Das französische Staatsenergieunternehmen EdF hat am 29. Juni erste Anträge zur Errichtung neuer Atomkraftwerke auf dem europäischen Kontinent gestellt. Die Verwaltungsunterlagen betreffen den Ausbau bestehender Reaktorstandorte. Nachdem Macron in seinem zweiten Mandat unter dem Motto „Relance du nucléaire“ verkündete, am nuklearen Weg festzuhalten, sind dies erste konkrete Schritte zum neuen Ausbau der Kernkraft in Westeuropa. Die Anträge für die geplanten EPR-Reaktoren betreffen zunächst die Standorte Bugey, Penly, Tricastin und Gravelines.
Frankreichs Weltmachtstellung in Sachen Atomenergie soll ungeachtet ökologischer und ökonomischer Schäden und der ungelösten Endlagerfrage weiter wachsen. „Sechs bis vierzehn neue EPR sollen gebaut werden“. Dies verkündete Macron am 10. Februar 2022 anlässlich einer spektakulären Rede im Arabelle-Turbinenwerk zu Belfort, das im gleichen Atemzug in Teilen an Rosatom verkauft wurde. Es soll nicht nur um eine „Renaissance“ gehen – der Name ist für die Partei des Präsidenten reserviert. Es ging bei der propagandistische inszenierten Veranstaltung zwischen den martialisch beleuchteten Turbinenbauteilen um ein viel weitreichenderes Bestreben: „Die Atomenergie neu erfinden“.
Seither macht Frankreich durchaus ernst mit seiner bedrohlichen Ankündigung. Frankreich schmiedete nicht nur eine neue Atomallianz von zehn Staaten in der EU und konnte auf den Finanzmärkten seine Greenwashing-Strategie bezüglich der Kernkraft, dem sogenannten „Taxonomie-Deal“, erfolgreich umsetzen. In Fragen der Atomkraft wird international zusammengehalten, was neue Technologien wie den ITER für Kernfusion und was Importe von Brennelementen vor allem aus Russland betrifft. Das trifft auch für zukünftigen Uranabbau etwa in der Mongolei und die prunkvolle Zurschaustellung militärischer Größe zu.
Auf nationaler Ebene wurde am 23. Juni ein Gesetz zur Beschleunigung der Verwaltungsprozeduren beim Bau neuer Kraftwerke ratifiziert. Außerdem zwingt der Staat durch die Streichung von Mitteln die unabhängige Atomaufsicht IRSN in die Knie. Mit seinen jüngsten Ankündigungen in Marseille sorgte Macron für Aufsehen. Ihm zufolge kämen für den Bau neuer AKW auch „neue Standorte“ infrage, etwa die Region westlich der provencalischen Hafenstadt, bei Fos oder Martigues.
Beim gemeinten Kraftwerksmodell EPR handelt es sich um ein von Siemens und Areva als Jointventure entwickeltes Modell moderner Hochdruckwasserreaktoren, der jedoch seit Jahren seiner angekündigten Attraktivität hinterher kriecht. Die offiziell laufenden Modelle im chinesischen Taishan sind seit Januar defekt. Der seit 2007 in Flamanville im Bau befindliche EPR macht nach der absehbaren Baukostenexplosion und der Entdeckung von Konzeptionsfehlern wenig Anschein einer baldigen Fertigstellung. Der im finnischen Olkiluoto im Winter nach Jahren der Verspätung fertiggestellte EPR musste den seit kurzem produzierten Strom wegen der günstigen Erneuerbaren wieder drosseln. Und auch das Bauprojekt in Hinkley Point in Großbritannien muss warten, da eine Klärung der verbreiteten Korrosionsschäden aussteht.
In einem Schreiben vom 17. Juli kritisieren Umweltverbände rund um die Anti-Atom-Vereinigung „Sortir du nucléaire“ die anhaltenden Bestrebungen der Regierung. Atomkraft und besonders der EPR2 sei weiterhin ökologisch, sozial und auch ökonomisch untragbar. Es gäbe „keine ernsthafte Behandlung der Klimafrage“ und der Staatskonzern habe keine „organisatorische(n), sondern strukturelle“ Probleme. Wie immer würde die Atomindustrie Fakten schaffen, die dann später ein demokratisches Beiwerk finden – so die UmweltschützerInnen. Die im Herbst verkündete mehrmonatige öffentliche Anhörung zum Ausbau des Atomprogramms hat aufgrund von Protesten nie begonnen. Eine organisatorische Umsetzung für mehr Atomkraftwerke behindert dies nicht. LS