit 1969 diese Diagnose anerkannt. Warum passiert da nichts?Das Wissen ist ja da, sitzt ja hier auch. Ich habe auch Herrn Lauterbach schon dazu im Fernsehen was sagen hören, zusammen mit Margarete Stukowski, die auch betroffen ist, bekannte Feministin. Ja, warum passiert da nichts? Ja, falsche Fragen?
Gerhard :Ja, richtig, richtige Frage, da gibt es ganz viel zu antworten. Ich muss es eben etwas, sage ich mal runterbrechen. Letztlich ist die Krankheit schwer zu diagnostizieren, weil man sieht es den Menschen nicht an. Wenn sie nicht im Crash sind.....
Sabine: Crash bedeutet total runtergebrochen?
Gerhard : Dieser Zusammenbruch nach einer Überanstrengung, genau. Man kann es nicht sehen. Auch die Standardblutuntersuchungen, die Standarduntersuchungen geben keine Anzeichen und deshalb sind Ärzte sozusagen schon auch verführt, das in die psychosomatische Ecke zu schieben, weil sie nichts finden. Und das braucht intensive Medizin und intensive Untersuchungen, gerade auch in Richtung Antikörper und anderes, um da auf die ursächlichen Dinge zu kommen. Und dieser Mühe unterziehen sich die Hausärzte und andere Ärzte und Forscher oft nicht und kommen mit der, sag ich mal, Restdiagnose psychosomatisch in der guten Tradition von Hysterie, Neuerastinie, wie man es immer genannt hat. Und es betrifft immer wieder Frauen, diese Diagnosen, die werden wesentlich weniger Männern erteilt. Und das ist Gendermedizin. Das Problem steckt da zusätzlich mit drin. Wenn es umgekehrt wäre, doppelt so viele Männer wären betroffen wäre es ganz anders Ja, es ist leider so, muss ich sagen. Würde vielleicht mehr getan, für die Forschung. Das ist schlimm.
Sabine: , jetzt wegen Long Covid, das ist ja schon mal ein bisschen mehr in der Diskussion. Aber da gibt es auch noch große Unterschiede oder da gibt es auch eine Problematik . Dazu habt ihr auch etwas auf eurer Webseite geschrieben.
Gerhard : Ja, das ist eine Begriffsverwirrung. Ich versuch die mal zu erklären. 1955 im Royal Free Hospital in London wurden 190 Betroffenen. Da gab es einen epidemischen Ausbruch von myelgischer Encephalo Myelitis. Und da hat ein Arzt sehr akribisch untersucht und sehr genau untersucht und ist auch auf organische Ursachen gekommen und hat da Hypothesen erstellt und hat diesen Krankheitsbegriff gegründet, sozusagen die Myalgische
Encephalo Myelitis. Das heißt, es ist ein Entzündungsgeschehen im Gehirn und im Rückenmark vorhanden, also auch eine neurologische Diagnose gestellt. Und da haben dann insbesondere immer wieder Psychiater im Grunde dagegen gehalten. Diese Akten wurden nach dieser WHO Aufnahme der Krankheit in die Klassifikation der Krankheitenen 1969 aufgenommen. 1972 haben Psychiater diese Akten nochmal studiert und haben das umdefiniert, wieder zurückdefiniert in einen psychosomatischen Zusammenhang. Also nicht mehr die neurologische Diagnose, sondern eine psychologische Diagnose, psychiatrische Diagnose erteilt. Das ist einfach, ich bring's mal auf den Begriff, die Definitionsmacht der Psychiatrie, um das mit einem Wort zu sagen, ist enorm und gewaltig hoch. Das ist heute noch so. Da gibt es einen Professor Kleinschnmtz. Der ist Klinikleiter in Essen, der permanent diese Linie weiter verfolgt und ungeachtet der wissenschaftlichen Evidenz, die für die organische Ursachenfindung vorliegt. Das psychiatrisiert oder psychologisiert diese Diagnose, diese Krankheit.

Sabine: Was ist für dich der wahre Skandal, weil du auch gesagt hast am Anfang, es ist ein Skandal mit dieser Krankheit. Was macht's aus und gibt's einen Ausblick?

Gerhard: Der Skandal ist, dass 500.000 bis eine Million Menschen in Deutschland schwer und im Moment noch unheilbar erkrankt sind, chronisch erkrankt sind und es keine Forschung und keine Aufklärung gibt. In einem der reichsten Industrieländer der Welt darben die Leute vor sich hin, werden in Unkenntnis gelassen. 60% sind völlig arbeitsunfähig und 25% müssen in ihren Betten liegen, müssen gepflegt werden. Da muss ein Familienmitglied seine Arbeit aufgeben, die Familien teils verahmen. Man lässt sie völlig im Stich, auch mit Hilfsmitteln. Die Hilfen von Pflege und Anerkennung von Schweregrad wird unterlassen, weil man die Krankheit nicht kennt, weil man sie nicht diagnostiziert und immer wieder auf den Reha-Gedanken kommt, weil es ja doch eine Depression ist und da ist Rehabilitation angesagt. Die durch die Aktivierung, die in jeder Reha stattfindet, nur sehr oft - in jedem zweiten Fall - die Krankheit verschlimmert, sodass die Leute noch aufrecht gehend in die Reha gehen und mit dem Rollstuhl wieder rauskommen. Und es ist keine Metapher oder Übertreibung, das ist sehr, sehr oft wirklich die Realität. Es ist beschrieben und bekannt. Also, bei den Betroffenen bekannt.
In der Medizin und in der Rehabilitation, in der deutschen Rentenversicherung, dringt dieses Wissen nicht durch. Und das heißt, wir invalidisieren die Menschen, sie werden noch kränker gemacht und es geht kein Aufschrei durch Deutschland.
Sabine :Weil die Menschen ja auch krankheitsmäßig ruhig gestellt sind und auch gar nicht so aktivistisch sein können. Obwohl wir ja jetzt auch einen Tipp gekriegt haben, bitte macht was dazu. Auch, wenn du jetzt hier bist,
Gerhard: Ja. Sie verschwinden in ihren Betten, sie können sich nicht wehren. Sie sind froh, wenn sie aufstehen können und zur Toilette gehen können und vielleicht zum Essen noch am Tisch sitzen können. Ganz viele haben die orthostatische Intoleranz, das heißt, sie können nicht aufrecht sitzen, nicht aufrecht stehen.
Wenn wir so aus der Hocke schnell aufstehen und Schwindel haben, dann ist es auch eine Reaktion, dass der Körper schnell genug das Blut hochpumpt und das ist bei Ihnen permanent der Fall. Das heißt, aufrecht geht nicht, sie müssen liegen und damit kann man nicht mehr aktiv sein. Also derjenige, der dich angesprochen hat darauf, der kann auch nicht hier selber sitzen.
Sabine : Richtig, der hat dich vermittelt. Ja, das war so, er hat dich vermittelt.
Gerhard, ich danke dir fürs Kommen und für die eindrücklichen Informationen. Es ist wichtig daß weiter zu erzählen und sich zu sensibilisieren und eure Website vielleicht auch mal aufzumachen, das ist ... www.mecfs-freiburg.de
Ganz herzlichen Dank.
Gerhard : Ich danke auch.