Der russische Präsident Wladimir Putin hat in einem Interview im russischen Staatsfernsehen Verhandlungen mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj abgelehnt. Weil seine Amtszeit letztes Jahr abgelaufen sei, sei Selenskyj unrechtmäßig an der Macht. Einen Faktencheck wonach die ukrainische Verfassung die Verschiebung von Wahlen im Kriegsfall erlaubt, braucht Putin in seinen Medien nicht zu fürchten und er würde ja auch wohl antworten, dass es gar keinen Krieg gibt, dass Russland nur eine Spezialoperation durchführt.
Es ist natürlich erfreulich, dass sich Putin für die demokratischen Rechte in seinem Nachbarland Ukraine so sehr einsetzt. Allerdings lässt er diesen Eifer im eigenen Land und bei anderen Partnern etwas vermissen. Da wären Nordkorea, Weißrussland, China, Iran und bis gerade eben Syrien. In all diesen Ländern gibt es so etwas wie Wahlen, allerdings mit Einschränkungen. Opposition ist verboten, wird von den Medien ferngehalten, Oppositionskandidat*innen werden nicht zugelassen, landen aus irgendwelchen Gründen im Gefängnis, werden ermordet oder loben lauthals die Regierung gegen die sie antreten. Das Ergebnis sind Länder an deren Spitzen es nie einen Wechsel gibt. In Weißrussland seit 30 Jahren, jetzt verlängert auf 35 Jahre. In Syrien die Asads Vater und Sohn für 53 Jahre (Abbruch durch ein ungeplantes Eriegnis), in Nordkorea bald 76 Jahre, Sohn, Vater, Großvater... Auch Putin bringt es nun schon auf ein Vierteljahrhundert an der Macht. Sein größter innenpolitischer Widersacher Alexej Nawalny starb letztes Jahr in einem Gefängnis nördlich des Polarkreises...
Putin möchte die Ukraine bei Verhandlungen erst gar nicht mit am Tisch haben. Wenn Selenskyj nicht legitim ist, dann auch nicht seine Regierung und damit scheiden Gespräche mit der Ukraine insgesamt aus. Die Ukraine ist ohnehin ein Staat, den Putin abschaffen möchte. Nur mit dem amerikanischen Präsidenten zu verhandeln würde Putins Ego und seiner Weltsicht entsprechen, wonach ein paar Großmächte alles auf der Welt bestimmen, die berühmte multipolare Weltordnung, die auch in Deutschland ihre Anhänger*innen hat. Doch das bei Seite gelassen, ist die Frage, ob Putin überhaupt zum jetzigen Zeitpunkt ein Ende des Krieges will, selbst unter für ihn günstigen Bedingungen. Selenskyj vermutet, dass es Putin mit seiner Nichtanerkennung darum geht, den Krieg in die Länge zu ziehen. Warum sollte Putin halt machen so lange seine Truppen auf dem Vormarsch sind und er sein Ziel, die Einsetzung einer von ihm kontrollierten Regierung in Kiew noch nicht erreicht hat? Neben Gebietsabtretungen auch von Teilen der Ukraine, die Russland nicht kontrolliert, fordern Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow munter weiter, eine prorussische Regierung in Kiew und die Abrüstung der gerade überfallenen Ukraine. Wirksame Sicherheitsgarantien für den Reststaat werden kategorisch abgelehnt. Das wäre nur zu offensichtlich ein Schritt zur völligen Übernahme des Nachbarlandes.
Im Moment hat Russland zwar diese oder jene Schwierigkeit, nicht alles läuft rund, aber seine Armee rückt vor. Dies geschieht sehr langsam. In einem Jahr ununterbrochener Offensiven hat eine der größten Armeen der Welt gerade mal ein Stück Land nicht halb so groß wie der Regierungsbezirk Freiburg erobert. Doch die russische Armee rückt vor und nach drei Jahren zeigt der ungleich kleinere Nachbar Ermüdungserscheinungen, die irgendwann zu einem militärischen Zusammenbruch führen könnten. Man hat nicht die Bevölkerungszahl des Nachbarn, nicht die großen Waffenarsenale aus Sowjetzeiten. Von den eigenen Beständen hatte man ja im guten Glauben an Sicherheitsgarantien Schiffe, Flugzeuge, Marschflugkörper und nicht zuletzt ein riesiges Arsenal an Atomwaffen an den Nachbarn abgegeben, welcher munter weiter mit seinen "legitimen Sicherheitsinteressen" argumentiert. Gescheitert ist die Politik des "wir werden die Ukraine so lange unterstützen wie es nötig ist", weil sie den unausgesprochenen Nachsatz enthielt: "aber nur so, dass es Russland nicht wirklich weh tut". Das war die Devise der Regierungen Biden und Scholz, während Putin die Ukraine weiter durch den Fleischwolf drehen konnte. Früher nannte man so etwas "appeasement".
Wenn Putin irgendwann in Kiew einmarschieren sollte, dann wird es sicherlich wieder in regelmäßigen Abständen Wahlen geben, vielleicht gleich als Teil gesamtrussischer Wahlen. Nur dass dabei irgendjemand eine Wahl hat, kann man mit Sicherheit ausschließen.
jk
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