Nigeria: Sicherheitskräfte erschießen pro-Biafra-Protestierende - Polarisierung auch durch pro-Biafra-Organisationen?

Nigeria: Sicherheitskräfte erschießen pro-Biafra-Protestierende - Polarisierung auch durch pro-Biafra-Organisationen?

"Biafra or Death" – Biafra oder Tod. Dieses Motto steht auf dem Plakat eines Unabhängigkeitsbefürworters im Südosten Nigerias, das die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fotografierte. Es handelt sich dabei leider nicht um einen leeren Spruch, sondern um ein tatsächliches Risiko für Menschen, die im Südosten Nigerias für die Unabhängigkeit Biafras demonstrieren.

Mit Biafra bezeichnen UnabhängigkeitsbefürworterInnen eine Region im Südosten Nigerias, die mehrheitlich von der Igbo-Ethnie bewohnt wird, und in der sich auch die meisten Ölreserven Nigerias befinden. Die Unabhängigkeit des Staates Biafra wurde 1967 nach Putschen in Nigeria und einer anschliessenden Welle von Massakern an den Igbos ausgerufen. Dies führte zu einem Krieg zwischen Nigeria und Biafra und zu einer Blockade, die zum Hungertod von Millionen BiafranerInnen führte. Der Krieg endete 1970 mit der Wiedereingliederung Biafras in den Staat Nigeria.

Seit einigen Jahren geht die Unabhängigkeitsbewegung wieder stärker auf die Strasse. Gleichzeitig häufen sich Berichte, wonach die Polizei Menschen während friedlicher pro-Biafra-Proteste erschiesst. Recherchen von Amnesty International konnten insbesondere belegen, dass Nigerias Sicherheitskräfte bei friedlichen Protesten Ende Mai mindestens 17 Menschen erschossen und über 50 verletzt haben. Die tatsächliche Zahl der Toten und Verletzten sei noch höher, denn die Sicherheitskräfte hätten weitere Leichen und Verletzte abgeschleppt. Laut der pro-Biafra-Organisation IPOB hätten die Sicherheitskräfte 50 Menschen erschossen. Auch in der Nacht vor den Protesten haben Soldaten offenbar eine Kirche gestürmt, wo Protestierende schliefen. Sie hätten dabei Tränengas eingesetzt und Menschen erschossen. Amesty International hat angekündigt, dass es bald einen vollständigen Bericht über die tödliche Repression gegen die pro-Biafra-Proteste ab August 2015 veröffentlichen werde.

Radio Dreyeckland sprach mit Chibeke, der 2014 von Nigeria geflohen ist und nun in Deutschland lebt. Er erzählt zunächst von der Zuspitzung der Lage in Nigeria in den vergangenen Jahren, und warum er von dort geflüchtet ist.

2:08

Chibeke erzählte in diesem Zusammenhang von seinem besten Freund, der bei einem pro-Biafra-Protest erschossen wurde.

0:39

Chibeke zufolge hat die Gewalt von nigerianischen Sicherheitskräften System gegen Menschen, die von Biafra sprechen.

0:13

Viele Familienmitglieder Chibekes starben während des Biafra-Kriegs. Aus Angst, dass sich dieses tragische Schicksal angesichts der gegenwärtigen Zuspitzung in Südost-Nigeria wiederholt, entschied sich Chibeke 2014 für die Flucht.

0:18

Chibeke zeigt Verständnis für die pro-Biafra-Bewegung. Er betrachtet den Südosten Nigerias als eine Region, die mit dem übrigen Nigeria kulturell gar nichts zu tun hat, und nur wegen der britischen Kolonialherrschaft in Nigeria eingegliedert wurde. Doch trotz seiner prinzipiellen Unterstützung für diese Bewegung erklärt er, dass er unter anderem ihretwegen geflohen ist.

Auf der einen Seite schüchtern Polizei und Militär die Bevölkerung davor ein, sich der Pro-Biafra-Bewegung anzuschliessen, indem sie mit tödlicher Gewalt gegen friedliche Proteste vorgehen. Diese staatliche Gewalt dokumentieren Medienberichte und erste Recherchen von Amnesty von Juni 2016.

Auf der anderen Seite setzten Pro-Biafra-Organisationen laut Chibeke die Bevölkerung unter Druck, damit sie sich ihrem Protest anschliesst. Sie würden dabei sogar auf Verleumdung und Brandanschläge gegen vermeintliche Verräter zurückgreifen, wie er erklärte.

Solche Vorwürfe gegen die pro-Biafra-Bewegung haben internationale Medien oder Menschenrechtsorganisationen noch nicht erhoben. Das mag aber auch daran liegen, dass Ereignisse in Nigeria allgemein wenig internationale Beachtung finden, und dass sich die internationale Berichterstattung über Nigeria meist auf die islamistische Terrorgruppe Boko Haram reduziert.

Genau das bemängelten übrigens Chibeke und sein Freund Daniel aus der Region um Freiburg im Interview: Dass es viel zu wenige Medienberichte über die Geschehnisse und die Menschenrechtssituation in entfernten Ländern wie Nigeria gibt, die nicht im Zentrum des internationalen Interesses stehen. Als Antwort darauf erwägen sie, ein Biafra-Netzwerk in der Region Freiburg zu gründen.

0:36

Als Geflüchteter sieht Chibeke ein weiteres Ziel für dieses Netzwerk: Durch die Verbreitung von Informationen in Deutschland dazu beizutragen, dass Menschen hierzulande Geflüchtete anders wahrnehmen.

0:30