Cannes-Kritiken, die Erste

Der (in)diskrete Charme der Spontaneität 
Mathieu Amalrics Regiedebut „Tournee“ im Wettbewerb 
Von Martin Koch   
Wettbewerbsfilme in Cannes sind besondere Filme, in denen grosse Regisseure ganz neue Ideen kombinieren, um in den Monaten nach dem Festival das Kino und die Preisverleihungen zu dominieren. So war es zumindest letztes Jahr, als „Inglorious Basterds“, „Zerrissene Umarmungen“, „Un Prophete“ oder „Das weisse Band“ hier Premiere hatten. An solchen Schwergewichten gemessen ist Mathieu Amalrics „Tournee“ ein sehr ungewöhnlicher Wettbewerbsfilm. Nicht weil er künstlerisch nichts zu bieten hätte, sondern weil er seine Mission, der erotisch-avantgardistischen „New Burlesque“ ein Denkmal zu setzen statt mit durchgestylten Sequenzen mit einfachsten Mitteln angeht.  

Cannes-Kritiken, die Erste

Der (in)diskrete Charme der Spontaneität 
Mathieu Amalrics Regiedebut „Tournee“ im Wettbewerb 
Von Martin Koch   
Wettbewerbsfilme in Cannes sind besondere Filme, in denen grosse Regisseure ganz neue Ideen kombinieren, um in den Monaten nach dem Festival das Kino und die Preisverleihungen zu dominieren. So war es zumindest letztes Jahr, als „Inglorious Basterds“, „Zerrissene Umarmungen“, „Un Prophete“ oder „Das weisse Band“ hier Premiere hatten. An solchen Schwergewichten gemessen ist Mathieu Amalrics „Tournee“ ein sehr ungewöhnlicher Wettbewerbsfilm. Nicht weil er künstlerisch nichts zu bieten hätte, sondern weil er seine Mission, der erotisch-avantgardistischen „New Burlesque“ ein Denkmal zu setzen statt mit durchgestylten Sequenzen mit einfachsten Mitteln angeht.  

Fetzig und frisch wirken die nicht mit herkömmlichem Striptease zu verwechselnden Revue-Auftritte einer fuenfköpfigen Damentruppe (ergaenzt durch den stets gut gelaunten „Rocky Roulette“), deren Manager Amalric spielt. Konsequent spontan und an der Grenze zur Improvisation sind die Dialoge und Wortgefechte zwischen den Shows angelegt. Um diese an Authentizität grenzende Wirkung zu erreichen ist Regisseur Amalric mit seiner Truppe kurzerhand auf wirklich quer durch Frankreich getourt. Viel mehr als drei Stunden pro Drehort war damit nicht drin.  
„Tournee“ ist ein Beispiel dafür, dass solche Experimente beachtliche Ergebnisse mit sich bringen können. Der Witz des Films entsteht durch spontane Dialoge und die im Film mehrmals angedeutete Tatsache, dass die Damentruppe ohnehin macht was sie will und nicht, was der Manager respektive Regisseur sagt. Die selbstbewussten Ladies und ihr nach Amerika abgehauene und nun um sein grosses Comeback in der Heimat kämpfender Manager ergänzen sich dabei hervorragend und bilden eine herrlich abgedrehte Truppe.
Das Miteinander der gemeinsam tourenden Combo wird nicht, wie etwa in „The Commitments“ durch die Linse einer durchgestylten Story betrachtet, sondern quasi aus erster Hand erzählt. Und Amalric gelingt es, diesem Erzählstil eine humorvolle und lange Zeit auch spannende Note zu verleihen. Mit dem Ausdruck „lange Zeit spannend“ sind auch die Grenzen aller Lobeshymnen auf den Film markiert, denn so ganz schafft „Tournee“ es leider nicht, seine Ambitionen auf Stringenz und Spannung bis zum Ende aufrecht zu erhalten.
Gerade in den letzten vierzig Minuten arbeitet sich die Handlung etwas zu sehr an den persönlichen Problemen des Managers Joachim mit seinen Kindern und seiner Liebesaffäre mit einer der Tänzerinnen ab und dabei krankt der Film dann auch daran, die Situation des knapp über vierzigjährigen Aussteigers zu Beginn eher beiläufig eingefuehrt zu haben. Das allerdings wiederum zugunsten seiner ganz eigenen Spontaneität, die in quasi live ablaufenden Auftritten und einfallsreichen Nummern ihren ganz eigenen wenig diskreten Charme entfaltet. So haben etwa die wenigsten Kinozuschauer schon mal eine Frau, die sich in einen aufgeblasenen Luftballon hüllt auf der Leinwand gesehen. Ein peppiger Musikmix mit modernen Bands, wie den Sonics und Klassikern wie „Moon River“ rundet einen alles andere als perfekten aber zugleich auch beeindruckenden und zutiefst sympathischen kleinen Film ab.