In einer Rede vor hohen russischen Diplomaten (Sergej Lawrow war dabei) hat der russische Präsident Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Forderungen als "Ultimatum" zurückgewiesen. Abgesehen davon, dass Putin kein Datum nennt, bis zu dem etwas zu erfüllen ist, kann man den Text durchaus so verstehen. Hier eine kommentierte Zusammenfassung der wesentlichen Punkte ohne die langen historischen Erläuterungen Putins.
Ukrainische Truppen sollen sich auf die Verwaltungsgrenzen der von Russland teilweise besetzten und annektierten Landesteile Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson zurückziehen. Die internationale Gemeinschaft soll, die vier Provinzen sofort als russisches Territorium anerkennen und Kiew sollte auf Bemühungen um einen NATO-Beitritt verbindlich verzichten.
Außerdem forderte Putin die Beschränkung der militärischen Macht der Ukraine, inklusive eines nichtnuklearen Zustands, die Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland und den Schutz der Interessen der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine. In vielen Berichten wird unterschlagen, dass Putin auch weiter die „Denazifizierung“ der Ukraine fordert, was nichts anderes als die Delegitimierung der bestehenden politischen Verhältnisse nach den Vorgaben des Kreml bedeuten kann. Der Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein Amtsvorgänger Petro Poroschenko stehen ohnehin bereits auf der Fahndungsliste des Kreml.
Das ist weit mehr als das von manchen geforderte Einfrieren des Konfliktes, was Putin auch ausdrücklich sagt. Würden sich die Ukraine und ihre Verbündeten darauf einlassen, würde es die Ausweitung und völkerrechtliche Anerkennung der russischen Eroberungen seit 2014 bedeuten. Die restliche Ukraine hätte jeden Schutz verloren. Den nächsten Einmarsch in die nun wehrlose Ukraine könnte Putin mit einer angeblichen Verletzung der Rechte der russischsprachigen Minderheit begründen. Man erinnere sich daran, dass Putin seinen Angriff auf die gesamte Ukraine am Morgen des 24. Februar 2022 mit einem angeblichen Völkermord im Donbas begründet hat. Erinnert sich noch jemand daran?
Das ganze erinnert an das Münchner Abkommen von 1938, in dem Frankreich und Großbritannien durch die Zustimmung zu Gebietsforderungen Hitlers in der Tschechoslowakei, dem deutschen Diktator die Möglichkeit gegeben haben, auch den Rest im Handstreich zu nehmen. Es erinnert auch an die Pseudoverhandlungen, die Hitler vor dem längst beschlossenen Überfall auf Polen geführt hat.
Putin geht es offensichtlich um ein Schwarzer-Peter-Spiel vor dem Beginn der Friedenskonferenz in der Schweiz. Und wer sofort darauf anspringt ist natürlich Sahra Wagenknecht: "Die Ukraine und der Westen sollten den historischen Fehler vermeiden, die Signale aus Moskau brüsk als unrealistische Maximalforderungen zurückzuweisen" verkündet Wagenknecht. "Stattdessen sollte Putins Initiative mit der notwendigen Ernsthaftigkeit aufgegriffen und als Ausgangspunkt für Verhandlungen begriffen werden." So Wagenknecht weiter.
Wie immer bei Wagenknecht, klingt es erstmal nicht schlecht, unterschlägt aber wesentliches. Putin hat nicht seine Verhandlungsposition dargestellt, sondern er hat Vorbedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen gemacht und diese unterscheiden sich nicht wesentlich von der Aufforderung zur Kapitulation. Nicht der Aggressor, der Verteidiger soll sich zurückziehen und gefälligst abrüsten, sonst geht der Krieg einfach weiter. Das ist kein irgendwie ernstgemeintes Verhandlungsangebot.
Putins Ansagen haben noch eine weitere Dimension: er spricht wie jemand, der den Sieg eigentlich schon in der Tasche hat. Das ist nicht unwichtig, auch für seine Unterstützer. Sie können zugeben, was nicht zu leugnen ist: „Ja, Putin hat das Völkerrecht gebrochen, ja, die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen…“ aber sagen, dass Widerstand sinnlos ist und nur noch mehr Tod und Zerstörung bringt. Und so funktioniert dann die Schuldumkehr, in der auch Wagenknecht eine Meisterin ist.
Die ukrainische Gegenoffensive im vergangenen Sommer ist gescheitert, seit Oktober hat Russland wieder die Initiative im Krieg, die Unterstützung des Westens ist u. a. im Falle eines Wahlsieges von Trump gefährdet, Russland kann seine Verluste anscheinend kontinuierlich ausgleichen, hat die Rüstungsindustrie hochgefahren und die Heimatfront ist still. Die Ressourcen Russlands übersteigen die Ressourcen der Ukraine in jeder Hinsicht.
Doch aus all dem abzuleiten, dass Russland den Krieg nur gewinnen kann, ist voreilig. Die Gebiete, die Russland in 8 Monaten verlustreicher Offensiven neu besetzen konnte, belaufen sich auf weniger als 2 Promille der Fläche der Ukraine. Entgegen allen Erwartungen ist es der Ukraine gelungen, die russische Seeblockade gegen ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer praktisch aufzuheben und zwar aus eigener Kraft. Ukrainische Drohnen treffen sensible russische Ziele zum Teil über tausend Kilometer hinter der Grenze. Die Mehrzahl der europäischen Regierungen ist sich bewusst, dass ein Zusammenbruch der Ukraine für sie eine politische Katastrophe wäre. Die Aussicht auf einen möglichen Wahlsieg Trumps und der langsame russische Vormarsch, haben deshalb die Bereitschaft, die Ukraine mit Geld und Waffen zu unterstützen sogar deutlich erhöht. Die Zusagen der letzten Wochen können sich sehen lassen.
Auch die Ressourcen Russlands sind nicht so unbeschränkt, wie es im Moment scheint. Noch kann Russland seine Armee zum großen Teil mit eingelagerten Waffen ausrüsten, die nur instandgesetzt und manchmal noch modifiziert werden. Die Vorräte sind groß, aber endlich. Die Hoffnung, das Gas, das nicht mehr nach Europa strömt, nun nach China zu verkaufen, hat sich weitgehend zerschlagen. China braucht aufgrund bestehender Verträge bis 2030 viel weniger Gas als erwartet und besteht außerdem auf einem supergünstigen Preis. Auf Einnahmen aus dem Rüstungsexport kann Russland ebenfalls nicht bauen, denn es braucht sein Gerät selber. Derzeit lockt Putin neue Rekruten mit viel Geld und zahlt den Hinterbliebenen von Gefallenen hohe Summen. Es ist die Frage, ob das auf Dauer reicht, auch falls sich die Lage an der Front wieder verschlechtern sollte.
Weder ist Putin einfach auf der Siegesstraße, noch die Ukraine. Doch darauf kommt es bei Verhandlungen gar nicht an. So lange Putin daran glaubt, eine Chance zu haben, den Krieg restlos zu gewinnen, wird er nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein. Seine jüngsten Äußerungen beweisen auch gerade das. Das eigentliche Signal aus Moskau hat sein Vertrauter Medwedew gesendet: eine Karte Russlands, die die ganze Ukraine einschließt. Das ist die Botschaft an das heimische Publikum, das für was es kämpfen soll.
Putins Worte zum Nachlesen (wirklich zur Sache kommt er erst in den letzten Absätzen):
http://www.en.kremlin.ru/events/president/news/74285
jk
PS: Putin bezog sich in seinen Ausführungen mehrfach auf den Entwurf eines Friedensplans, über den kurz nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine in Istanbul verhandelt wurde. Die New York Times hat den Entwurf nun veröffentlicht. Die Gespräche darüber fanden statt als russische Panzer nur wenige Kilometer von Kiew entfernt standen. Unter diesem Druck sind einige Konzessionen zu sehen, zu denen die ukrainische Verhandlungsdelegation bereit war. Aber keine Seite hat das Papier unterschrieben. Gescheitert sind die Verhandlungen anscheinend vor allem an untauglichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Die sollten andere Staaten geben, doch Moskau bedingte sich ein Vetorecht gegen Hilfsmaßnahmen für die Ukraine aus, sollte sie angegriffen werden. Das war natürlich ziemlich durchsichtig. Später wurde das Massaker von Butscha bekannt und die militärische Lage der Ukraine besserte sich dramatisch, worauf die Verhandlungen ganz eingestellt wurden. jk
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